OGH 14Os8/95

OGH14Os8/9514.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schaffer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dipl.-Ing. Ernst B* wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Oktober 1994, GZ 9 Vr 3.880/93‑18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1995:0140OS00008.9500000.0314.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dipl.-Ing. Ernst B* vom Anklagevorwurf des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Ihm lag zur Last, in Graz in der Zeit zwischen 5. Februar und 9. April 1992 als Leiter des Vermessungsamtes, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch die Republik Österreich an ihrem Recht zu schädigen, das vereinfachte Grenzvermessungsverfahren gemäß den Sonderbestimmungen der §§ 15 ff LiegTeilG nur bei Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen durchzuführen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich dadurch mißbraucht zu haben, daß er am 5. Februar 1992 einen Antrag der Rosa L* auf Grenzvermessung für die in den §§ 15 ff LiegTeilG genannten Zwecke aufnahm und das (für die Antragstellerin zu Lasten des Bundes kostengünstigere) vereinfachte Grenzvermessungsverfahren durchführte, obwohl es sich nicht um Grundstücke handelte, die zur Herstellung, Umlegung oder Erweiterung und Erhaltung einer Weganlage verwendet worden sind, und im Anmeldungsbogen an das Bezirksgericht Graz betreffend die Verbücherung der Eigentumsänderung nach §§ 15 ff LiegTeilG amtlich gemäß § 16 LiegTeilG tatsachenwidrig bestätigte, daß es sich um eine Weganlage handelt.

Das Schöffengericht stellte dazu fest, daß der Angeklagte die inkriminierte Amtstätigkeit gesetzt habe, ohne die subjektive Tatseite eines Mißbrauches der Amtsgewalt zu erfüllen. Aus der Sicht des Angeklagten sei im konkreten Fall durch die Schaffung einer Zufahrt in eine Garage eine Weganlage in der Bedeutung des § 15 Z 1 LiegTeilG hergestellt worden, weshalb er die Anwendung der Sonderbestimmungen über die Verbücherung von Weganlagen für gesetzlich gedeckt gehalten habe. Die Anwendung des § 15 LiegTeilG sei "Auslegungssache".

 

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft diesen Freispruch mit einer auf die Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Mängelrüge ist nicht begründet.

Ob eine Urteilsannahme mit sich selbst im Widerspruch steht, ist an Hand der Entscheidungsgründe in ihrer Gesamtheit und in ihrem Sinnzusammenhang zu beurteilen. Die von der Staatsanwaltschaft zur Stützung des behaupteten Begründungsmangels herangezogene Urteilspassage, wonach das Vorgehen des Angeklagten im konkreten Fall einen wissentlichen Befugnismißbrauch darstellte (US 8), war prinzipiell nur der Erörterung des objektiven Sachverhaltes gewidmet und durch die Beifügung "folgt man der Anklage", in einer Weise relativiert, daß darin eine Feststellung über die innere Tatseite nicht erblickt werden kann.

Mit dem Einwand der Unvollständigkeit der erstgerichtlichen Entscheidungsgründe mißt die Beschwerdeführerin einzelnen Ergebnissen des Beweisverfahrens, welche vom Schöffengericht ohnehin global gewürdigt wurden, zu Unrecht die Bedeutung zu, konkret auf eine Kenntnis des Angeklagten von der Gesetzwidrigkeit seiner Amtshandlung hingewiesen zu haben. Die Schilderung des Vermessungsinspektors Hofrat Dipl.-Ing. S* über "immer wieder" stattgefundene Belehrungen des Angeklagten betreffend die Durchführung von "§ 15 (LiegTeilG)‑Fällen" (S 166) wurde im Zuge der Zeugenbefragung dahin präzisiert, daß es sich dabei um offizielle Dienstbesprechungen mit allen Amtsleitern gehandelt habe (S 167 f). Dieser Umstand wurde vom Erstgericht ebenso berücksichtigt wie die auch vom Zeugen Dipl.-Ing. H* bekundete Belehrung des Angeklagten über die einschlägige Auslegungsproblematik. Darüber hinausgehender Erörterungen bedurfte es nicht, weil die Verfahrensergebnisse entgegen dem Beschwerdestandpunkt keinen direkten Hinweis auf einen bewußten Rechtsbruch des Angeklagten enthielten, sondern die Angaben des Dipl.-Ing. H* sogar darauf hindeuteten, daß der Angeklagte eine nicht so "engherzige" Gesetzesauslegung "als Christenmensch" (S 158, 160) vertretbar fand.

