European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00141.17Z.1213.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ahmet Y***** der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (1./) sowie nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er am 10. Februar 2016 in M***** dadurch, dass er als Lenker eines Pkw zielgerichtet eine Kollision der Fahrzeugfront mit den ihm mit dem Rücken gegenüberstehenden Personen herbeiführte und diese niederstieß, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich
1./ zugefügt, nämlich Kaniwar A***** einen Bruch des ersten, dritten und vierten Mittelfußknochens links und eine Prellung der Lendenwirbelsäule, sohin eine an sich schwere Verletzung, mit der eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung verbunden war;
2./ zuzufügen versucht, nämlich Nuriye P*****, wobei diese Prellungen des linken Jochbeins und des rechten Unterschenkels erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die von der Mängelrüge reklamierte
Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge Unterbleibens der Auseinandersetzung mit den zunächst getätigten (später jedoch richtiggestellten [vgl ON 42 S 39 f]) Angaben des Zeugen Galip B*****, er habe [vor der gegenständlichen Tat] mit seinen Freunden versucht, den Angeklagten „in sein Auto hineinzustecken“, dieser sei „hineingedrückt“ und „gestoßen“ worden, „damit er sich ins Auto reinsetzt“, der Angeklagte habe versucht, „zurückzustoßen“ und sei vom Zeugen nach dem Losfahren bei offener Fahrertüre „am Kragen gehalten“ worden (ON 42 S 33 ff), liegt nicht vor. Denn weshalb diese Verfahrensergebnisse den von der Beschwerde behaupteten Rückschluss zulassen, der Angeklagte habe nicht die Absicht gehabt, jemanden (schwer) zu verletzen, solcherart im erörterungsbedürftigen Widerspruch
(RIS-Justiz
RS0098646 [T8]) zu den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 6) stehen sollten, wird nicht klar. Soweit die Rüge aus den genannten Verfahrensergebnissen auch ableitet, der Angeklagte habe sich aus einer bedrohlichen Situation befreien wollen, spricht sie bloß das Tatmotiv, somit keine entscheidende Tatsache an (RIS-Justiz RS0088761). Im Übrigen hat das Erstgericht ohnehin konstatiert, dass die Situation zwischen den Demonstrationsteilnehmern und dem Angeklagten „konfliktgeladen“ und „angespannt“ war (US 4 f).
Aus den zuvor genannten Gründen war das Schöffengericht auch nicht verhalten, sich mit den Aussagen der Zeugen Alican K***** und Hatice E***** auseinanderzusetzen, die zusammengefasst angaben, der Angeklagte sei von fünf bis zehn Menschen umgeben gewesen, in sein Auto gedrängt und im Zeitpunkt der Anfahrt bei offener Fahrertüre von B***** festgehalten worden. Indem die Beschwerde argumentiert, die von den Zeugen geschilderten Umstände sprächen dafür, dass der Angeklagte aus „Panik und/oder Angst vor der Bedrohung durch diese Personen“ weg wollte und es ihm nur darauf ankam, „der bedrohlichen Situation zu entfliehen und nicht jemanden absichtlich schwer zu verletzen“, bekämpft sie nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen) Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts, das die Urteilsannahmen zur inneren Tatseite im Übrigen insbesondere auf die hochgradige Emotionalität und Aggressivität des Angeklagten, dessen gezieltes Suchen nach Provokation und Konfrontation und das wutgeladene Losfahren des PKWs in Richtung zweier nur wenige Meter vor seinem Fahrzeug stehenden Fußgänger stützte (US 14).
Mit dem Hinweis auf ohnehin konstatierte, aus Sicht der Beschwerde aber „nicht ausreichend“ gewürdigte Umstände, nämlich eine Kollisionsgeschwindigkeit von fünf bis zehn km/h (US 4) und die Nichtfortsetzung der Fahrt nach dem Anstoß (US 5), bezieht sich die Rüge nicht auf in der Hauptverhandlung vorgekommene, im Urteil übergangene Verfahrensergebnisse (RIS-Justiz RS0118316).
