Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus deren Anlaß wird gemäß § 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seiner rechtlichen Beurteilung zu Punkt B und C des Schuldspruchs sowohl als Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB als auch als Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Entscheidung über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Murat T***** hat zu Punkt B und C des erstgerichtlichen Urteils das Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 sowie § 15 StGB begangen und wird hiefür sowie für das ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Urteils zur Last fallende Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 9 (neun) Monaten verurteilt.
Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 und 2 StGB wird die in diesem Verfahren erlittene Vorhaft vom 1.Februar 1994, 23 Uhr 40, bis 3.Februar 1994, 10 Uhr, sowie die im Verfahren AZ 22 d Vr 769/94 des Jugendgerichtshofes Wien erlittene Untersuchungshaft vom 10.September 1994, 16 Uhr 20, bis 1.Dezember 1994, 10 Uhr 05, auf die Strafe angerechnet.
Der Ausspruch betreffend die Kosten des Strafverfahrens erster Instanz wird aus dem erstgerichtlichen Urteil übernommen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 11.September 1978 geborene, sohin noch jugendliche türkische Staatsangehörige Murat T***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A) und des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB (B) sowie des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (C) schuldig erkannt.
Darnach hat er am 1.Februar (im Urteil unrichtig: Dezember) 1994 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit zwei bereits abgeurteilten Mittätern
zu A einem Unbekannten fremde bewegliche Sachen, nämlich einen Geldbetrag von mindestens 100 S, mit dem Vorsatz, sich durch diese Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe abgenötigt, indem er dem Unbekannten ein Messer zeigte und drohte: "Wenn Du kein Geld hergibst, bist Du tot";
zu B fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, durch Einbruch in Transportmittel, indem er das Türschloß der Kraftfahrzeuge mit einem Messer aufstach, weggenommen, und zwar
1./ der Angelika S***** aus deren PKW 12,70 S Bargeld, ein Feuerzeug und eine Uhr;
2./ der Sonja P***** aus deren PKW eine Handleuchte, eine optische Brille samt Etui und einen Satz Schneeketten;
zu C fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern wegzunehmen versucht, indem er mehrere unversperrte Personenkraftwagen unbekannter Eigentümer nach Geld oder anderen verwertbaren Gegenständen durchsuchte.
Das Jugendschöffengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie des § 5 Z 4 JGG eine Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten; gemäß § 43 a (zu ergänzen: Abs 3) StGB sah es einen Teil dieser Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nach.
Rechtliche Beurteilung
Lediglich den Strafausspruch bekämpft der Angeklagte mit seiner auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 11 zweiter Fall StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die Urteilsannahme, im Hinblick auf die äußerst ungünstige Zukunftsprognose sei die Gewährung bedingter Strafnachsicht iS des § 43 (zu ergänzen: Abs 1) StGB nicht möglich; diese "äußerst ungünstige Zukunftsprognose" sei aber nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen, weshalb das Ersturteil über einen entscheidenden Umstand (die erstellte Prognose) mit Begründungsmängeln behaftet sei.
Hierauf genügt die Erwiderung, daß als entscheidende Tatsache im Sinn des relevierten Nichtigkeitsgrundes lediglich Umstände in Frage kommen, die für die Unterstellung der Tat unter das Strafgesetz oder die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes von Relevanz sind (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 5 E 24, 26; Pallin, Strafzumessung Rz 180). Die für die Straffrage allenfalls bedeutsame Prognose über das künftige Verhalten des Rechtsbrechers ist demnach keine entscheidende Tatsache in der aufgezeigten Bedeutung, so daß dieser Beschwerdeeinwand ins Leere geht. Eine Bekämpfung des in Rede stehenden Umstandes ist nur mit Berufung möglich (EvBl 1988/108).