Es trifft zwar zu, daß die Urteilsfeststellung über Behauptungen der Rosa L* anläßlich einer Vorsprache im Vermessungsamt, wonach die verfahrensgegenständliche "Weg‑ und Hauszufahrt im Kaufvertrag festgehalten und auch grundbücherlich als Servitut eingetragen ist", ohne zureichende Begründung blieb, doch wurde vom Erstgericht aus diesem Sachverhaltselement weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Beziehung eine Schlußfolgerung abgeleitet. Das Beschwerdevorbringen läßt offen, weshalb diese Modalität erheblich sein soll. Der bezeichnete Umstand ist für die Lösung der Schuldfrage ohne Bedeutung, sodaß sich die Anfechtung nicht auf eine entscheidende Tatsache in der Bedeutung der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO bezieht.

Gleiches gilt für den Beschwerdeeinwand der Undeutlichkeit, mit welchem das Fehlen einer klaren Stellungnahme des Schöffengerichtes zur Anwendbarkeit des § 15 Z 1 LiegTeilG im Anlaßfall aufgezeigt wird. Der Ausspruch über die innere Tatseite des Angeklagten betrifft nämlich den entsprechenden damaligen Willensinhalt, der sachverhaltsmäßig nicht damit zusammenhängt, ob das erkennende Gericht im nachhinein die Amtshandlung als gesetzmäßig oder gesetzwidrig ansieht.

Die Rechtsrüge ist nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt:

Mit den Urteilsannahmen über die Meinung des Angeklagten, daß ein Anwendungsfall des § 15 Z 1 LiegTeilG vorliege und auch eine Garagenzufahrt der umfassenden Bedeutung des Begriffes "Weganlage" unterfalle (Urteil, S 4 und 10), wurde in tatsächlicher Hinsicht klargestellt, daß Dipl.-Ing. B* das Gesetz nicht übertreten wollte und eine in seinem Verhalten gelegene Befugnisüberschreitung nicht (mit Gewißheit) erkannte. Daraus folgt rechtlich, daß dem Angeklagten die in subjektiver Beziehung geforderte Wissentlichkeit eines Amtsmißbrauches nicht zur Last fällt und er den Tatbestand nach § 302 Abs 1 StGB nicht verwirklicht hat. Da die Anklagebehörde die genannten Urteilsfeststellungen entweder überhaupt nicht oder mit einer urteilsfremden Einschränkung nur für eine Anfangsphase des Geschehens zur Kenntnis nehmen will, verfehlt sie die gesetzmäßige Ausführung des geltend gemachten materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes, welche zur Voraussetzung hat, daß an den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils festgehalten und auf dieser Basis ein unterlaufener Rechtsirrtum dargetan wird. Auch die Einwendung von (rechtlichen) Feststellungsmängeln ist nur unter Heranziehung des gesamten Urteilsinhaltes zulässig und müßte im vorliegenden Fall von den Aussprüchen über die innere Tatseite ausgehen.

In Wahrheit laufen alle Beschwerdeforderungen nach einem ausreichenden Tatsachensubstrat zur Beurteilung der subjektiven Tatseite auf das Vorbringen hinaus, das Erstgericht hätte bei genauerer Befassung mit der zugrundeliegenden Sach‑ und Rechtslage die Haltlosigkeit und Unzulässigkeit der vom Angeklagten vertretenen Anschauung über die Reichweite des § 15 Z 1 LiegTeilG erkennen können und den konkreten Vorgang nicht mit einer Auslegungsproblematik dieser Norm in Verbindung bringen dürfen. Solcherart nimmt die Staatsanwaltschaft aber nur gegen die Lösung einer Beweisfrage Stellung, ohne einen Feststellungsmangel darzutun. Auch wenn nämlich die Überzeugung eines Beamten, sich noch innerhalb seiner gesetzlichen Befugnisse zu bewegen, auf einer abwegigen Rechtsmeinung oder einem vorwerfbaren Irrtum beruht, bleibt in subjektiver Beziehung für die Annahme einer Wissentlichkeit des Befugnismißbrauches kein Raum.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO), teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO) bereits in einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

 

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