OGH 15Os124/92-8

OGH15Os124/92-812.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.November 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Waltena, Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Schneider als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ismail C***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und Abs. 3 1. und 2. Deliktsqualifikation StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2.Juli 1992, GZ 30 d Vr 7163/91-73, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Fabrizy, und des Verteidigers Dr.Mayer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 6 (sechs) Jahre herabgesetzt wird.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ismail C***** auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen (zu 1 und 2) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und Abs. 3 erster und zweiter Fall (richtig: der (realkonkurrierenden) Verbrechen der Vergewaltigung zu 1 nach § 201 Abs. 1 und Abs. 3 1. und 2.Fall StGB und zu 2 nach § 201 Abs. 1 StGB) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

1. am 8.Juli 1991 Sonja T***** mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt und durch gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme und Duldung des Beischlafes und dem Beischlaf gleichzusetzender Handlungen genötigt, indem er ihr eine Vielzahl von heftigen Schlägen, insbesondere ins Gesicht versetzte, sie würgte und sich wiederholt äußerte, er würde sie umbringen, falls sie ihm nicht zu Willen wäre, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB), nämlich eine Nasenbeinfraktur mit Verschiebung der Bruchstücke, einen Knochensprung im linken Ringfinger, massive Hämatome im Bereich beider Augen, deutlich ausgeprägte Verletzungsspuren am Hals und Blutunterlaufungen an beiden Oberarmen sowie ein Oberlippenhämatom rechts, zur Folge hatte und die vergewaltigte Person durch die Tat längere Zeit hindurch - nämlich zumindest eine Stunde lang - in einen qualvollen Zustand versetzt wurde;

2. am 28.September 1991 Leopoldine U***** mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt zur Vornahme und Duldung des Beischlafes genötigt, indem er ihr eine Vielzahl von Schlägen, auch mit einem Rollmaßband, insbesondere ins Gesicht versetzte und ihr büschelweise die Haare ausriß, wobei die Tat zumindest eine Rißquetschwunde in der Jochbeingegend rechts, eine Blutunterlaufung um das rechte Auge, an der rechten Wange, am rechten Unterkieferarm und an der Oberlippe sowie eine Prellung des Schädels und der rechten Hand zur Folge hatte.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform nach Vergewaltigung gerichteten zwei Hauptfragen (jeweils einstimmig) bejaht und folgerichtig die (dadurch gegenstandslos gewordenen) Eventualfragen nach schwerer Körperverletzung und geschlechtlicher Nötigung (zur Hauptfrage 1) unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft beide Schuldsprüche mit einer (jeweils getrennt) auf die Gründe des § 345 Abs. 1 Z 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Mit dem zuerst genannten Nichtigkeitsgrund (Z 6) rügt der Angeklagte zum Faktum 1 (Sonja T*****), der Schwurgerichtshof habe die Bestimmung des § 314 StPO dadurch verletzt, daß er es unterlassen habe, eine Eventualfrage in Richtung Schändung nach § 205 StGB in das Fragenschema aufzunehmen, obwohl eine solche Frage auf Grund seiner Verantwortung (am zweiten Verhandlungstag), er habe Sonja T***** "durch Gewalt ohne auf Vornahme eines Beischlafs oder (eine) diesem gleichzusetzende geschlechtliche Handlung gerichteten Vorsatz widerstandsunfähig gemacht und versucht, diese zu mißbrauchen", indiziert gewesen wäre; die gestellte Eventualfrage 2 nach versuchter (geschlechtlicher) Nötigung erfasse diese Verantwortung nicht, sodaß die Geschworenen bei Beantwortung dieser Eventualfrage auf sein Vorbringen nicht eingehen hätten können.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 2.Juli 1992 (zwar widersprüchlich, aber im Kern zusammengefaßt) dahingehend verantwortet, daß er zunächst mit Sonja T***** in mehreren Stellungen geschlechtlich verkehrt und erst im Laufe einer (wegen der Höhe des verlangten Schandlohnes entstandenen) tätlichen Auseinandersetzung den Entschluß gefaßt hat, mit ihr noch einen Geschlechtsverkehr durchzuführen und sie zu vergewaltigen; zu diesem Zweck drückte er sie aufs Bett bzw. versuchte er sie dorthin zu werfen (S 247-249/II).

Dieses Vorbringen in der Hauptverhandlung enthält somit kein Tatsachensubstrat, demzufolge die Stellung einer Eventualfrage nach Schändung geboten gewesen wäre, weshalb der Schwurgerichtshof die vom Angeklagten vermißte Eventualfrage den Geschworenen gar nicht stellen durfte (Mayerhofer-Rieder StPO3 ENr. 51 zu § 314).

