OGH 14Os90/22z

OGH14Os90/22z27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Strafsache gegen * H* wegen des Vergehens der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB, AZ 38 Hv 36/18f des Landesgerichts Salzburg, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00090.22Z.0927.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 16. April 2018, GZ 38 Hv 36/18f‑51, wurde * H* des Vergehens der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer (teilweise bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Danach hat er am 31. Mai 2017 in M* den Tod der * W* grob fahrlässig herbeigeführt, indem er mit seinem Taxifahrzeug in Kenntnis, dass sich W* in einer Wiese mit bis zu 45 cm Grashöhe befinde, bei Dunkelheit in diese einfuhr, wobei seine Aufmerksamkeit nicht auf den unmittelbaren Nahebereich vor seinem Fahrzeug, sondern auf den durch den Scheinwerferkegel ausgeleuchteten weiteren Sichtbereich gerichtet war, er die liegende W* dadurch übersah und mit dem rechten Vorderrad auf sie auffuhr, wodurch sie an innerer Verblutung aus einem Einriss der Herzspitze und der Einmündung der oberen Hohlvene in das Herz als Folge eines heftigen stumpfen Brustkorbtraumas starb.

[3] Aus Anlass seiner Berufung (der nicht Folge gegeben wurde) verneinte das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht mit Urteil vom 10. Oktober 2018, AZ 9 Bs 233/18f (ON 60), grobe Fahrlässigkeit des Angeklagten, sprach diesen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer (teilweise bedingt nachgesehenen) Geldstrafe.

[4] Mit Beschluss vom 30. Dezember 2021 (ON 83) bewilligte das Landesgericht Salzburg die vom Verurteilten zum wiederholten Mal beantragte Wiederaufnahme des Strafverfahrens gemäß § 353 Z 2 StPO. Als neues Beweismittel, welches „zur Erwirkung eines Freispruchs oder zumindest einer Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz geeignet“ sei, erachtete es einen ergänzenden Bericht des Bundeskriminalamtes (ON 77), welcher nach Untersuchung von Fotos der Spuren auf der Kleidung des Opfers „mit einer neu angeschafften forensischen Software“ zum Ergebnis kam, dass das Fahrzeug des Verurteilten als Verursacher dieser Spuren ausscheide, als solcher vielmehr das Fahrzeug des ehemaligen Lebensgefährten des Opfers in Betracht komme.

[5] In Stattgebung der dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft wies das Oberlandesgericht Linz als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 5. April 2022, AZ 9 Bs 15/22b (ON 88), den Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab. Dabei sprach es im Wesentlichen dem erwähnten polizeilichen Untersuchungsbericht die von § 353 Z 2 StPO verlangte Eignung zur Änderung der Beweislage ab (vgl RIS‑Justiz RS0099446; Lewisch, WK‑StPO § 353 Rz 60 ff), weil die auf den Fotos abgebildeten Spuren auf der Kleidung des Opfers in keinem Zusammenhang mit den von diesem erlittenen Verletzungen stünden, allfällige Verursachung durch den Pkw einer anderen Person als des Verurteilten daher die bisherigen Verfahrensergebnisse (insbesondere Sachverständigen-gutachten und Untersuchungsberichte) zur Todesursache der W* nicht in Zweifel zögen. Der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung mehrerer Personen wiederum lasse einerseits keine Relevanz im zuvor dargestellten Sinn erkennen oder stimme mit bereits früher im Verfahren gestellten Anträgen überein und beziehe sich daher nicht auf neue Tatsachen oder Beweismittel.

Rechtliche Beurteilung

[6] Mit dem fristgerecht gestellten Antrag auf Erneuerung des Verfahrens (§ 363a StPO) behauptet der Verurteilte eine Verletzung „in seinem Recht auf ein faires Verfahren“ (Art 6 MRK). Dies jedoch zu Unrecht:

[7] In ständiger Rechtsprechung verneinen EGMR und Oberster Gerichtshof grundsätzlich die Anwendbarkeit des Art 6 MRK auf Verfahren über die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens, weil in diesen (anders als in einem wieder aufgenommenen Verfahren) nicht über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entschieden wird (RIS‑Justiz RS0120762, RS0105689). Vom Antragsteller ins Treffen geführte Ausnahmen macht der EGMR nur für außerordentliche Rechtsbehelfe, die entweder der innerstaatlichen Umsetzung eines Urteils des EGMR (in welchem eine Konventionsverletzung festgestellt wurde) dienen (11. 7. 2017, Nr 19867/12, Moreira Ferreira/Portugal [Nr 2]) oder die – ungeachtet ihrer innerstaatlichen Einordnung als außerordentlich (also gegen rechtskräftige Entscheidungen gerichtet) – ihrer Natur und Reichweite nach gewöhnlichen Rechtsmitteln vergleichbar sind, dem über sie erkennenden Gericht also einem ordentlichen Rechtsmittelverfahren entsprechende Kognitionsbefugnis verleihen (5. 2. 2015, Nr 22251/08, Bochan/Ukraine [Nr 2]; RIS‑Justiz RS0131773; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 27; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer‑Ladewig/ Nettesheim/von Raumer,EMRK4 Art 6 Rz 32).

[8] Dies ist hier nicht der Fall. Bezugspunkt der Betrachtung ist dabei nicht das Wesen des Beschwerdeverfahrens, sondern jenes des Verfahrens über den Antrag auf Wiederaufnahme, das dem über diesen erkennenden Gericht – ungeachtet der Möglichkeit zu sofortigem Freispruch (§ 360 Abs 1 StPO) – keineswegs (volle) Kognitionsbefugnis über die Stichhaltigkeit der Anklage verleiht.

[9] Davon abgesehen wäre der vom Antragsteller inhaltlich erhobene Vorwurf einer Verletzung der von Art 6 Abs 1 MRK garantierten Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen (vgl RIS-Justiz RS0122373) – selbst bei dessen Anwendbarkeit auf das vorliegende Verfahren – nicht berechtigt. Das Beschwerdegericht hat sich mit den vom Antragsteller angeführten Beweismitteln, insbesondere dem ergänzenden polizeilichen Untersuchungsbericht (ON 77), eingehend auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb es diesen keine Relevanz im Sinn des § 353 Z 2 StPO in Zusammenschau mit den bisherigen Verfahrensergebnissen beigemessen hat. Von Willkür oder grob unvernünftigen Beschlussannahmen, also eindeutig unzureichender oder offensichtlich widersprüchlicher Begründung, die eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (vgl zum restriktiven Maßstab RIS‑Justiz RS0129981), kann hier ebenso wenig die Rede sein wie von einem – vom Antragsteller behaupteten – „Ignorieren“ von ihm beigebrachter Beweismittel. Eine über diesen Maßstab des Art 6 Abs 1 MRK hinausgehende Überprüfung der Beschwerdeentscheidung durch den Obersten Gerichtshof (nach Art einer zusätzlichen Beschwerdeinstanz) findet im Rahmen des Verfahrens über einen Antrag auf Erneuerung des Verfahrens nicht statt (RIS‑Justiz RS0129606 [insbesondere T3]; Rebisant, WK-StPO §§ 363a–363c Rz 43).

[10] Der Erneuerungsantrag war daher bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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