OGH 15Os127/87

OGH15Os127/8729.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.September 1987 durch seinen Präsidenten Dr. Melnizky als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Harald A*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die (gegen den Ausspruch über die Strafe sowie über die privatrechtlichen Ansprüche gerichtete) Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 22.Juni 1987, GZ 17 Vr 2.480/86-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, §eneralanwalt Dr. Tschulik, und der Verteidigerin Dr. Plematl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 15.September 1962 geborene Harald A*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechenz des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 15.September 1986 in Bad Hofgastein versucht, den Adolf O*** vorsätzlich zu töten, indem er diesem mit einem ca 20 cm langen Klappmesser (ca 9 cm Klingenlänge) fünf Stiche in die Brust und in den Bauch versetzte, wodurch Adolf O*** an sich schwere, mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit sowie einer schweren Dauerfolge verbundene lebensbedrohende Stichverletzungen im Brust- und Bauchbereich mit Eröffnung des Brustraumes, Durchschneidung einer Schlagader zwischen den Rippen und Verletzung des mittleren Brustraumes zwischen den beiden Lungenhälften, sowie im Bereich der Leber, der Milz und des Bauchspeicheldrüsenschwanzes, verbunden mit einer notwendigen operativen Entfernung der Milz, erlitten hat.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch unbegründet ist. Zu Unrecht erblickt der Beschwerdeführer im Unterbleiben einer Fragestellung nach Notwehr und nach Notwehrüberschreitung eine Verletzung der in den §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften (Z 6). Zusatzfragen (a) nach Notwehr oder (b) nach Notwehrexzeß in Verbindung mit einer Eventualfrage nach fahrlässiger Körperverletzung aus dem Grunde fahrlässiger Notwehrüberschreitung wären nämlich nur zu stellen gewesen, wenn vom Angeklagten in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden wären, nach denen er sich entweder (zu a) nur der Verteidigung bedient hätte, die notwendig gewesen wäre, um einen gesetzwidrigen oder unmittelbar drohenden Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut von sich abzuwehren, oder wenn er darnach (zu b) das gerechtfertigte Maß der Verteidigung lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken überschritten hätte. War dagegen durch sein Vorbringen in der Hauptverhandlung bloß indiziert, daß zwar eine Notwehrsituation bestand, daß er jedoch das Maß zulässiger Verteidigung aus anderen Gründen - wie etwa aus Zorn oder Rache, also aus sogenannten sthenischen Affekten - nicht eingehalten hat, so lagen die Voraussetzungen für eine solche Fragestellung nicht vor, weil diesfalls eben - insgesamt - kein Tatsachenvorbringen vorliegt, das im Falle seines Nachweises die Strafbarkeit (als Vorsatztat) ausschließen würde (§ 313 StPO); gerade das aber traf im gegenständlichen Fall zu.

Denn der Angeklagte hat sich zwar in der Hauptverhandlung (im Gegensatz zu seinen Angaben im Vorverfahren) der Sache nach auf eine durch Angriffe des Adolf O*** gegen seine körperliche Integrität und (mit Bezug auf seine Geschlechtssphäre auch) gegen seine Freiheit hervorgerufene Notwehrlage berufen, doch hat er dabei zum einen - der Beschwerdeauffassung zuwider - keineswegs eine derartige Intensität dieser Angriffe dargestellt, daß zu deren Abwehr Messerstiche notwendig gewesen wären, und zum anderen (auch dabei) ausdrücklich zugegeben, aus Zorn und Haß über die vorangegangenen homosexuellen Annäherungsversuche O*** auf diesen eingestochen zu haben, wobei er sich (allerdings) nur mehr an einen einzigen Messerstich erinnern zu können behauptete. Würde dieses Vorbringen als erwiesen angenommen, ließe es nur die rechtliche Deutung zu, daß Harald A*** sich aus sthenischen Affekten über die Grenze maßhaltender Verteidigung hinweggesetzt hat, womit aber für die reklamierte Fragestellung nach rechtfertigender Notwehr (oder Notwehrüberschreitung) kein Raum war.

Die Rechtsbelehrung erachtet der Beschwerdeführer zunächst deshalb für fehlerhaft (Z 8), weil bei den Erläuterungen zum Begriff des bedingten Vorsatzes nicht ausdrücklich auf den Unterschied zur bewußten Fahrlässigkeit eingegangen worden sei. Die schriftliche Rechtsbelehrung muß indes nur eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale jener strafbaren Handlungen, auf welche die Haupt- und Eventualfragen gerichtet sind, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten (§ 321 StPO), nicht jedoch auf andere, in den Fragen nicht aufscheinende, wenngleich mit ihnen verwandte Rchtsbegriffe eingehen (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr 22 zu § 345 Abs 1 Z 8). Es hat daher genügt, in der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung den Begriff des bedingten Vorsatzes in einer dem Gesetz entsprechenden und für Laien verständlichen Weise zu erörtern (vgl hiezu S 6/7 der Rechtsbelehrung, Beilage zum Hauptverhandlungsprotokoll ON 46). Zudem hält der Beschwerdeführer die Rechtsbelehrung zur Eventualfrage nach Totschlag darum für mangelhaft, weil bei der Erklärung der allgemeinen Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung "immer wieder auf den Durchschnittsmenschen abgestellt" worden sei; dabei wäre "jedoch", so vermeint er, eine "gruppenspezifische Prüfung" vorzunehmen gewesen, da ein Schwachsinniger (wie er) nur mit einem anderen Schwachsinnigen verglichen werden könne.

