OGH 14Os92/88

OGH14Os92/887.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.September 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Volker A*** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und des gesetzlichen Vertreters Dr. Reinhold A*** gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 12.April 1988, GZ 6 Vr 109/88-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, des Angeklagten, der gesetzlichen Vertreter Dr. Reinhold und Heidemarie A*** sowie des Verteidigers Dr. Stadler zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (Punkt A) unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (Punkt B) sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Volker A*** wird von der Anklage, er habe am 16.Jänner 1988 in Klosterneuburg dadurch, daß er auf dem dortigen Eislaufplatz von hinten auf zahlreiche unbekannte eislaufende Mädchen zufuhr und ihnen ein Bein stellte, sohin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, fahrlässig eine Gefahr für die Gesundheit oder körperliche Sicherheit dieser unbekannt gebliebenen Mädchen, die dadurch teilweise zu Sturz kamen, herbeigeführt, und habe hiedurch das Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Gemäß § 13 Abs. 1 JGG 1961 wird der Ausspruch und die Vollstreckung der über Volker A*** wegen des ihm nach dem aufrecht bleibenden Teil des Schuldspruchs (Punkt A) weiterhin zur Last liegenden Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von einem Jahr vorläufig aufgeschoben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.Feber 1971 geborene, demnach noch jugendliche Schüler Volker A*** der Vergehen (A) der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB und (B) der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 16.Jänner 1988 in Klosterneuburg (zu A) Sabine F*** beim Eislaufen dadurch, daß er auf das Mädchen zufuhr und gegen deren Eislaufschuhe stieß, wodurch die Genannte zu Sturz kam, vorsätzlich mißhandelt und dadurch fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat Prellungen im Bereich des rechten Handgelenks und des rechten Knies zur Folge hatte;

(zu B) dadurch, daß er auf zahlreiche unbekannt gebliebene eislaufende Mädchen von hinten zufuhr, diese anrempelte und gegen ihre Eislaufschuhe stieß, sohin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, fahrlässig eine Gefahr für die Gesundheit oder körperliche Sicherheit dieser teilweise zu Sturz gekommenen Mädchen herbeigeführt.

Die Herbeiführung der zuletzt bezeichneten Gefahr unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB leitete das Jugendschöffengericht daraus ab, daß die natürliche Stabilität des menschlichen Körpers beim Eislaufen, wo wesentlich höhere Geschwindigkeiten als beim Gehen erreicht werden, an sich schon stark eingeschränkt sei, daß die Benützung von Schlittschuhen "bereits auf Holzboden" nur ein unsicheres Gehen ermögliche, ferner daß Eisläufer - insbesondere Anfänger und Ungeübte - die an einem Samstagabend wie vorliegend "in Massen" auftreten, viel häufiger stürzen als dies im normalen Alltag der Fall ist (US 5), und dem Angeklagten, der selbst "erst vor kurzem mit dem Eislaufen begonnen" hatte, all diese, eine außergewöhnliche Unfallwahrscheinlichkeit bedingenden Umstände bekannt gewesen seien.

Ausdrücklich nur den Schuldspruch wegen § 89 StGB bekämpfen der Angeklagte und sein gesetzlicher Vertreter mit einer (gemeinsam ausgeführten) auf die Z 9 lit. a und b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Bereits der auf den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund gestützten Rechtsrüge kommt Berechtigung zu, mit welcher die Annahme des Erstgerichts bekämpft wird, der Angeklagte habe unter besonders gefährlichen Verhältnissen gehandelt.

Zur Erfüllung des Tatbestands nach § 89 StGB ist die unter besonders gefährlichen Verhältnissen verschuldete Verursachung einer konkreten Gefährdung eines anderen erforderlich. Eine solche konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn infolge des Verhaltens des Täters eine Situation geschaffen oder aufrecht erhalten wurde, die nicht bloß allgemein, sondern gerade auch im besonderen Fall die Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen Menschen besorgen läßt. Es muß sich also um eine Situation handeln, die typischerweise dem Eintritt einer Körperverletzung vorangeht, wobei es nur noch von unberechenbaren und unvorhersehbaren Umständen - demnach vom Zufall - abhängt, ob eine solche Verletzung auch wirklich erfolgt. Unter besonders gefährlichen Verhältnissen im Sinn des § 81 Z 1 StGB als Voraussetzung der Strafbarkeit der Herbeiführung einer derartigen (konkreten) Gefahr handelt, wer die Tat unter Umständen begeht, die (vom objektiven Standpunkt eines ex ante-Beobachters beurteilt) eine in concreto gegenüber spezifischen Normalfällen qualitativ verschärfte Gefahrenlage im Sinn einer außergewöhnlich hohen Unfallwahrscheinlichkeit begründen, wobei eine umfassende konkrete Wertung aller risikoerhöhenden und risikovermindernden Umstände des Einzelfalles zu erfolgen hat (vgl. Leukauf-Steininger Komm.2 RN 6 ff; Kienapfel BT I2 RN 11; Burgstaller im WK Rz 22 je zu § 81).

Nach den bezüglichen Urteilsfeststellungen kamen nur einige der vom Angeklagten belästigten Eisläuferinnen zu Fall. Von den tatsächlich gestürzten (ca. fünf bis sieben) Mädchen (US 4) war nur eine einzige (leicht) verletzt. Schon daraus ergibt sich, daß unbeschadet der auf glatter Eisfläche an sich erhöhten Sturzgefahr durch das Täterverhalten des Verletzungsrisiko gegenüber dem Normalfall keineswegs deutlich verschärft wurde. Der risikoerhöhenden Sturzgefahr auf der glatten Eisfläche stand - worauf die Beschwerde zu Recht hinweist - der risikovermindernde Umstand entgegen, daß es nach einem Sturz auf Eisflächen (im Vergleich zu einem solchen auf weniger glattem Untergrund) in der Regel zu einer langsameren Energievernichtung kommt.

Von der Herbeiführung einer qualifizierten (gesteigerten) Gefahrensituation kann somit im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden. Es war daher bereits aus diesem Grund in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde (Z 9 lit. a) mit einem Freispruch vorzugehen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen (Z 9 lit. b), die hinsichtlich des Schuldspruchs nach § 89 StGB mangelnde Strafwürdigkeit (dieser Tat) gemäß § 42 StGB reklamieren.

Bei der hiedurch in Ansehung des dem Angeklagten weiterhin zur Last fallenden Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB notwendig gewordenen Neubemessung der Strafe waren kein Umstand erschwerend, hingegen das reumütige Geständnis und der bisher ordentliche Lebenswandel mildernd.

Im Hinblick auf den Wegfall der Deliktskonkurrenz (als Erschwerungsgrund) war der Ausspruch und die Vollstreckung der zu verhängenden Strafe gemäß § 13 Abs. 1 JGG für eine (dementsprechend verkürzte) einjährige Probezeit vorläufig aufzuschieben. Die (Tat-)Folgen und die Schuld des Angeklagten sind jedoch nicht so geringfügig, daß aus spezialpräventiver Sicht ohne eine ihm gesetzte Bewährungsfrist mit einer bloßen Ermahnung (§ 12 Abs. 2 JGG) das Auslangen gefunden werden kann.

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