OGH 15Os108/02

OGH15Os108/0210.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Patrick S***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Patrick S***** gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 27. Juni 2002, GZ 14 Hv 65/02g-124, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Steier, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten S***** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des jugendlichen Mitangeklagten Kurt V***** enthält, wurde der am 29. Juni 1984 geborene Patrick S***** - abweichend von der gegen ihn wegen des Verbrechens nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage (ON 92) - zu I des Verbrechens (richtig: vgl. Leukauf/Steininger Komm3 RN 42 und Burgstaller in WK2 Rz 75 je zu § 84) der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 2. Oktober 2001 in St. Pölten im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem des - wegen rechtskräftig verurteilten Kurt V***** den Christian M***** durch Versetzen zahlreicher Fußtritte gegen den Körper und gegen den Kopf sowie dadurch, dass einer der Genannten diesem mit voller Wucht auf den Bauch sprang, wodurch er schwerwiegende innere Verletzungen und Blutungen erlitt, am Körper (schwer) verletzt, wobei die Tat den Tod des Christian M***** zur Folge hatte.

Dagegen erhob der Angeklagte S***** Nichtigkeitsbeschwerde aus Z 5, 9 (zu ergänzen: lit) a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO. Sie ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die in den einleitenden Beschwerdeausführungen geäußerten Bedenken, die Strafdrohung des § 86 StGB (Freiheitsstrafe von einem bis zu 10 Jahren) sei mit Blick auf (den vorliegend gar nicht aktuellen) § 98 Abs 1 zweiter Fall StGB (Strafdrohung von 6 Monaten bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe) infolge Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu teilen. Im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs mag § 96 Abs 2 dritter Fall StGB "eine im Verhältnis zur § 86 StGB kriminalpolitisch nur schwer und § 98 Abs 1 zweiter Fall StGB eine sogar schlechterdings unverständliche Privilegierung" enthalten, dies liegt jedoch in der Konsequenz des Gesetzes (vgl. Kienapfel BT I4 § 96 RN 31 zur Konkurrenzproblematik mit §§ 80 und 86). Kriminalpolitisch schwer begreifbare und sogar unverständliche Überlegungen des Gesetzgebers vermögen für sich allein keine Verfassungswidrigkeit der entsprechenden gesetzlichen Regelung zu begründen. Insbesondere im Hinblick auf die neben der Erfolgsqualifikation aber völlig verschiedene Gestaltung der subjektiven Tatseite bezüglich der Vorsatzkomponente des Grunddelikts bei § 86 StGB (Verletzungsvorsatz oder Misshandlungsabsicht) und § 98 StGB (Vorsatz auf eine den Schwangerschaftsabbruch herbeiführende Handlung gerichtet) kann der Oberste Gerichtshof eine verfassungsverletzende unsachliche Differenzierung in den Strafdrohungen der bezeichneten strafbaren Handlungen nicht erkennen, weshalb er sich zu einer Antragstellung gemäß Art 140 B-VG nicht veranlasst sieht.

Das nominell auf Z 5 gestützte Vorbringen, wonach das Tatgericht nicht konstatiere, "durch welche Verletzungen die Todesfolge eingetreten ist und aufgrund welcher Umstände die fahrlässige Herbeiführung des Todes dem Beschuldigten Patrick S***** zugerechnet wird", womit kein formeller Begründungsfehler (Unvollständigkeit und Undeutlichkeit), sondern der Sache nach Feststellungsmängel gemäß der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO releviert werden, übergeht prozessordnungswidrig gerade die dazu getroffenen Urteilsannahmen (auf US 12 unten bis 13 zweiter Absatz iVm US 21 f sowie US 14 zweiter Absatz 22 bis 23 zweiter Absatz).

Die weitere Beschwerdeargumentation (S 243 zweiter Absatz der ON 134) unterlegt nicht nur dem gerichtsmedizinischen Gutachten einen in dieser Form darin nicht enthaltenen Inhalt ("ein Risiko- und Kausalzusammenhang zwischen den durch Tritten verursachten Verletzungen ............. ist nicht gegeben" - vgl. dem gegenüber S 237 Mitte/I), sondern gibt auch einen wesentlichen Feststellungsteil entstellt und urteilsfremd wieder (der Sprung in den Bauch war "nicht vom gemeinsamen Vorsatz" umfasst und ist daher nur einem der Täter zuzurechnen; vgl aber US 10 f, 14 oben, 21 ff).

Der zudem behauptete "erhebliche Widerspruch" zwischen den Ermittlungsergebnissen und deren Wiedergabe im Urteil liegt nicht vor. Vielmehr hat das Erstgericht die von der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Elisabeth Friedrich anlässlich der Obduktion gegenüber dem erhebenden Polizeibeamten Inspektor Tischer gemachten Äußerungen über den nicht näher eingrenzbaren Zeitraum zwischen Trauma und Todeszeitpunkt (S 51/II) ausführlich erörtert und diese unter den gegebenen Umständen (die Expertin ging damals mangels Kenntnis des wahren Sachverhalts noch von einem Verkehrsunfall aus) als entsprechend unsicher gewürdigt (US 20 f).

