OGH 15Ns40/13w

OGH15Ns40/13w21.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kurzthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Rüdiger R***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, in dem zu AZ 10 U 41/05h des Bezirksgerichts Villach und zu AZ 18 U 166/13b des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien zwischen diesen Gerichten geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Bezirksgericht Leopoldstadt zuständig.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Laut Antrag auf Bestrafung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 12. Jänner 2007 liegt Rüdiger R***** zu AZ 10 U 41/05h des Bezirksgerichts Villach zur Last, am 4. Februar 2006 in (1010) Wien das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB begangen zu haben (ON 22 iVm ON 21).

Mit Strafantrag vom 3. April 2013 (ON 62) legt die Staatsanwaltschaft Klagenfurt dem Genannten zu diesem Verfahren überdies das im Zeitraum von 1. September 2004 bis 27. September 2012 (vorbehaltlich weiterer Ausdehnung) „in Villach und anderen Orten“ begangene Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB zum Nachteil seiner am 6. April 1997 geborenen, jedenfalls im Zeitpunkt der Strafanzeige des Jugendamts der Stadt Villach vom 27. September 2005 in Villach wohnhaften (ON 2 S 9 f) Tochter Beatrice T***** zur Last.

Rüdiger R***** hatte anlässlich von Vernehmungen als Beschuldigter vom 27. September 2012 angegeben, bereits im Jahr 2000 aus Villach weggezogen und seit längerem in Wien obdachlos zu sein und aktuell bloß über eine reine Postadresse in einer Obdachloseneinrichtung in 1020 Wien zu verfügen (ON 57 S 6; ON 57a S 23). Im Zentralen Melderegister scheinen eine Hauptwohnsitzmeldung in Villach von 21. Mai 2004 bis 30. November 2005 und die Meldung von Obdachlosigkeit von 30. November 2005 bis 28. Jänner 2008 mit einer bloßen Postadresse an einer Einrichtung für Obdachlose in 1080 Wien auf (ON 57a S 43; ON 63). Eine wegen Unerreichbarkeit des Beschuldigten vorgenommene Überprüfung der Meldeadresse in Villach ergab im Oktober 2005, dass dieser Villach vor längerer Zeit Richtung Wien verlassen habe (ON 2 S 5). Bei im Zuge der gerichtlich eingeleiteten Aufenthaltsermittlung (ON 3) vorgenommenen zahlreichen Befragungen zu seinem Aufenthalt gab Rüdiger R***** - von Polizeibeamten zwischen 20. Dezember 2005 und 7. April 2011 an wechselnden Orten in Wien (ON 4, 5, 6, 7, 9, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 19, 21, 23, 24, 25, 29, 30, 32, 35, 36, 37, 38, 40, 41, 44, 45, 49), davon erstmals in 1020 Wien (ON 4) angetroffen - stets an, obdachlos zu sein und über keine Wohnadresse zu verfügen. Gelegentlich gab er vor seiner Vernehmung als Beschuldigter im Jahr 2012 auch an, postalisch an der Adresse des im Melderegister aufscheinenden Tageszentrums für Obdachlose in 1080 Wien erreichbar zu sein, wo er tatsächlich jedoch nie kontaktiert werden konnte (vgl ON 8 und ON 34). Die Erhebungen ergaben weiters, dass sich der Genannte im Jahr 2010 zeitweise unangemeldet an einer Adresse in 1020 Wien aufgehalten haben soll und - zumindest seit 28. Oktober 2010 -, obgleich weiterhin obdachlos, über die von ihm bei seiner Vernehmung erwähnte reine Postadresse in einem Obdachlosenheim in 1020 Wien verfügt (ON 46, 47, 54, 55, 57).

Mit Beschluss vom 17. April 2013 (ON 1 ohne Seitenzahl) trat das Bezirksgericht Villach das Verfahren unter Hinweis auf den zum Antrag des Angeklagten auf Delegierung des Verfahrens an das Bezirksgericht Leopoldstadt ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 5. März 2013, 15 Ns 12/13b (ON 60), ohne nähere Begründung „gemäß §§ 36, 37 StPO“ an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien ab.

