OGH 15Os109/99

OGH15Os109/994.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Horvath als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ralph Egon L***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 27. Mai 1999, GZ 7 Vr 240/99-33, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Mayer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ralph Egon L***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (1) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (3) sowie des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (2) - unter Anführung des § 313 StGB - schuldig erkannt.

Danach hat er am 18. März 1999 in Braunau am Inn die Viviane S*****

1. dadurch mit Gewalt und durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit schwerer gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafes genötigt, daß er sie festhielt, ihr die Pistole vor das Gesicht hielt und erklärte: "Wennst keine Ruhe gibst, bist weg !";

2. mit Gewalt, nämlich durch Versetzen eines Fußtrittes, zum Aufstehen genötigt;

3. durch die Äußerung, wenn sie wegen der unter 1. angeführten Tathandlung etwas erzähle, werde er dafür sorgen, daß sie und ihre Familie in den Libanon abgeschoben werden, sohin durch Drohung mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz dazu genötigt, eine unverzügliche Anzeigeerstattung wegen der angeführten Tat zu unterlassen,

"wobei er die vorangeführten, mit Strafe bedrohten vorsätzlichen Handlungen als Beamter unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit begangen hat".

Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Durch Abweisung der Anträge auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen für Urologie/Andrologie und auf Durchführung eines Lokalaugenscheins am Gendarmerieposten Braunau wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt (Z 4). Das Erstgericht mißachtete dabei zwar § 238 Abs 2 StPO, weil es die Angabe der Gründe für das ablehnende Zwischenerkenntnis dem Urteil vorbehielt (S 353), doch ist eine Verletzung dieser Gesetzesstelle nicht mit Nichtigkeit bedroht.

Das Gutachten sollte (soweit anfechtungsrelevant) belegen, daß der Angeklagte "auf Grund der Anatomie und des Krankheitsbildes nicht in der Lage war, sexuelle Handlungen, wie S***** behauptet, zu setzen" (S 353). Dazu hat der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung lediglich angegeben, seit einer Operation am Penis wegen Wucherungen besondere Narbenempfindlichkeit zu verspüren (S 295) und beim Geschlechtsverkehr auf Grund "massiver Wucherungen und Einrisse am Penis ... massivste Probleme zu haben" (S 303 f). Bei dieser Sachlage hätte es der Angabe besonderer, nicht von selbst einsichtiger Gründe bedurft, aus denen das Gelingen der Beweisführung erwartet werden konnte, weil der Angeklagte nach eigener Darstellung zum Geschlechtsverkehr durchaus - wenn auch mit "Problemen" - in der Lage war. Ohne solche Begründung zielte der Antrag lediglich auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis ab.

Ein Lokalaugenschein war zu dem damit angestrebten Beweis, daß die "Anordnungen der Kanzleiräumlichkeiten" am Gendarmerieposten Braunau "örtlich und baulich, insbesondere durch Rigipswände, so installiert sind, daß ... ein lautes Geräusch, insbesondere wie von S***** behauptet, ein Schreien oder Schlagen mit dem Kopf an die Tür, sofort von einem in den anderen Zimmern befindlichen Beamten wahrgenommen worden wäre und man dies insbesondere bei offener Kanzleitür wahrnehmen müßte", nicht zielführend. Für die Wahrnehmbarkeit von Geräuschen oder einem Ruf aus dem Raum, in dem sich der Angeklagte mit dem Mädchen befand, waren Umstände mitentscheidend, über die ein Lokalaugenschein keinen Aufschluß geben kann, wie die nach den Urteilsannahmen nur gedämpfte Lautstärke des zaghaften Hilferufes, der zur Tatzeit rege Dienstbetrieb am Gendarmerieposten und der eingeschaltete Radioapparat in der Nebenkanzlei (US 10 f, 16).

Das weitwendige Vorbringen in der Mängelrüge (Z 5) zum Opferverhalten nach den Tätlichkeiten des Angeklagten und der Drohung mit der Pistole betrifft unerhebliche Tatsachen. Ob das Opfer Widerstand leistet, aufgibt oder von vornherein unterläßt, hat für die Tatbestände des § 201 StGB keine Bedeutung. Ebensowenig kommt es nach der geltenden Rechtslage auf eine Widerstandsunfähigkeit oder die Hilfslosigkeit des Opfers an.

Einwände betreffend die akustische Wahrnehmbarkeit von Vorgängen im Kanzleiraum, den der Angeklagte benützte, gehen an den bei Erörterung der Verfahrensrüge genannten Umständen sowie daran vorbei, daß eine Lärmdämmung durch Bürokästen einem kopierten Bauplan zu entnehmen war (US 11 iVm S 183).

Ein Streben des Beschwerdeführers nach Tilgung von Tatspuren wurde mängelfrei aus Hinweisen auf ein Einweichen der Unterhose abgeleitet, die er zur Tatzeit getragen hatte (US 14 iVm S 306 f).

Undeutlich ist eine Urteilsbegründung, wenn nicht zu erkennen ist, welche entscheidenden Tatsachen das Gericht als erwiesen angenommen hat; unzureichend ist sie, wenn entscheidungswesentliche Feststellungen gar nicht oder denkgesetzwidrig begründet worden sind (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 42, 114). In der Beschwerde werden solche Begründungsmängel zwar behauptet, angeblich undeutliche oder unzureichend begründete Konstatierungen aber nicht prozeßordnungsgemäß bezeichnet (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO). Statt dessen übt der Rechtsmittelwerber mit Erörterungen der Aussage des Tatopfers sowie des Gutachtens eine nicht dem Gesetz entsprechende Kritik an der Beweiswürdigung des Erstgerichtes. Mit dem (teils im Rahmen der Rechtsrüge erstatteten) Vorbringen, daß aus den vorliegenden Beweisergebnissen auch andere als die im Urteil angeführten Schlußfolgerungen gezogen werden könnten, wird ein Nichtigkeitsgrund nicht aufgezeigt (Mayerhofer aaO E 145, 147).

