OGH 15Os120/20s

OGH15Os120/20s9.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen O* P* wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB, AZ 10 U 182/19g des Bezirksgerichts Donaustadt, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130741

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] O* P* wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 6. Februar 2020, GZ 10 U 182/19g‑18, des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

[2] Nach dem Schuldspruch hat er am 10. Juni 2019 in W* in einem Bus eine Person durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, indem er sein Geschlechtsteil gegen das Gesäß der M* L* drückte.

[3] Mit Urteil vom 22. Juli 2020 gab das Landesgericht für Strafsachen Wien der vom Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobenen Berufung nicht, hingegen jener der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Strafe Folge und erhöhte die verhängte Geldstrafe (AZ 135 Bl 24/20k).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien richtet sich der eine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK behauptende Antrag des Verurteilten auf Verfahrenserneuerung, welcher sich als offenbar unbegründet erweist.

[5] Voranzustellen ist, dass für einen nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß gelten. Da Opfereigenschaft iSd Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein, hat auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T1, T17]).

[6] Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten. Der EGMR prüft lediglich, ob Beweisaufnahmen und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das gesamte Verfahren unfair erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0120958, RS0105692; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 69).

[7] Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt aus dem Blickwinkel des Art 6 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen Urteils‑ oder Beschlussannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0129981).

[8] Es ist – im Rahmen eines ohne vorherige Befassung des EGMR gestellten Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens – nicht Aufgabe des Höchstgerichts, seine Ansicht bezüglich der Relevanz jedes einzelnen Beweisantrags zum Ausdruck zu bringen. Es beurteilt bei der gegenständlichen Behauptung, dem Erneuerungswerber sei die Präsentation von seiner Entlastung dienenden Beweisen verweigert worden, vielmehr nur, ob die Beweisaufnahme insgesamt in einer Weise vorgenommen wurde, die das Strafverfahren unfair erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0105692 [T12]).

[9] Mängel in diesem Sinn behauptet der Antrag nicht einmal. Vielmehr wiederholt er bloß das Berufungsvorbringen ohne substantielle Auseinandersetzung mit der Begründung des Berufungsgerichts und zieht auf Basis eigenständiger Erwägungen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen und zur Unglaubwürdigkeit der Verantwortung des Angeklagten in Zweifel (vgl RIS‑Justiz RS0106588 [T9]), womit er jenseits der genannten Kriterien die Beweiswürdigung bekämpft. Dazu dient der angesprochene Rechtsbehelf gerade nicht.

[10] Die Behandlung von Erneuerungsanträgen bedeutet nämlich nicht die Prüfung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde‑ oder Berufungsinstanz. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS‑Justiz RS0124359, RS0126458, RS0129606 [T2, T3]).

[11] Mit der Bezugnahme auf in erster Instanz gestellte Beweisanträge verfehlt der Verurteilte im Übrigen schon mangels Ausschöpfung des Rechtswegs sein Ziel (RIS‑Justiz RS0122737 [T13]). Er hat nämlich weder in seiner Berufung Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO geltend gemacht noch im Rahmen des Berufungsverfahrens Beweisanträge gestellt (vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 6.46).

[12] Soweit der Erneuerungsantrag eine Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK behauptet, verkennt er, dass der Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo) dann zum Tragen kommt, wenn nach eingehender Würdigung der Beweise objektiv vernünftige Zweifel am Vorliegen von für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage entscheidenden tatsächlichen Umständen gegeben sind (vgl Lendl, WK‑StPO § 258 Rz 36). Damit wird aber keine negative Beweisregel geschaffen, die das erkennende Gericht dazu verpflichtet, sich bei mehreren denkbaren Schlussfolgerungen durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden. Vorliegend versucht die Argumentation des Erneuerungswerbers erneut bloß die Beweiswürdigung zu bekämpfen, ohne damit eine Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK begründet darzulegen.

[13] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher bei nichtöffentlicher Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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