Spruch:
Der Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck vom 10. Mai 2004, GZ 35 Hv 56/04m-12, verletzt den im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und der ihm zu Grunde liegenden Antrag des öffentlichen Anklägers zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit (in gekürzter Form ausgefertigtem) rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 5. Februar 2002, GZ 10 U 28/01i-12, wurde Verena E***** der Vergehen nach § 27 Abs 1 (erster, zweiter und sechster Fall) SMG schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine zweijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt. Mit Beschluss vom 15. März 2004, GZ 10 U 28/01i-17, sah das Bezirksgericht Innsbruck die bedingt nachgesehene Geldstrafe gemäß § 43 Abs 2 StGB endgültig nach. Dieser Beschluss wurde von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpft (S 87).
Mit (ebenfalls in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10. Mai 2004, GZ 35 Hv 56/04m-12, wurde Verena E***** wegen des (innerhalb der offenen Probezeit begangenen) Vergehens nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG (unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit zugleich gefasstem, ebenfalls in Rechtskraft erwachsenen Beschluss wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die im Verfahren AZ 10 U 28/01i des Bezirksgerichtes Innsbruck gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Diese Beschlussfassung erfolgte, obwohl die endgültige Strafnachsicht sowohl aus dem Vorstrafakt als auch aus der Strafregisterauskunft (S 41) ersichtlich war.
Rechtliche Beurteilung
Der Widerrufsbeschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Der Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 15. März 2004 auf endgültiges Absehen von der Bestrafung entfaltete nämlich eine Bindungs-(Sperr-)wirkung. Daher durfte weder das erkennende noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene prozessordnungsgemäße Kassation dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen. Der Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck hat daher durch seine Beschlussfassung gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO vom 10. Mai 2004 eine ihm nicht (mehr) zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen; er durfte die vom Bezirksgericht Innsbruck bereits ausgesprochene endgültige Strafnachsicht nicht beseitigen. Der bezeichnete Beschluss war daher aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO; Jerabek in WK² § 53 Rz 28) und der bezügliche Antrag der Staatsanwaltschaft vom 25. März 2004 zurückzuweisen. Damit sind die vom kassierten Beschluss rechtslogisch abhängigen weiteren Verfügungen gleichermaßen beseitigt (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28 mwN).
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