OGH 15Os11/92-18

OGH15Os11/92-1823.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.April 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brandstetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerald F*****, Guido W***** und Thomas A***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 3.Mai 1991, GZ 23 Vr 2595/90-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des für den Angeklagten W***** bestellten Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Kulka, jedoch in Abwesenheit dieses Angeklagten und der Angeklagten F***** und A***** sowie deren Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, wonach Gerald F*****, Guido W***** und Thomas A***** durch die ihnen im Punkt A) des Schuldspruches zur Last gelegten Handlungen Romana U***** zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt haben, sowie in der darauf beruhenden Beurteilung der Tat als Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und demzufolge auch in den Strafaussprüchen aufgehoben.

Gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO wird im Umfang der Aufhebung - unter Neufassung des Schuldspruches zu Punkt A) - in der Sache selbst erkannt:

Gerald F*****, Guido W***** und Thomas A***** haben im Juli 1990 in Tarrenz in bewußtem und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Romana U***** dadurch, daß sie diese festhielten, entkleideten, an den Brüsten und am Geschlechtsteil betasteten und Gerald F***** sowie Guido W***** jeweils mit einem Finger auch in deren Scheide eindrangen, außer dem Fall des § 201 Abs. 1 StGB mit Gewalt zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen genötigt.

Gerald F*****, Guido W***** und Thomas A***** haben hiedurch das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB begangen. Es werden hiefür - Gerald F***** überdies für das ihm weiterhin zur Last fallende Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB, teils als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB, und Thomas A***** überdies für das ihm weiterhin zur Last fallende Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84

Abs. 1 StGB - nach § 201 Abs. 2 StGB unter Anwendung des § 5 JGG, bei Gerald F***** und Thomas A***** überdies unter Anwendung des § 28 StGB zu Freiheitsstrafen verurteilt, und zwar

Gerald F***** zu 6 (sechs) Monaten,

Guido W***** zu 4 (vier) Monaten und Thomas A***** zu 5 (fünf) Monaten.

Gemäß § 43 Abs. 1 StGB werden diese Freiheitsstrafen unter Bestimmung einer Probezeit von je drei Jahren bedingt nachgesehen.

II. Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf die zu I. getroffene Entscheidung verwiesen.

III. Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Rechtliche Beurteilung

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurden die - zu den Tatzeiten jeweils jugendlichen - Angeklagten Gerald F***** (geboren am 29. Jänner 1972), Guido W***** (geboren am 20.März 1972) und Thomas A***** (geboren am 5.August 1975) (A) des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB, Gerald F***** überdies (B) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, teils als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB, und Thomas A***** außerdem (C) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Nach dem von der Nichtigkeitsbeschwerde des öffentlichen Anklägers betroffenen Schuldspruch wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB haben die Angeklagten im Juli 1990 in Tarrenz in bewußtem und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Romana U***** mit Gewalt, und zwar indem sie sie festhielten, auszogen, mit den Fingern über und auch in die Scheide fuhren sowie sie an den Brüsten und am Geschlechtsteil abgriffen, zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt.

Der auf § 281 Abs. 1 Z 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Subsumtion dieser Tat (auch) als Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB anstrebt, kommt (teilweise) Berechtigung zu.

Nach den Intentionen des Gesetzgebers ist unter geschlechtlichen Handlungen, die dem Beischlaf gleichzusetzen sind, "d.h. die nach dem allgemeinen Verständnis in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar sind", "jede auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete Form einer oralen, vaginalen oder analen Penetration" zu verstehen (JAB 927 BlgNR 17. GP, Punkt 7 zu § 201 StGB). Durch die strafgesetzliche Gleichstellung von Beischlaf und beischlafsähnlichen Sexualakten soll der vergleichbaren Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers, der Schwere des Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung sowie dem Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung des Opfers Rechnung getragen werden (JAB aaO), wobei die Tatbestände der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB und § 201 Abs. 2 StGB geschlechtsneutral gefaßt sind und demnach auch den sexuellen Mißbrauch zwischen Personen desselben Geschlechtes erfassen (JAB aaO; EvBl. 1990/32 = RZ 1990/95). Demzufolge liegt ein beischlafsähnlicher Sexualakt im Sinne eines dieser Tatbestände sowohl im Falle des heterosexuellen als auch des homosexuellen Mißbrauches jedenfalls schon bei der sexualbezogenen geschlechtsaktsähnlichen Berührung der primären Geschlechtsorgane des Opfers oder des Täters (sohin der sexualspezifischen Körperpartien auch nur einer der in die betreffende Tat involvierten Personen) vor, sofern es hiedurch zu einer oralen, analen oder vaginalen Penetration gekommen ist oder nach dem Tätervorsatz kommen soll (EvBl. 1991/13).