Auch diese Rüge versagt.

Gewiß ist es richtig, daß sich die Vergleichsperson, auf die es bei der Prüfung der Frage ankommt, ob der tiefgreifende Affekt, in welchem sich jemand zur (vorsätzlichen) Tötung eines anderen hinreißen läßt, in Relation zu seinem Anlaß sittlich verständlich ist, dem individuellen Täter möglichst annähern muß, sodaß als (fiktive) Maßfigur ein rechtstreuer Mensch von der körperlichen und geistigen Beschaffenheit des Täters in der speziellen Tatsituation heranzuziehen ist; demzufolge ist nicht zu prüfen, ob ein intellektuell durchschnittlich begabter Mensch genauso in eine heftige Gemütsbewegung geraten wäre wie ein Schwachsinniger. Wohl aber ist zu beurteilen, ob auch ein durchschnittlich rechtstreuer Schwachsinniger einem derartigen Affekt unterlegen wäre: zwar nicht ein intellektuelles Durchschnittsniveau ist dem hier aktuellen objektiven Maßstab zugrunde zu legen, wohl aber eine durchschnittliche Rechtstreue, also Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten. Für unter dem charakterlichen Niveau der Maßfigur liegende Chraktereigenschaften, welche den Affektdurchbruch herbeigeführt oder gefördert haben, haftet daher auch der geistig primitive Täter (JBl 1986, 261; Moos im WK Rz 31, 33 bis 36 zu § 76). Eben das kommt aber in der Rechtsbelehrung insofern zum Ausdruck, als darnach eine Gemütsbewegung, um allgemein begreiflich zu sein, (ua) derart entstanden sein muß, daß sich auch ein rechtstreuer Durchschnittsmensch vorstellen könnte, in der Situation des Täters unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles gleichfalls in eine solche Gemütsverfassung zu geraten (S 8 der Rechtsbelehrung); davon, daß die Geschwornen belehrt worden wären, "betreffend die Allgemeinbegreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung einen Schwachsinnigen mit einem intellektuell normalen Durchschnittsmenschen vergleichen zu müssen", kann - dem Beschwerdevorbringen zuwider - keine Rede sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 41 Abs 1 Z 1, 75 StGB zu sechs Jahren Freiheitsstrafe, wobei es die (besonders schweren) Folgen der Tat, die einschlägige Vorstrafe und die Ausnützung der Wehrlosigkeit des Opfers als erschwerend, hingegen ein Tatsachengeständnis (gemeint wohl: einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung), die heftige Gemütsbewegung, daß es beim Versuch der Tat geblieben ist, die verminderte Dispositionsfähigkeit infolge Geistesschwäche, vernachlässigter Erziehung und neurotischer Fehlentwicklung sowie schließlich die Selbststellung des Angklagten als mildernd wertete. Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurden der S***

G*** 31.201 S und dem Adolf O*** 5.000 S

zugesprochen.

Gegen diesen Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wendet der Angeklagte in seiner Berufungsausführung ein, daß er auf Grund seiner von den Sachverständigen angenommenen Debilität als Wahn- oder Blödsinniger im Sinne des § 1308 ABGB einzustufen sei, demgemäß aber Adolf O*** als Beschädigter (damit aber auch die S*** G*** als Legalzessionär) wegen der Beschädigung keinen Ersatz ansprechen könne, weil er zu dieser durch seine homosexuellen Annäherungsversuche schuldhaft selbst Veranlassung gegeben hat.

Dieser Einwand scheitert schon am Wahrspruch der Geschwornen, die die Zusatzfrage, ob der Angeklagte zur Tatzeit wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln - gedeckt durch die Gutachten der Sachverständigen Univ.Prof. Dr.Werner L*** (S 271 ff) und Univ.Prof. Dr.Heinz P*** (S 340 ff), die dem Angeklagten (leichten) Schwachsinn (S 271), indes ohne völligen Verlust der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit bescheinigten (S 273, 343) - verneinten.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 1308 ABGB war daher der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche ein Erfolg zu versagen.

In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte auch noch gesondert "Berufung" (ersichtlich gemeint: gegen den Ausspruch über die Strafe) angemeldet, allerdings dieses Rechtsmittel weder in der Berufungsschrift noch mündlich im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung ausgeführt.

Da im vorliegenden Fall aber mit Rücksicht auf die gesetzliche Strafdrohung (§ 75 StGB) eine Anfechtung des Ausspruchs über die Strafe durch den Angeklagten überhaupt nur in Richtung einer Herabsetzung der Strafe in Betracht kommt (vgl §§ 37 Abs 2, 43 Abs 1 letzter SatzStGB), wurde diesfalls dem Erfordernis der deutlichen und bestimmten Bezeichnung der Punkte des Erkenntnisses, durch die sich der Berufungswerber beschwert findet (§ 294 Abs 4 StPO) doch (noch) Genüge getan. Die Berufung war daher auch in diesem Punkte meritorisch zu erledigen, allerdings konnte ihr mit Rücksicht auf die vom Geschwornengericht nach im wesentlichen richtiger und vollständiger Erfassung und Gewichtung der Strafbemessungsgründe ohnedies weitgehend vorgenommene außerordentliche Strafmilderung (§ 41 Abs 1 Z 1 StGB) kein Erfolg beschieden sein.

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