Der Schuldspruch ist daher formell fehlerfrei begründet. Mit den Behauptungen in der Rechtsrüge (Z 9 lit a), die Bestimmung des § 86 StGB sei verfassungswidrig, und in der Strafzumessungsrüge (Z 11), die Strafdrohung des § 86 StGB sei verfassungswidrig, es wäre daher richtigerweise von einer Strafdrohung mit Freiheitsstrafe bis zu 2 ½ Jahren auszugehen gewesen, welche das Erstgericht mit dem Strafausspruch von 3 ½ Jahren überschritten habe, werden die geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgründe nicht dem Gesetz gemäß dargestellt.

Entgegen der die Zurechnung der Todesfolge bestreitenden Subsumtionsrüge (Z 10) hat das Tatgericht eine Feststellung, "dass dieser Sprung [eines der Angeklagten] auf den Bauch des M***** nicht vom gemeinsamen Tatvorsatz umfasst war", in Wahrheit nicht getroffen. Die diesbezügliche, vom Beschwerdeführer allerdings unrichtig wiedergegebene Urteilspassage bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine individuelle (nur einen der beiden Angeklagten treffende) Zurechnung der letztlich tödlichen Verletzung bloß unter dem Gesichtspunkt der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (im Sinne der Anklage) nach den Beweisergebnissen nicht möglich war (ON 21 f). Hingegen hat es bei der gebotenen Betrachtung von Urteilsspruch und Gründen als Einheit - eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass auch das Springen eines der Angeklagten auf den Bauch des M***** von dem auf Zufügung einer schweren Körperverletzung getragenen bedingten Vorsatz des jeweils anderen (somit auch des Nichtigkeitswerbers) umfasst und folglich der von ihnen fahrlässig herbeigeführte Tod des schwerverletzten Opfers beiden Angeklagten zuzurechnen war (US 2 iVm US 10 f, 21 bis 23). Von der Gesamtheit der entscheidenden Konstatierungen ausgehend, kann von einem (im Rechtsmittel eingewendeten) "Exzess" eines Beteiligten, der dem anderen Beteiligten nicht ohne zusätzliche Voraussetzungen zugerechnet werden darf, keine Rede sein. Letztlich verabsäumt es die Beschwerde, jenes konkrete Gesetz (§ 83 StGB enthält zwei eigenständige strafbare Handlungen) anzuführen, welches ihrer Ansicht nach auf den konstatierten Sachverhalt anzuwenden gewesen wäre. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen einer dazu erstatteten Äußerung des Verteidigers, die im Wesentlichen das Beschwerdevorbringen wiederholt, zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten Patrick S***** nach § 86 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu 3 ½ Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die grundlose Brutalität gegen ein wehrloses Opfer, das in qualvoller Weise zu Tode kam, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel.

In der dagegen erhobenen Berufung setzt sich der Rechtsmittelwerber fast ausschließlich mit den vom Erstgericht herangezogenen Strafzumessungsgründen betreffend den Mittäter Kurt V***** kritisch auseinander und folgert daraus, die an sich unangemessen hohe Strafe hätte für S***** deutlich milder ausfallen müssen als für jenen. Die Berufung ist nicht begründet.

Das Tatgericht hat die Strafzumessungsgründe nicht nur richtig und vollständig festgestellt, sondern sie auch ihrem Gewicht entsprechend gewichtet. Die über den jugendlichen Angeklagten verhängte Sanktion trägt sowohl seiner gravierenden personalen Täterschuld als auch dem bedeutenden Unrechtsgehalt der Straftat Rechnung. Das Strafausmaß des Mittäters V***** hatte der Oberste Gerichtshof nicht zu prüfen. Soweit der Berufungswerber zu seinen Gunsten ins Treffen zu führen trachtet, er habe nach den Urteilsfeststellungen dem Opfer keine schweren Verletzungen zugefügt, weicht er unzulässig von den wesentlichen, anderslautenden Urteilskonstatierungen ab (vgl. insb. US 10 bis 12 und 21 bis 23). Angesichts des ihm ohnehin zu Gute gehaltenen ordentlichen Lebenswandels versagt auch der weitere Berufungseinwand, die als erschwerend angenommene Brutalität der Tat stehe mit der bisherigen Gewaltlosigkeit seines Lebenswandels in auffallendem Widerspruch, weshalb auch deswegen seine Strafe deutlich milder zu bemessen gewesen wäre.

Somit musste auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.

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