Damit ist aber auch schon der zum selben Faktum erhobenen Instruktionsrüge (Z 8), mit welcher der Angeklagte die Rechtsbelehrung insofern als unvollständig rügt, als sie nichts über den Tatbestand der vollendeten bzw. versuchten Schändung nach § 205 StGB enthält, der Boden entzogen. Da nämlich den Geschworenen keine derartige Eventualfrage gestellt wurde, bedurfte es auch keiner Erläuterung in dieser Richtung (aaO ENr. 20 und 23 a zu § 345 Z 8).

Zu Unrecht erblickt der Beschwerdeführer eine Nichtigkeit im Sinne der Z 6 des 345 Abs. 1 StPO (unter rechtsirriger Berufung auf die ständige Rechtsprechung zum minderschweren Raub) aber auch in Ansehung des Schuldspruchs 2 (Leopoldine U*****) durch die Unterlassung der Stellung einer uneigentlichen Zusatzfrage (§ 316 StPO) nach minderschwerer Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB zur Hauptfrage 2.

Dieses Begehren ist indes schon vom Ansatz her verfehlt. Denn § 142 Abs. 2 StGB umschreibt nach ständiger Rechtsprechung (EvBl. 1989/126 und 15 Os 56/92) kein eigenes Delikt, sondern (lediglich) strafsatzändernde (den Täter privilegierende) Umstände, bei deren Vorliegen ein Raub nach § 142 Abs. 1 StGB einer milderen Strafdrohung unterliegt. Daher ist für den Fall der Bejahung der Hauptfrage nach Raub im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB bei entsprechendem Tatsachensubstrat eine uneigentliche Zusatzfrage (§ 316 StPO) nach den Voraussetzungen des § 142 Abs. 2 StGB zu stellen.

Im Gegensatz dazu normieren § 201 Abs. 1 und § 201 Abs. 2 StGB (schon nach dem Gesetzeswortlaut) zwei eigenständige Deliktstypen mit jeweils verschiedenen Nötigungsmitteln und gesonderten Strafdrohungen sowohl für die Grundtatbestände wie auch für deren Qualifizierung (vgl. Leukauf-Steininger Komm.3 § 201 RN 4 ff). Demnach enthält Abs. 2 des § 201 StGB nicht etwa bloß eine - wie die Beschwerde rechtsirrig vermeint - Privilegierung des Grundtatbestandes des Abs. 1 der zitierten Norm, sondern umschreibt ebenso einen selbständigen Verbrechenstatbestand der Vergewaltigung wie Abs. 1, sodaß § 201 StGB insoweit als kumulativer Mischtatbestand konzipiert ist. Darnach wäre im Geschworenengerichtsverfahren bei entsprechenden Beweisergebnissen in der Hauptverhandlung für den Fall der Verneinung der Hauptfrage nach Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB eine (zu beantwortende) Eventualfrage (§ 314 StPO) nach minderschwerer Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB zu stellen.

Im vorliegenden Fall bieten aber die in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Angeklagte habe zur Erreichung seines verbrecherischen Vorhabens bloß "Gewalt" gegen Leopoldine U***** angewendet. Abgesehen davon, daß das bezügliche Beschwerdevorbringen von der insoweit geständigen Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (S 202 und 212-215/II) erheblich abweicht, steht es auch mit der Zeugenaussage des vergewaltigten Opfers Leopoldine U***** (S 226 ff/II) in unlösbarem Widerspruch. Demnach war die Stellung einer solchen Eventualfrage - auf welche das Beschwerdevorbringen der Sache nach abzielt - hier gar nicht indiziert.

Fehl geht die Nichtigkeitsbeschwerde (§ 345 Abs. 1 Z 8 StPO) schließlich mit ihrer Behauptung, die Rechtsbelehrung sei deshalb unrichtig, weil sie bei der Beschreibung der (schweren) Gewalt nicht anführt, daß schwere Gewalt mehr ist als "erhebliche" Gewalt.

Indem der Schwurgerichtshof in der (schriftlichen) Rechtsbelehrung die Laienrichter erschöpfend und zutreffend nicht nur über das (in den zwei Hauptfragen enthaltene) Tatbildmerkmal der "höchsten Stufe der Gewalt", sondern darüber hinaus auch noch über das Wesen der bloßen "Gewalt" unterrichtet hat (S 7-8 und 9 der Beilage/A zu ON 71), konnte die Rechtsbelehrung - entgegen dem Vorbringen in der Instruktionsrüge - weder zu Mißverständnissen in Ansehung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Hauptfrage 2 gerichtet war, Anlaß geben, noch war sie geeignet, die Geschworenen bei Beantwortung der an sie gestellten Hauptfrage 2 auf einen falschen Weg zu weisen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs. 3 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Dabei wertete es bei der Strafbemessung als erschwerend die Wiederholung der strafbaren Handlungen und das brutale, rücksichtslose Vorgehen gegen die Opfer, als mildernd hingegen das teilweise Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel und das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung - allenfalls in Anwendung des § 41 StGB - der verhängten Freiheitsstrafe.

