European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00131.24I.1209.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Im Verfahren AZ 9 U 140/23s des Bezirksgerichts Hernals verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 3. April 2024 § 86 Abs 1 StPO iVm § 31a Abs 1 StGB.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Hernals die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Gründe:
[1] Mit (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 27. November 2023, GZ 9 U 140/23s‑13, wurde S* S* (aufgrund einer Tat vom 5. September 2023) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von acht Wochen verurteilt. Als erschwerend wertete die Einzelrichterin (auf Grundlage der in der Hauptverhandlung verlesenen [§ 252 Abs 2 StPO], mit den Daten des Angeklagten angefragten Strafregisterauskunft [vgl ON 2.3 und ON 6]) „die einschlägige Vorverurteilung“, als mildernd hingegen keinen Umstand (US 3). Von einer Diversion nahm sie mangels Verantwortungsübernahme des Angeklagten Abstand (US 3).
[2] Dieses (Abwesenheits-)Urteil erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
[3] Mit Erlass vom 14. März 2024 übermittelte das Bundesministerium für Justiz im Hinblick auf den im Abwesenheitsurteil angenommenen Erschwerungsgrund („einschlägige Vorverurteilung“) Strafregisterauskünfte betreffend S* S* (keine Vorstrafen ausweisend) und A* S* (vier Vorstrafen ausweisend) sowie Auszüge aus dem Fremdenregister zu diesen beiden Personendatensätzen mit dem Ersuchen um „dringende Prüfung des Sachverhalts und Bekanntgabe, ob eine Personenidentitätsprüfung […] in gegenständlicher Strafsache“ erfolgt sei (ON 20).
[4] Mit an das Bundesministerium für Justiz gerichteter Note vom 15. März 2024 teilte das Bezirksgericht Hernals mit, eine Identitätsprüfung sei insoweit erfolgt, als die Personendatensätze betreffend die „Vornamen beider Elternteile“ und den „Geburtsort“ übereinstimmen würden (ON 21).
[5] Am 29. März 2024 beantragte die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Milderung der über S* S* verhängten Strafe gemäß § 31a Abs 1 StGB. Nach den nunmehrigen Erkenntnissen sei in Bezug auf die beiden genannten Personendatensätze nicht von Personenidentität auszugehen; der Verurteilte sei demnach zum Urteilszeitpunkt unbescholten gewesen (ON 22).
[6] Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 3. April 2024 (ON 27) wurde die über S* S* verhängte Freiheitsstrafe von „8 Wochen nachträglich angemessen auf eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 31 Tagen gemildert“. In ihrer Begründung führte die Richterin aus, es habe sich nachträglich erwiesen, dass „die Identität des Angeklagten nicht mit der im Strafregister aufscheinenden Person“ übereinstimme. „Das Fehlen von einschlägigen Vorverurteilungen“ hätte zu einer milderen Strafe geführt, da somit der Erschwerungsgrund gemäß § 33 Abs 1 Z 2 StGB nicht vorgelegen wäre. Der Milderungsgrund des bisher ordentlichen Lebenswandels gemäß § 34 Abs 1 Z 2 StGB wäre „dem Angeklagten jedoch trotzdem nicht zugutegekommen, da es sich bei der verurteilten Tat am 5. September 2023 nicht um eine erst- und einmalige kriminelle (Diebstahls‑)Aktivität des Angeklagten handelte und die Tat auch nicht in einem auffallenden Widerspruch zum sonstigen Verhalten des Täters stand“.
Rechtliche Beurteilung
[7] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[8] Ein Beschluss hat gemäß § 86 Abs 1 StPO neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten. In der Begründung sind die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Überlegungen auszuführen, die der Entscheidung zu Grunde gelegt werden (§ 86 Abs 1 erster und vierter Satz StPO). Die Pflicht zur Angabe des rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhalts umfasst auch jene zur Darlegung der Tatsachen (Beweisergebnisse), auf denen diese Sachverhaltsannahmen beruhen. Erst dadurch wird die Tatsachengrundlage der Entscheidung (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) dahin überprüfbar, ob sie in formal einwandfreier Weise – also ohne Begründungsmängel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO und demnach nicht willkürlich – geschaffen worden ist. Demzufolge verletzen die Tatsachenannahmen eines Beschlusses das Gesetz, wenn sie ein Begründungsdefizit iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufweisen und solcherart als willkürlich zu beurteilen sind (RIS-Justiz RS0132725).
[9] Letzteres ist hier der Fall:
[10] Gemäß § 31a Abs 1 StGB hat das Gericht die Strafe angemessen zu mildern, wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, die zu einer milderen Strafe geführt hätten.
[11] Die (mit-)entscheidende (dem Vorliegen des Milderungsgrundes gemäß § 34 Abs 1 Z 2 StGB entgegenstehende) Sachverhaltsannahme, wonach es sich bei der „verurteilten Tat“ vom 5. September 2023 „nicht um eine erst- und einmalige kriminelle (Diebstahls‑)Aktivität des Angeklagten handelte und die Tat auch nicht in einem auffallenden Widerspruch zum sonstigen Verhalten des Täters stand“ (ON 27 S 2), lässt jegliche Ableitung aus – aktenkundigen – Beweismitteln vermissen (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO; vgl RIS-Justiz RS0099413). Der angefochtene Beschluss des Bezirksgerichts Hernals verletzt daher § 86 Abs 1 StPO iVm § 31a Abs 1 StGB.
[12] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Anzumerken bleibt, dass bei der neuerlichen Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 31a Abs 1 StGB (ausgehend von der vom Erstgericht im angefochtenen Beschluss gemilderten Sanktion [31 Tage Freiheitsstrafe]) das Verschlechterungsverbot zu beachten sein wird (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 35; vgl auch RIS-Justiz RS0115530).
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