OGH 15Os111/21v

OGH15Os111/21v1.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart von Mag. Frisch als Schriftführerin in der Strafsache gegen H***** B***** wegen der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und Abs 3a Z 1, Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Juli 2021, GZ 163 Hv 28/21i‑37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00111.21V.1201.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** B***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (II./A./) sowie der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und Abs 3a Z 1, Abs 4 StGB (II./B./ und C./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W***** und anderen Orten

I./ M***** B***** vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar indem er ihr

A./ zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt etwa Anfang 2005 mit einer Gabel gegen den Handrücken gestochen hat, wodurch sie Hämatome an dieser Stelle erlitt,

B./ zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2007 mit dem Ellbogen gegen ihren Hinterkopf geschlagen hat, sodass sie kurzzeitig bewusstlos wurde,

II./ gegenüber nachgenannten (zu B./ und C./ unmündigen) Personen über eine längere Zeit hindurch durch körperliche Misshandlungen und vorsätzlich mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben (§ 83 Abs 1 und 2 StGB) oder gegen die Freiheit (§§ 105 Abs 1, 107 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB) fortgesetzt Gewalt ausgeübt, nämlich

A./ im Zeitraum 1. Juni 2009 bis 18. November 2019 gegen M***** B*****, indem er ihr „regelmäßig ab 1. Juni 2009 monatlich und ab 2013 in der Regel jedes zweite Monat“ Schläge, Tritte und Stöße gegen den Körper versetzte, sie würgte oder ohrfeigte, wodurch sie teilweise Hämatome oder kleine offene Wunden erlitt, und sie wiederholt gefährlich bedrohte, indem er sinngemäß äußerte, er schlage sie oder bringe sie um, und sie durch diese gefährlichen Drohungen teils auch zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen nötigte wie etwa „den Mund zu halten“ oder „nicht aufzustehen“,

B./ im Zeitraum 1. Juni 2009 bis August 2018 gegen S***** B*****, geboren am 12. September 2001, indem er ihr bis Herbst 2015 etwa einmal wöchentlich und danach etwa monatlich Ohrfeigen oder Schläge mit der flachen Hand oder einem Schuhlöffel gegen den Körper versetzte, wodurch sie teilweise Hämatome erlitt, einmalig einen Schuh gegen ihren Hinterkopf schleuderte und mit ihrem Mobiltelefon Schläge gegen den Kopf versetzte, sie würgte und seiner Tat Nachdruck verlieh, indem er dabei „stirb, stirb“ äußerte, wodurch sie Würgemale am Hals und eine Rötung der Augen erlitt, ihr gegen ihren Willen gewaltsam die Haare abschnitt und sie wiederholt bedrohte, indem er sinngemäß äußerte, er bringe sie und die restliche Familie um, wobei er seinen Worten einmalig Nachdruck verlieh und ein Messer gegen sie richtete, zudem indem er sie nötigte, die familiäre Situation für sich zu behalten, indem er drohte, sie würde ihre Mutter und Geschwister nie wieder sehen, wenn sie sich jemandem anvertraue, wodurch diese eine krankheitswertige posttraumatische Belastungsstörung, somit eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB), erlitt,

C./ im Zeitraum 2011 bis September 2019 gegen O***** B*****, geboren am 24. Jänner 2004, indem er ihm bis 2014 zumindest monatlich Ohrfeigen und Tritte gegen das Gesäß versetzte und seither insgesamt vier- bis fünfmal wöchentlich mit einem Gürtel schlug, wodurch dieser häufig Striemen und Schnitte erlitt, ihn würgte oder Ohrfeigen, Tritte und Schläge mit der Faust, einem Besenstiel, einem Schuhlöffel oder Ladekabel gegen den Körper, überwiegend gegen die Beine, versetzte, wodurch dieser teilweise offene Wunden oder Hämatome erlitt, und wiederholt sinngemäß äußerte ihn zu töten, wodurch dieser eine krankheitswertige posttraumatische Belastungsstörung, somit eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB), erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

[4] Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung die Vernehmung der Zeugen E***** T*****, O***** T***** und A***** B***** zum Beweis dafür, dass zu keiner Zeit Spuren von Gewaltanwendung bei den Opfern wahrnehmbar waren und „die Taten nicht stattgefunden haben“ (ON 36 S 41 ff). Dem Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfielen diese Beweisanträge zu Recht der Ablehnung. Weshalb diese Personen trotz nicht durchgehender Anwesenheit im Haushalt des Angeklagten und der Opfer (laut Verantwortung des Angeklagten wöchentlich bzw alle zwei Wochen mit Übernachtung, im Zuge gemeinsamen Grillens, bei Familienbesuchen [ON 36 S 44]) in der Lage sein sollten, die angeführten Umstände zu bestätigen, blieb offen. Solcherart zielten die Anträge auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (RIS‑Justiz RS0099453 [T29]).

