Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch des Verfalls von 20 Euro aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Günther W***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG schuldig erkannt.
Danach hat er in der Zeit von 2006 bis 12. Mai 2012 in Wien in zahlreichen Angriffen gewerbsmäßig vorschriftswidrig Suchtgift (nämlich Morphin) in einer die (mit 10 Gramm festgesetzte) Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 79 Stück Substitol á 200 mg Morphinsulfatpentahydrat (enthaltend eine Reinsubstanz von 150 mg Morphin je Kapsel, sohin insgesamt 11,85 Gramm Morphin [US 4 fünfter Absatz]), dem abgesondert verfolgten Esef A***** durch gewinnbringenden Verkauf um zumindest 15 Euro pro Stück überlassen, wobei er bereits am 18. Oktober 1983 zu AZ 6c Vr 6233/82 Hv 760/83 des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG (§ 12 Abs 1 SGG) verurteilt worden war.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Günther W*****, der teilweise Berechtigung zukommt.
Zutreffend zeigt die Mängelrüge nämlich betreffend die Annahme des Vorliegens einer Vorverurteilung wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG Nichtigkeit aus Z 5 vierter Fall auf.
Die Tatrichter gründeten die Feststellung des (hier mit rund 4% angenommenen) Reinheitsgehalts des vom Vorurteil umfassten Haschisch auf Erfahrungswerte, ohne diese als gerichtsnotorische Tatsachen in der Hauptverhandlung erörtert zu haben. Der Angeklagte hat jedoch ein aus dem fair-trial-Gebot des Art 6 MRK erfließendes Recht darauf, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Auch das, was gerichtskundig ist, muss in der Hauptverhandlung vorkommen, um zur Grundlage von Feststellungen werden zu können. Hat aber das Erstgericht die Feststellung einer durchschnittlichen Wirkstoffkonzentration - wie hier - auf eine von ihm angenommene Gerichtsnotorietät gestützt, über die der Angeklagte nicht informiert wurde, so hat es gegen seine aus Z 5 vierter Fall relevierbare Erörterungspflicht verstoßen (RIS-Justiz RS0119094; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463).
Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der Unterstellung der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Taten unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG bereits bei nichtöffentlicher Beratung.
Der verbleibende Schuldspruch wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG kann mit Blick auf die vom Gesetz vorgesehene Prüfung der Voraussetzungen einer vorläufigen Einstellung nach § 37 SMG iVm § 35 Abs 2 SMG schon aus diesem Grund ebenfalls keinen Bestand haben, weswegen das weitere Vorbringen des Angeklagten auf sich beruhen konnte.
Dieser und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird daher bei erneuter Annahme gewerbsmäßigen Überlassens von Substitolkapseln mit Blick auf die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG der im Vorurteil nicht festgestellte Reinheitsgehalt des im nach Italien einzuführen versuchten Haschisch notorisch enthaltenen Wirkstoffs Delta-9-THC nach entsprechender Erörterung in der Hauptverhandlung festzustellen sein.
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