Auch die Tatsachenrüge (Z 5a) stellt nach Inhalt und Zielsetzung nur einen unzulässigen und daher unbeachtlichen Angriff auf die erstrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung dar. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit entscheidungswesentlicher Feststellungen werden damit nicht aufgezeigt. Eine zudem behauptete mangelnde Ausschöpfung möglicher Beweisquellen ist dem schöffengerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO, somit nur unter der Voraussetzung entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung erster Instanz zu rügen, an der es aber hier fehlt. Lediglich dann, wenn aus den Akten aufgezeigt wird, daß deshalb, weil das Gericht in gravierender Weise gegen die Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung verstoßen hat, die Sachverhaltsermittlung derart mangelhaft geblieben ist, daß erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen auf der Basis der bisherigen Verfahrensergebnisse bestehen, kommt Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO in Betracht (SSt 59/36; Mayerhofer aaO § 281 Z 5a E 5). Solche gravierenden Bedenken ergeben sich aber aus den Akten nicht.

Der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider bedeutete der Fußtritt, den der Angeklagte dem vergewaltigten Mädchen versetzt hat, um es zum Aufstehen zu nötigen (US 6 f), eine jedenfalls über der Erheblichkeitsschwelle liegende, dem Tatbestand des § 105 Abs 1 StGB entsprechende Gewaltanwendung. Gewalt ist nämlich die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes. Dabei bedarf es nicht der Entfaltung überlegener Kraft, auch braucht die eingesetzte Kraft nicht unwiderstehlich zu sein. Sie darf nur nicht ganz unerheblich sein, es genügt aber, daß es tätergewollt gerade der konkrete Krafteinsatz ist, der das Opfer zur Abstand- nahme von seinem dem Tätervorhaben entgegenstehenden Bestrebungen motiviert und solcherart kausal zu dessen Realisierung führt. Dabei kommt es auch auf die persönliche Beschaffenheit des Opfers an (Leukauf/Steininger Komm3 § 105 RN 4). Da bei dem bereits massiv eingeschüchterten Mädchen ein Fußtritt zur Erreichung des Nötigungszieles ausreichte, waren nähere Konstatierungen über die Intensität des Trittes zur rechtlichen Beurteilung nicht erforderlich.

Entgegen der Subsumtionsrüge (Z 10) war das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB vollendet, sobald die Bedrohte begann, sich in der vom Angeklagten gewünschten Weise zu verhalten, und eine unverzügliche Anzeigeerstattung unterließ (US 17; Leukauf/Steininger aaO RN 28 f).

Dem Rechtsmittelwerber ist zuzugestehen, daß die Begehung der mit Strafe bedrohten vorsätzlichen Handlungen unter Ausnützung der durch eine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit als faktische Grundlage der Strafschärfungsmöglichkeit nach § 313 StGB im Urteilsspruch nur dann anzuführen ist, wenn tatsächlich von der Möglichkeit der Strafschärfung Gebrauch gemacht wird. Da es sich bei § 313 StGB nach ständiger Judikatur aber nur um eine bloß fakultativ anzuwendende Strafbemessungsvorschrift handelt, die keine Veränderung der gesetzlichen Strafsätze bewirkt, sondern nur dem Gericht die Möglichkeit einräumt, den jeweiligen gesetzlichen Strafrahmen um die Hälfte zu überschreiten (Leukauf/Steininger aaO § 313 RN 16), wird durch dessen (irrtümliche) Anführung (ohne Überschreitung des Strafrahmens) weder ein Subsumtionsfehler (Z 10) noch eine nichtigkeitsbegründende Verletzung von Strafzumessungsvorschriften (Z 11) oder sonst ein Nichtigkeitsgrund bewirkt (idS EvBl 1999/152).

Das Schöffengericht verhängte über Ralph Egon L***** unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB nach § 201 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen und die Tatsache, daß sich der Angeklagte an einer Minderjährigen vergangen hat; als mildernd "die bisherige Unbescholtenheit".

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe auf "maximal" drei Jahre und deren teilbedingte Nachsicht an. Er werde als Folge dieser Verurteilung seine berufliche Existenz als Beamter verlieren und hätte eine Anwendung des § 43a Abs 4 StGB auch keine generalpräventiven Auswirkungen.

Dem ist jedoch einerseits der hohe Unrechtsgehalt der inkriminierten Verbrechen und andererseits die überaus hohe Täterschuld gegenüberzustellen. Der Berufungswerber hat nämlich als Gendarmeriebeamter und damit unter Ausnützung einer beträchtlichen Vertrauensstellung in heimtückischer Weise, sogar unter Verwendung der Dienstwaffe gehandelt (§ 33 Z 6 StGB). Auch das Verbrechen der schweren Nötigung an einem mehrfach eingeschüchterten Vergewaltigungsopfer manifestiert eine rücksichtslose Ausführung der strafbaren Handlungen. Die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe entspricht daher durchaus der persönlichen Täterschuld.

Da die Milderungsgründe die Erschwerungsumstände nicht beträchtlich überwiegen, kommt bei der ausgesprochenen Freiheitsstrafe eine bedingte oder teilbedingte Nachsicht (§ 41 Abs 3 StGB) nicht in Betracht.

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