OGH 15Os139/03

OGH15Os139/0330.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rosa G***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges als Beteiligte nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall, § 12 dritter Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 6. Mai 2003, GZ 603 Hv 3/03m-113, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Weiss, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten Rosa G***** und ihres Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 6. Mai 2003, GZ 603 Hv 3/03m-113, verletzt § 73 StPO und den im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Text

Gründe:

In dem beim Landesgericht Korneuburg zu AZ 603 Hv 3/03m anhängigen Verfahren gegen Rosa und Manuela G***** wurde in der Hauptverhandlung am 11. Februar 2003 das Verfahren gegen die Erstangeklagte Rosa G***** wegen deren Abwesenheit zur Vermeidung von Verzögerungen gemäß § 57 Abs 1 StPO ausgeschieden. Die Zweitangeklagte Manuela G***** wurde des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges als Beteiligte nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall und 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt. Nach den relevanten Urteilsfeststellungen habe die Erstangeklagte die Betrügereien als unmittelbare Täterin begangen (US 4 bis 8, insb US 7).

Am 11. März 2003 zeigte der Vorsitzende des Schöffengerichts mit Bezugnahme auf diese Urteilsannahmen dem Präsidenten des Landesgerichtes Korneuburg seine allfällige Befangenheit in dem gegen Rosa G***** durchzuführenden Verfahren an. Dieser verneinte mit Beschluss vom 28. März 2003 dessen Befangenheit in der vorliegenden Strafsache. Hierauf lehnte der Verteidiger der Erstangeklagten am 29. April 2003 den Vorsitzenden des Schöffensenats wegen der erwähnten, von einer unmittelbaren Täterschaft der Erstangeklagten ausgehenden Feststellungen im Urteil gegen die Zweitangeklagte ab. Dieses Gesuch wurde vom Vizepräsidenten des Landesgerichtes Korneuburg mit Beschluss vom 2. Mai 2003 abgewiesen.

In der Hauptverhandlung am 6. Mai 2003 lehnte der Verteidiger der Erstangeklagten mit derselben Begründung sowohl (neuerlich) den Senatsvorsitzenden als auch die beisitzende Richterin ab, worauf der Schöffensenat entgegen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft gemäß § 238 StPO den Beschluss fasste, der Vorsitzende und die beisitzende Richterin seien als befangen anzusehen (ON 113, S 4 ff).

Rechtliche Beurteilung

Die Befangenheitsentscheidung des Schöffensenats des Landesgerichts Korneuburg vom 6. Mai 2003 steht wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Gemäß § 73 StPO ist das Gesuch, mit dem ein Beteiligter die Ablehnung eines Mitglieds des erkennenden Gerichtes geltend machen will, längstens binnen 24 Stunden vor Beginn der Verhandlung zu überreichen oder zu Protokoll zu geben. Später eingebrachte Gesuche, womit die Ablehnung eines Richters geltend gemacht wird, sind nur dann zulässig, wenn die sie begründenden Umstände dem Antragsteller erst danach bekannt geworden sind (vgl Mayerhofer StPO4 § 74 E 7). Aus § 281 Abs 1 Z 1 StPO ist abzuleiten (arg a maiori ad minus, vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 33), dass ein innerhalb von 24 Stunden vor der Hauptverhandlung zur Kenntnis gelangter Ablehnungsgrund spätestens bei Beginn der Hauptverhandlung, ein erst in der Hauptverhandlung bekannt gewordener jedoch sofort geltend gemacht werden muss.

Ist ein erst in der Hauptverhandlung gestellter Antrag im dargestellten Sinn verfristet, ist er vom darüber nach § 238 StPO erkennenden Gericht nicht inhaltlich zu erledigen, sondern zurückzuweisen.

Gegen die Entscheidung des Vorstehers eines Gerichts über einen fristgerecht vor der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag ist gemäß § 74 Abs 3 StPO kein Rechtsmittel zulässig (während die Ablehnung eines zulässiger Weise erst in der Hauptverhandlung gestellten Antrags durch das erkennende Gericht mit Urteilsanfechtung nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO bekämpft werden kann). Der im Gesetz normierte Rechtsmittelausschluss darf nach dem Sinn und Zweck der Bestimmung nicht dadurch umgangen werden, dass ein vor der Hauptverhandlung (vom zuständigen Vorsteher des Gerichts bereits rechtskräftig) abgewiesener Ablehnungsantrag in der Hauptverhandlung einfach wiederholt wird (SSt 52/29; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 388). Abgesehen davon steht einer inhaltlichen Entscheidung über die bloße Wiederholung eines bereits rechtskräftig erledigten Ablehnungsantrags bei unveränderter Sachlage auch der im XX. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerte allgemeine Grundsatz, dass über eine erledigte Sache nicht nochmals entschieden werden kann, entgegen.

Der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg verletzt daher § 73 StPO, weil der Ablehnungsantrag ausschließlich auf Gründe gestützt worden ist, die der Antragstellerin nicht erst in der Hauptverhandlung bekannt geworden sind. Hinsichtlich des den Vorsitzenden betreffenden Teils der Entscheidung verstößt er auch gegen den im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen, weil er die Vorentscheidung des Vizepräsidenten des Landesgerichtes Korneuburg vom 2. Mai 2003 über den inhaltsgleichen schriftlichen Antrag außer Acht ließ.

Die Entscheidung war jedoch auch inhaltlich teilweise verfehlt. Denn ein Richter, der an der abgesonderten Verurteilung eines Mitangeklagten mitgewirkt hat, ist nicht schon dann als befangen anzusehen, wenn diese Verurteilung eine Täterschaft des nunmehrigen Angeklagten zur Voraussetzung gehabt hat (vgl SSt 52/29 für Fälle der Mittäterschaft). Dies trifft im konkreten Fall jedenfalls auf die beisitzende Richterin zu. Sofern ein Richter jedoch wie im vorliegenden Fall der Vorsitzende durch zusätzliche Umstände (siehe seine Anzeige an den Präsidenten: "... keinen wie immer gearteten Spielraum für einen anderen als einen verurteilenden Verfahrensausgang ...", "... bereits ein abschließendes Urteil gebildet ...", "... gegenteilige Verfahrensergebnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließe ...") zu erkennen gibt, dass er der ihm durch § 57 Abs 1 RDG auferlegten Verpflichtung zuwider ersichtlich nicht bereit ist, seine bei der ersten Urteilsfällung vertretene Meinung erforderlichenfalls der jeweiligen Prozesslage entsprechend zu ändern, liegt tatsächlich Befangenheit vor (Mayerhofer StPO4 § 72 E 10).

Die Gesetzesverletzung war lediglich festzustellen (§ 292 vorletzter Satz StPO). Denn obwohl die Angeklagte durch sie formal im Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden ist, wirkte dies im konkreten Fall nicht zu ihrem Nachteil.

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