Die Strafzumessungsrüge (nominell: Z 11 zweiter Fall) bekämpft die Nichtanwendung des § 13 Abs 1 JGG mit der Argumentation, bezüglich jugendlicher Straftäter ausländischer Staatsangehörigkeit sei bei Prüfung dieser Frage (ersichtlich gemeint die Anwendbarkeit des § 13 Abs 1 JGG) die österreichische Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit in den Kreis der Erwägungen einzubeziehen und demnach auch zu berücksichtigen, daß gemäß § 18 Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: iVm Abs 2 Z 1) FrG wegen des Strafausspruchs im bekämpften Urteil ein Aufenthaltsverbot über den Angeklagten zu erlassen wäre. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß § 13 Abs 1 JGG deswegen anzuwenden gewesen wäre, weil dem Beschwerdeführer sonst ein Aufenthaltsverbot in Österreich drohe.
Mit diesem Vorbringen macht der Beschwerdeführer der Sache nach aber keine rechtsirrige Beurteilung einer Strafzumessungstatsache gemäß dem zweiten Fall der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO geltend, denn dem Urteil ist insoweit überhaupt keine Erwägung zu entnehmen. Vielmehr behauptet der Angeklagte durch die Unterlassung eines Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe einen unvertretbaren Verstoß gegen die Strafbemessung schlechthin in der Bedeutung des dritten Falls des § 281 Abs 1 Z 11 StPO.
Die Frage der Anwendbarkeit des § 13 Abs 1 JGG ist jedoch nach dem Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung davon abhängig, ob anzunehmen ist, daß der Schuldspruch und die Androhung des Strafausspruchs allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen werden, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Ob die Voraussetzungen hiefür vorliegen, ist eine Ermessensentscheidung des Gerichtes (vgl Jesionek JGG 1988, § 13 E 4, Mayerhofer/Rieder, Nebenstrafrecht3 JGG § 13 E 7), die ebenfalls nur mit Berufung anfechtbar ist. An diesen rechtlichen Erwägungen hat sich - der von der Verteidigung im Gerichtstag vertretenen Meinung zuwider - auch durch die Neufassung im JGG 1988 nichts geändert (vgl jüngst 13 Os 88/93 und 15 Os 141/93).
Demnach war die Nichtigkeitsbeschwerde insgesamt zu verwerfen.
Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, daß zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§ 281 Z 10 StPO). Das erstgerichtliche Urteil leidet nämlich im Ausspruch über die rechtliche Unterstellung der in den Punkten B und C des Schuldspruchs bezeichneten Taten durch deren getrennte Beurteilung als Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB (zu Punkt B) und als Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (zu Punkt C) an einer vom Angeklagten in seiner Beschwerde nicht geltend gemachten Nichtigkeit im Sinne der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO. Denn zufolge § 29 StGB sind alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie auch - wie hier - weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen und jeder für sich rechtlich verschiedener Art sein, bei ihrer rechtlichen Beurteilung zu einer Einheit zusammenzufassen; die getrennte Annahme eines Vergehens des Diebstahls neben einem Verbrechen eben dieses Deliktstypus ist daher unzulässig (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 29 E 5). Ein solcher Verstoß gegen das Zusammenrechnungsprinzip des § 29 StGB begründet Urteilsnichtigkeit im Sinne des § 281 Abs 1 Z 10 StPO (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 10 E 22).
Das den Angeklagten sowohl des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch als auch des Vergehens des versuchten Diebstahls schuldig sprechende Urteil war daher gemäß § 290 Abs 1 StPO im Ausspruch über die rechtliche Beurteilung der von den Punkten B und C des Schuldspruchs erfaßten Taten und demzufolge auch im Strafausspruch aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu erkennen, daß der Angeklagte durch die zu Punkt B und C des Urteilsspruchs angeführten Taten (nur) das Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und § 15 StGB begangen hat.
Die Aufhebung des Strafausspruches erfordert eine Neubemessung der Strafe, welche nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG zu verhängen war.
Bei der Strafbemessung ist erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen, die Wiederholung der Diebstähle und die Tatbegehung während eines gegen den Angeklagten anhängigen Strafverfahrens, mildernd hingegen die Unbescholtenheit, das reumütige Geständnis, daß es beim Diebstahl teilweise beim Versuch geblieben ist und die ungünstigen Erziehungsverhältnisse.