Sie ist damit teilweise im Recht.

Vorweg sind jedoch die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe zu berichtigen und zu vervollständigen:

"Das besonders rücksichtslose Vorgehen gegen die Opfer" stellt hier nach Lage der Dinge wegen des Doppelverwertungsverbotes keinen gesondert zu berücksichtigenden Erschwerungsumstand dar, weil das (gewiß) brutale und rücksichtslose Vorgehen des Angeklagten gegen Sonja T***** in seiner Gesamtheit die die aktuelle Strafdrohung des § 201 Abs. 3 StGB von fünf bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe bedingenden Deliktsqualifikationen ("schwere Körperverletzung" und "daß die vergewaltigte Person durch längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde") zur Folge hatte; bei Leopoldine U***** hinwieder bewirkt das im Punkt 2 des Urteilstenors beschriebene Verhalten des Angeklagten ersichtlich die Annahme des Tatbildmerkmals der "schweren" gegen sie gerichteten Gewalt nach Abs. 1 des § 201 StGB (vgl. Leukauf-Steininger Komm.3 § 32 RN 13 und § 201 RN 12).

Des weiteren reklamiert der Berufungswerber für sich zu Recht (sinngemäß) den Milderungsgrund des § 34 Z 1 StGB, daß er die Taten unter dem Einfluß eines abnormen Geisteszustandes begangen hat. Ein abnormer Geisteszustand kann nämlich auch in einer Besonderheit der Persönlichkeitsstruktur bestehen, die üblicherweise nicht bis zu einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand führt; er umfaßt somit alle Erscheinungsformen psychischer Abartigkeit. Ein bestimmtes Maß an Abnormität ist nicht vorausgesetzt, gefordert wird nur, daß sie den Willen des Täters beeinflußt hat (Leukauf-Steininger Komm.3 § 34 RN 4). Sowohl nach dem psychologischen wie auch nach dem psychiatrischen Gutachten (ON 31 und 34) liegt beim Angeklagten eine "schwere neurotische Verwahrlosung" mit deutlichen Zeichen einer "Identitätsstörung" (fehlende angepaßte Vorstellung der Bezüge seiner eigenen Person zur Bezugsperson bzw. zur Umgebung) und einer Entwicklung zur "Soziopathie" bzw. "Charakterneurose" (unter einem erhöhten Aggressionsdruck stehend, ist der Angeklagte nur schwer in der Lage, mit seinen eigenen Spannungen entsprechend fertig zu werden), sowie ferner eine Konfliktbereitschaft im Sexualbereich mit erhöhter Triebstärke vor. Hinzu kommt noch, daß die vorgenannten Persönlichkeitsstörungen bei beiden Urteilstaten durch übermäßigen Alkoholgenuß aktiviert bzw. verstärkt wurden.

Demgegenüber beschweren den Angeklagten zusätzlich zu der (schon vom Erstgericht berücksichtigten) Wiederholung der Straftaten (korrekt: daß er zwei strafbare Handlungen verschiedener Art begangen hat) einerseits die Tatsache, daß er Leopoldine U***** trotz anhängiger Voruntersuchung (zum Faktum Sonja T*****) und nach seiner am 11.Juli 1991 erfolgten Enthaftung gegen Gelöbnis vergewaltigt hat (aaO § 33 RN 14 a), andererseits die zweifache (die Strafdrohung begründende) Qualifikation im Faktum Sonja T*****.

Unter sorgfältiger Abwägung der Zahl und des Gewichtes der solcherart teils zum Vorteil, teils zum Nachteil des Berufungswerbers berichtigten und ergänzten Strafzumessungsgründe sowie unter angemessener Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) erachtet der Oberste Gerichtshof die Herabsetzung der vom Geschworenengericht über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe auf ein tatschuldangemessenes Ausmaß von sechs Jahren für gerechtfertigt. Insoweit war der Berufung daher Folge zu geben.

Einer noch weiteren Reduktion der Freiheitsstrafe - allenfalls unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 Abs. 1 Z 3 StGB - steht nicht nur die gravierende personale Täterschuld, sondern auch der bedeutende Unrechtsgehalt und soziale Störwert der Straftaten hindernd entgegen. Im übrigen kann dem Angeklagten wegen seiner neurotischen Persönlichkeitsstruktur und labilen Charakterbeschaffenheit, die ihn als gefährlichen Triebtäter kennzeichnen, derzeit keine günstige Verhaltensprognose (vgl. § 41 Abs. 1 StGB) erstellt werden.

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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