Das vom Erstgericht festgestellte mehrfache Einführen eines Fingers in die Scheide des Opfers (US 3, 7) ist unzweifelhaft eine "vaginale Penetration" und daher als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Form der geschlechtlichen Betätigung zu werten. Der Lehrmeinung Pallins (im WK ErgH Rz 21 a zu § 201 StGB), wonach dem Beischlaf nur Handlungen gleichzusetzen seien, bei denen das männlichen Glied in eine Körperöffnung einer anderen - männlichen oder weiblichen - Person eindringt, kann nicht gefolgt werden. Ein Eindringen mit dem männlichen Glied in die Scheide einer Frau stellt sich ohnedies als Beischlaf dar, woraus zu folgern ist, daß der Gesetzgeber mit der beispielhaften Anführung auch einer vaginalen Penetration als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung andere Formen des Eindringens in die Scheide einer Frau als tatbestandsmäßig erfassen wollte, was auch mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen ist.

Vorliegend wurde das Tatopfer von den Angeklagten trotz heftiger Gegenwehr völlig entkleidet, zu Boden gerissen und niedergedrückt, es wurden die Beine des Mädchens gewaltsam auseinandergespreizt, das Mädchen wurde an den Brüsten und am Geschlechtsteil abgegriffen und F***** und W***** führten schließlich je einen Finger in die Scheide ein, wobei F***** überdies das Einführen eines Stockes in die Scheide in Aussicht stellte; das Mädchen wurde sodann der Kleidung beraubt nackt zurückgelassen, bevor die Angeklagten es dann doch mit dem Fahrzeug mitnahmen, dabei aber erst wieder die Herausgabe der Kleidung von der Vornahme eines Oralverkehrs an jedem der Angeklagten abhängig zu machen suchten.

Unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände ist das (mehrfache) Einführen eines Fingers der Angeklagten F***** und W***** in die Scheide des Mädchens sowohl nach der darin gelegenen Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers und der Schwere des Eingriffes in dessen sexuelle Selbstbestimmung als auch nach dem Ausmaß seiner Demütigung und Erniedrigung einem erzwungenen Beischlaf vergleichbar.

Ausgehend von den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen haben demnach die drei Angeklagten, wie die Anklagebehörde zutreffend geltend macht, das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB zu verantworten, und zwar auch der Angeklagte A*****, weil unmittelbarer Täter nicht nur jener ist, der darauf abzielt, selbst den Beischlaf oder eine diesem gleichzusetzende Handlung vorzunehmen, sondern auch jener, der - wie hier A***** - den anderen Mittätern die Vornahme solcher Tathandlungen durch Gewaltanwendung - hier: durch Festhalten des Opfers (US 7) - ermöglicht (EvBl. 1991/13).

Die über das mehrfache Einführen eines Fingers in die Scheide des Opfers hinausgehenden sexualbezogenen Handlungen werden allerdings - entgegen der von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift und im Rechtsmittelantrag vertretenen Ansicht, es läge zusätzlich das Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB vor - als bloße, nicht auf einem gesonderten Willensentschluß beruhende Begleittaten vom Tatbestand der Vergewaltigung konsumiert (Leukauf-Steininger Komm.3 § 201 RN 34).

Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben und das im übrigen unberührt bleibende Urteil im Ausspruch, daß die Angeklagten durch die ihnen im Punkt A) des Schuldspruches zur Last gelegten Handlungen Romana U***** zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt haben, sowie in der darauf beruhenden Beurteilung der Tat als Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und demzufolge in den Strafaussprüchen aufzuheben; die Angeklagten waren - ausgehend von den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen - des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB schuldig zu erkennen.

Bei der erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend bei F***** und A***** die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen verschiedener Art, bei F***** überdies auch einer derselben Art, die Verführung eines anderen zu einem Diebstahl und die führende Beteiligung an der Vergewaltigung, bei A***** auch das Imstichlassen des bewußtlosen Verletzten (im Urteilsfaktum C), als mildernd dagegen bei allen Angeklagten den bisher ordentlichen Wandel, ihren Beitrag zur Wahrheitsfindung und bei F***** außerdem eine durch seine sofortige geständige Verantwortung zu den Diebstahlsfakten ermöglichte teilweise Sicherstellung der Diebsbeute.

Der vom Erstgericht vertretenen Meinung, dem Angeklagten A***** komme eine bloß untergeordnete Tatbeteiligung beim Sexualdelikt als mildernd zugute, vermag der Oberste Gerichtshof angesichts der Urteilskonstatierung, daß dieser Angeklagte das sich wehrende Opfer mit körperlicher Gewalt festhielt, während die beiden anderen Angeklagten Finger in dessen Scheide einführten (US 7), und solcherart einen nicht unerheblichen Beitrag zum Gelingen der Tat leistete, nicht zu folgen.

Auf der Basis der festgestellten Strafzumessungsgründe wurden die aus dem Spruch ersichtlichen, der jeweiligen personalen Täterschuld und dem Unwert der verschuldeten Tat(en) angemessenen Freiheitsstrafen verhängt.

Diese Strafen waren - wie bereits in erster Instanz geschehen - bedingt nachzusehen, weil bei allen drei Angeklagten die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 StGB gegeben sind.

Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer angemeldeten (S 224, 225), jedoch nicht ausgeführten, aber auch nicht zurückgezogenen und deshalb gemäß § 294 Abs. 2 StPO im Rechtsmittelverfahren zu beachtenden Berufung auf die reformatorische Entscheidung zu verweisen.

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