Soweit der Beschwerdeführer die Angaben des Zeugen Müslüm D*****, nur er und Nuriye P***** hätten den Angeklagten in das Fahrzeug gedrängt (ON 42 S 53), aufgrund eigener Erwägungen als „nach den Denkgesetzen nicht richtig“ bezeichnet, wird ein Begründungsmangel im Sinn der Z 5 nicht aufgezeigt.
In unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik übt die Beschwerde mit der Behauptung, das Erstgericht hätte sich mit den Angaben der Zeugen E***** und P***** auseinandersetzen müssen, wonach letztere durch die Kollision „vor Stoßstange und Rad“ (ON 42 S 25) und „vor dem Auto“ (ON 42 S 11) gelegen sei, weil diesfalls der Bremsentschluss schon vor dem Kontakt mit dem Opfer gefasst worden und die Kollisionsgeschwindigkeit äußerst gering gewesen wäre, was gegen eine Absicht gesprochen hätte, jemanden aus Wut oder Aggression schwer zu verletzen. Unvollständigkeit wird damit abermals nicht zur Darstellung gebracht, weil die von den Zeugen geschilderte Lage des Unfallopfers für die Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zum Vorliegen eines (vom Erstgericht verneinten [US 5]) unmittelbar drohenden Angriffs gegen den Angeklagten oder sein Fahrzeug ohne Bedeutung ist.
Während mangelhafte Urteilsannahmen alleine Gegenstand der
Mängelrüge (Z 5) sind, bildet die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen den Bezugspunkt von Rechts- und Subsumtionsrüge (Z 9 und 10; RIS-Justiz
Ein
Feststellungsmangel wiederum wird
geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a bis c StPO) oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580).
Diese Anfechtungskriterien vernachlässigt die Rechtsrüge (Z 9 lit b), indem sie einerseits behauptet, die Verfahrensergebnisse würden darauf hindeuten, dass sich der Angeklagte vor dem Losfahren in einer Notstandssituation befunden habe, und andererseits unter Hinweis auf die in der Mängelrüge genannten Zeugenaussagen – aber unter Vernachlässigung der Konstatierung, dass „kurz vor dem Zeitpunkt des Wegfahrens des Angeklagten kein unmittelbar drohender Angriff gegen ihn oder sein Fahrzeug bevorstand“ (US 5) – Feststellungen reklamiert, wonach der Angeklagte von mehreren Personen umringt war und gewaltsam in das Auto gesetzt wurde, weiters beim Anfahren die Fahrertüre geöffnet war und das Opfer P***** 30 Zentimeter unter dem Fahrzeug gelegen ist.
Der Hinweis auf die Aussage des Angeklagten im Krankenhaus und den Umstand, dass er „der einzige Türke unter lauter Kurden und Kurdensympathisanten war“, bleibt in diesem Zusammenhang unverständlich.
Ebenfalls nicht prozessordnungskonform ausgeführt ist die Subsumtionsrüge (Z 10), die unter Verweis auf die Mängel- und Rechtsrüge vermeint, das Erstgericht habe Feststellungen zum Vorliegen einer bedrohlichen Situation unterlassen (vgl aber die gegenteiligen Feststellungen US 5), und bei Vorliegen einer Notstandssituation „jedenfalls nicht die Absicht“ der schweren Körperverletzung (so aber die Konstatierungen US 6), sondern „allenfalls“ einen darauf gerichteten Eventualvorsatz oder Fahrlässigkeit feststellen können.
Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) durfte das Schöffengericht das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und „die zweifach vorliegende Verletzungsqualifikation“ zu 1./ (US 15) erschwerend werten, wurden doch durch die gegenständliche Tat zwei Personen verletzt, somit das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung zweifach begangen (zur gleichartigen Idealkonkurrenz vgl Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 11, 16), und hätten zu 1./ sowohl die an sich schwere Verletzung als auch die länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung jeweils für sich das Tatbestandsmerkmal der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) erfüllt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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