Unter Abwägung dieser Strafzumessungsgründe erweist sich eine Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten als tätergerecht und schuldangemessen.
Im Hinblick auf die bisherige Unbescholtenheit des Beschuldigten gelangte der Oberste Gerichtshof zur Ansicht, daß die bloße Androhung der Freiheitsstrafe ausreichen wird, um Murat T***** von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten; die Freiheitsstrafe war daher gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen.
Da der Angeklagte strafbare Handlungen mit beträchtlichem Unrechtsgehalt verübte und selbst während eines anhängigen Strafverfahrens neuerlich delinquierte, ist nicht anzunehmen, daß der Schuldspruch und die Androhung eines Strafausspruchs allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen wird, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Demnach lagen die Voraussetzungen für die Anwendung des § 13 Abs 1 JGG nicht vor.
Unzutreffend ist die von der Verteidigung in der Rechtsmittelschrift und im Gerichtstag zur Straffrage vertretene Ansicht, es sei in einer "ganzheitlichen Betrachtung der österreichischen Rechtsordnung" die Ausländereigenschaft "zwingend" in die Erwägungen über die Strafsanktion einzubeziehen und § 13 Abs 1 JGG im Hinblick auf ein sonst drohendes Aufenthaltsverbot anzuwenden.
Dem ist vorerst entgegenzusetzen, daß nach ständiger Judikatur die Ausländereigenschaft eines Angeklagten für die Straffrage unerheblich zu bleiben hat und daher weder als ein den Angeklagten belastender Umstand, noch auch zu seinem Vorteil ins Gewicht schlagen darf (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 32 E 11; 9 Os 67/85; 11 Os 161/81; 9 Os 135/81).
Zur Frage der Berücksichtigung eines allfälligen Aufenthaltsverbotes anläßlich des Sanktionenausspruches durch die Gerichte ist überdies an die jüngere historische Entwicklung auf dem Gebiet des Strafrechts zu verweisen:
Bis 31.Dezember 1974 stand den Strafgerichten die Möglichkeit des Ausspruches der Nebenstrafen der Landesverweisung oder der Abschaffung zu, die im Urteil auch vorläufig aufgeschoben werden konnten (vgl etwa SSt 38/51); nur in wenigen in den Gesetzen bezeichneten Fällen war der Ausspruch der Landesverweisung oder der Abschaffung obligatorisch, wobei allerdings bei Jugendlichen auch in diesen Fällen von diesem Ausspruch abgesehen werden konnte (§ 11 Abs 1 Z 6 JGG 1949). Derartige Nebenstrafen wurden vom Gesetzgeber bewußt nicht in das nunmehr geltende StGB aufgenommen, er verwies vielmehr auf die verwaltungsbehördliche Kompetenz zur Beurteilung der Folgen einer gerichtlichen Verurteilung (RV 30 BlgStenProtNR 13.GP S 94 und 114 ff). Diese Überlegungen sind vor dem Hintergrund der unter dem früheren Recht immer wieder aufgetretenen Friktionen zwischen den gerichtlichen Sanktionsaussprüchen und fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu sehen, die eine Kompetenzbereinigung erforderlich erscheinen ließen.
Ausgehend davon hieße es den Willen des Gesetzgebers zu unterlaufen, wenn eine von der Verwaltungsbehörde zu treffende Entscheidung zum maßgeblichen Kriterium für die Wahl der gerichtlichen Sanktion würde und das Gericht - sich gleichsam über Art 94 B-VG hinwegsetzend - durch seine Entscheidung in der Straffrage die verwaltungsbehördliche Entscheidung vorwegzunehmen trachtete und sich damit eine Kompetenz in einem Sachbereich arrogierte, die ihm seit 1.Jänner 1975 nicht mehr zukommt.
Im Hinblick auf die Strafneubemessung war der Angeklagte mit seiner Berufung darauf zu verweisen.
Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung entspricht inhaltlich jenem der ersten Instanz.
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