Letzteres bestritt seine Zuständigkeit, weil der Wohnsitz des Angeklagten laut Auskunft aus dem Zentralmelderegister zum 1. September 2004 im Sprengel des abtretenden Gerichts gelegen sei (ON 1 ohne Seitenzahl).

Gemäß § 36 Abs 3 StPO ist für das Hauptverfahren primär das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Tatort ist somit primär jener Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder handeln hätte sollen (§ 67 Abs 2 StGB). Im Falle gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten (§ 37 Abs 1 StPO) oder bei gebotener Verbindung des Verfahrens wegen einer später eingebrachten Anklage mit einem bereits anhängigen Hauptverfahren (§ 37 Abs 3 StPO) ist im Falle mehrerer Straftaten einer als unmittelbarer Täter angeklagten Person unter Gerichten gleicher Ordnung ohne Sonderzuständigkeit jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Bloß wenn für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, ist gemäß § 37 Abs 2 letzter Satz StPO dieses Gericht zuständig.

Beim Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB ist der Handlungsort dort, wo der Unterhaltspflichtige die Unterhaltszahlungen leisten soll, in aller Regel also sein Wohnsitz. Da es sich bei diesem Vergehen um ein Dauerdelikt handelt, begründet grundsätzlich auch jeder Wohnsitz des Unterhaltspflichtigen während des Tatzeitraums Tatortzuständigkeit (RIS-Justiz RS0127231 [T2]), wobei bei Wohnsitzwechsel innerhalb des Deliktszeitraums das frühere kriminelle Handeln den aus dem Gesetz ableitbaren Anknüpfungspunkt bildet (vgl 11 Ns 19/11z; 13 Ns 9/11v; 13 Ns 31/12f).

Im vorliegenden Fall der Obdachlosigkeit des Unterhaltspflichtigen kann - ungeachtet der zeitweiligen Meldung eines tatsächlich nicht belegten Wohnsitzes in Villach (zur bloßen Indizwirkung einer polizeilichen Meldung vgl Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 4) - zwar für den gesamten Tatzeitraum weder ein fester Wohnsitz desselben in Villach noch in Wien festgestellt werden. Jedoch ist aus dem Akt klar ersichtlich, dass sich der Unterhaltsschuldner spätestens seit 30. November 2005 ohne festen Unterstand dauerhaft - an wechselnden Orten - in Wien aufgehalten hat und hier in Erfüllung seiner Unterhaltspflicht handeln hätte können (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO). Die vom Gesetz bloß subsidiär vorgesehene Anknüpfung am Ort des Erfolgs (hier: dem Wohnort des Unterhaltsberechtigten in Villach) scheidet somit aus (§ 36 Abs 3 zweiter Satz StPO). Von den wechselnden, in die Sprengel verschiedener Bezirksgerichte fallenden Aufenthaltsorten des obdachlosen Angeklagten in Wien ist in sinngemäßer Anwendung der für den Fall des Wechsels eines festen Wohnsitzes herausgebildeten Grundsätze jener Ort als zuständigkeitsbegründender Tatort anzusehen, an dem der Angeklagte innerhalb des Tatzeitraums der Verletzung der Unterhaltspflicht (hier: am 20. Dezember 2005; ON 4) erstmals nachweislich persönlich anwesend war. Da dieser Ort in 1020 Wien liegt (ON 4) und auch der mit Strafantrag vom 12. Jänner 2007 vorgeworfene Diebstahl in 1010 Wien erst am 4. Februar 2006 verübt wurde, die frühere Straftat somit in den Sprengel des Bezirksgerichts Leopoldstadt fällt, resultiert daraus die Zuständigkeit dieses Gerichts. § 37 Abs 2 letzter Satz StPO wird deshalb nicht schlagend, weil keiner der (im vorliegenden Fall feststellbaren) Handlungsorte der angeklagten Taten im Sprengel des Bezirksgerichts Villach liegt.

Der (vgl 15 Ns 12/13b) noch vor Einbringung des Strafantrags vom 3. April 2013 (ON 62) eingebrachte Antrag des Rüdiger R***** (ON 57 S 1) auf Delegierung der Strafsache an das (nach nunmehr gemäß § 37 StPO gebotener Verbindung) ohnehin zuständige Gericht ist damit hinfällig geworden.

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