Spruch:
Das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 27. September 2006, AZ 25 Bl 86/06w, verletzt § 473 Abs 2 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 20. Februar 2004, GZ 6 U 489/05d-13, wurde Edith M***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 dritter und vierter Fall StGB schuldig erkannt, weil sie am 5. August 2005 in Weissensberg (Deutschland) Werner S***** im Rahmen eines Golfturniers in Gegenwart der Lena Maria K*****, mithin in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise, durch die Bemerkung, es kursiere das Gerücht, dass Werner S***** mit David R***** eine homosexuelle Beziehung unterhalte und die Ehegattin des Werner S***** beim Sex der beiden Männer im Hotel des Golfclubs zusehe, Werner S***** eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigte, das geeignet war, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen.
Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen sind sowohl der Privatankläger Werner S***** als auch die Beschuldigte Edith M***** Mitglieder des Golfclubs B*****. Im Rahmen eines Golfturniers wandte sich die Beschuldigte am 5. August 2005 an die Mitspielerin Lena Maria K***** und bemerkte dieser gegenüber, es wäre erschreckend, welche Gerüchte im Golfclub kursieren. Es werde erzählt, dass David R***** und Werner S***** ein homosexuelles Verhältnis hätten, die Ehegattin des Werner S***** davon wisse und angeblich beim Sex der beiden Männer im Hotel des Golfclubs zusehe. Die Beschuldigte handelte dabei mit dem Willen, Werner S***** in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens zu beschuldigen. Zwischen dem Privatankläger und David R***** bestand zu keinem Zeitpunkt ein homosexuelles Verhältnis.
Der Verantwortung der Beschuldigten, sie habe sich Lena Maria K***** gegenüber vertraulich und nur fragend bzw entrüstet über das Entstehen derartiger Gerüchte geäußert, folgte das Erstgericht nicht, vielmehr sei „anzunehmen", dass sie „derart nur ihre Beschuldigung unter die Leute bringen wollte" (US 4 f).
In Stattgebung der Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit gemäß §§ 468 Abs 1 Z 4, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO hob das Landesgericht Feldkirch mit Urteil vom 27. September 2006, AZ 25 Bl 86/06w (ON 20), dieses Urteil auf und sprach - ohne Beweiswiederholung oder -ergänzung - Edith M***** von der gegen sie erhobenen Privatanklage gemäß § 259 Z 3 StPO frei. In seiner Begründung wies das Berufungsgericht darauf hin, dass die bloße - nicht mit eigener Missachtung verbundene - Wiedergabe einer Beschuldigung durch einen Dritten den Tatbestand des § 111 Abs 1 StGB nicht zu erfüllen vermag. Bei seiner Argumentation, ein „Zeihen" oder „Beschuldigen" iSd § 111 Abs 1 StGB könne der Angeklagten daher nicht angelastet werden, weil sie sich „festgestelltermaßen" nicht mit dem Gerücht identifizierte, sondern es mit für den Dritten erkennbarer Distanz wiedergab, orientierte sich jedoch das Berufungsgericht nicht an den (oben zusammengefasst wiedergegebenen) gegenteiligen Urteilskonstatierungen, wonach sich Edith M***** gerade nicht vom erhobenen Vorwurf distanzierte, sondern diesen „unter die Leute bringen" wollte.
Rechtliche Beurteilung
Die Vorgangsweise des Landesgerichtes Feldkirch widerspricht - wie der Generalprokuratur in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - § 473 Abs 2 StPO. Demzufolge ist auch der Gerichtshof erster Instanz als Berufungsgericht bei einer in Erledigung einer Rechtsrüge erfolgenden Entscheidung in der Sache selbst an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt gebunden (vgl § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO). Hätte das Berufungsgericht im Rahmen der Entscheidung über eine Schuldberufung hingegen gegen die Richtigkeit der dem Urteil erster Instanz zu Grunde liegenden Feststellungen oder gegen die vom Erstgericht gezogenen Schlussfolgerungen Bedenken und will es von diesen abweichen, so ist es zur Wiederholung des vom Erstgericht durchgeführten Beweisverfahrens verpflichtet (§ 473 Abs 2 StPO). Im vorliegenden Fall hätte daher das Berufungsgericht nicht von den vom Erstgericht festgestellten Tatsachen abweichen, sondern nur nach neuerlicher Aufnahme der Beweise von einer hinreichenden Distanz der Angeklagten zu dem von ihr wiedergegebenen Gerücht ausgehen dürfen. Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung ausschließlich zum Vorteil der Angeklagten auswirkte, bleibt ihre Feststellung ohne konkrete Wirkung.
Eine amtswegige Wahrnehmung gemäß § 290 Abs 1 StPO betreffend ein von der Nichtigkeitsbeschwerde gar nicht angefochtenes Urteil (nämlich jenes des Bezirksgerichtes Bregenz vom 20. Februar 2006, AZ 6 U 489/05d) ist - der Äußerung des Verteidigers gemäß § 35 Abs 2 StPO zuwider - gesetzlich nicht vorgesehen.
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