[5] Nur Beweisanträge, die während der Hauptverhandlung gestellt wurden, können Grundlage einer Verfahrensrüge sein. Dies übergeht der Rechtsmittelwerber, soweit er sich auf den lediglich in einem Schriftsatz gestellten Antrag auf Vernehmung des Zeugen ***** S***** bezieht (RIS‑Justiz RS0099099 [T4]).

[6] Weshalb die Feststellung des Erstgerichts, wonach der Angeklagte „zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt 2005“ seiner Ehegattin während eines Streits die Gabel in den Handrücken gestoßen habe, wodurch sie Hämatome an dieser Stelle erlitt (I./A./ des Schuldspruchs; US 5 f), undeutlich (Z 5 erster Fall) sein sollten, bleibt unklar (vgl RIS‑Justiz RS0117995). Entsprechendes gilt für die Ausführungen der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) betreffend I./B./ des Schuldspruchs.

[7] Indem die Mängelrüge zu I./A./ ausführt, das Stoßen einer Gabel in den Handrücken führe erfahrungsgemäß zu einer größeren Verletzung als zu bloßen Hämatomen, wird ein Vorbringen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung erstattet.

[8] Mit dem Vorbringen, das Schöffengericht habe sich bei seinen Feststellungen lediglich auf die Aussagen der Opfer gestützt, welche jedoch nicht nachvollziehbar wären, M***** B***** wäre in der Lage gewesen, die Übergriffe und Gewalttätigkeiten aufzuzeigen, zumal sie sich nicht nur seit rund 20 Jahren in Österreich befinde, sondern auch durch ihre Familie in der Türkei jede Unterstützung erhalte, wird neuerlich unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt, ohne Nichtigkeit im Sinn einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) aufzuzeigen. Das gilt auch für die Behauptung, die Verletzungsfolgen der S***** B***** und des O***** B***** wären bei verschiedenen Gelegenheiten sicher aufgefallen.

[9] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld‑ oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

[10] Die Tatsachenrüge bringt vor, die Feststellungen beruhten allein auf den Aussagen der M*****, der S***** und des O***** B*****, es wäre nicht nachvollziehbar, weshalb es trotz jahrelanger Gewalttätigkeiten zur Geburt eines dritten Kindes gekommen sei, die Ehefrau des Angeklagten wäre eifersüchtig geworden, als dieser zum Betriebsrat gewählt wurde, auch zwischen M*****, S***** und O***** B***** bestünden zahlreiche familiäre Konflikte. Damit wird der Rahmen des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes verlassen.

[11] Die Rechtsrüge (nominell Z „9a“, inhaltlich Z 9 lit b) reklamiert zu I./A./ und B./ des Schuldspruchs den Strafaufhebungsgrund der Verjährung. Sie leitet aber mit Blick auf die – hier maßgebliche – Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 57 Abs 3 vierter Fall StGB) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl aber RIS‑Justiz RS0116565), weshalb ungeachtet § 58 Abs 2 StGB Verjährung eingetreten sein sollte.

[12] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, das Erstgericht hätte zu I./A./ keine Verletzungsfolgen festgestellt, nimmt sie nicht – wie aber geboten (vgl RIS‑Justiz RS0099810) – Maß an den Feststellungen im angefochtenen Urteil (US 5 f).

[13] Zu II./B./ und C./ des Schuldspruchs meint die Rechtsrüge, die Tatrichter wären verpflichtet gewesen festzustellen, „wann konkret der Angeklagte welche Verletzungshandlungen vorgenommen hätte, welche Verletzungsfolgen eingetreten wären“ und „ob diese aufgrund ihrer offensichtlichen Sichtbarkeit, nicht von dritten Personen, insbesondere von Aufsichtspersonen/Lehrern in der Schule hätten wahrgenommen werden müssen“. Dies gelte „insbesondere auch für das behauptete Abschneiden der Haare der Zeugin S*****, das von Dritten nicht hätte unbemerkt werden können“. Damit übt der Rechtsmittelwerber neuerlich unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung, ohne aufzuzeigen, dass dem Erstgericht ein Rechtsfehler unterlaufen wäre.

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[15] Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass im zweiten Fall des Abs 2 des § 107b StGB der Vorsatz auch dem Tatbestand des jeweiligen Anknüpfungsdelikts entsprechen muss (Fabrizy, StGB13 § 107b Rz 6). Das Erstgericht hat jedoch zu diesen Anknüpfungsdelikten (§ 107 Abs 1 und Abs 2 und § 105 Abs 1 StGB; vgl US 17) keine Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen. Da vorliegend jedoch die zur subjektiven Tatseite in Richtung der fortgesetzten Misshandlung am Körper getroffenen Feststellungen (US 7) die zu II./ jeweils vorgenommene Subsumtion tragen, bestand kein Anlass zu amtswegiger Wahrnehmung.

[16] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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