OGH 14Os89/10k

OGH14Os89/10k20.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juli 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Skrdla als Schriftführerin in der Strafsache gegen Arnost B***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 20 HR 7/10a des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Arnost B***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 20. Mai 2010, AZ 10 Bs 173/10g (ON 175), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Arnost B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

In dem gegen den deutschen Staatsangehörigen Arnost B***** wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB von der Staatsanwaltschaft Graz geführten Ermittlungsverfahren wurde der Beschuldigte am 27. März 2010 aufgrund eines gerichtlich bewilligten Europäischen Haftbefehls (ON 42) in Bad Reichenhall festgenommen. Nach - ohne Verzicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität (§ 31 EU-JZG) erfolgter - Bewilligung der Übergabe zum Zweck der Strafverfolgung wegen der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Handlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft München (ON 49) wurde über ihn auf Antrag der Staatsanwaltschaft Graz mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. April 2010 - ausgehend von einer dringenden Verdachtslage in Richtung §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB - die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO verhängt (ON 54) und in der Haftverhandlung vom 28. April 2010 aus demselben Haftgrund fortgesetzt (ON 78 und 79).

Das Oberlandesgericht Graz gab der gegen den Fortsetzungsbeschluss erhobenen Beschwerde des Beschuldigten (ON 98) mit Beschluss vom 20. Mai 2010 (ON 175) nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft ebenfalls aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr fort.

Rechtliche Beurteilung

Die ausschließlich gegen die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr gerichtete und die Substituierbarkeit der Untersuchungshaft gegen gelindere Mittel einwendende Grundrechtsbeschwerde geht fehl.

Nach den (unbestrittenen) Annahmen des Oberlandesgerichts ist Arnost B***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB dringend verdächtig, weil er „als Geschäftsführer der E***** GmbH zu nachangeführten Zeitpunkten in Graz mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Nachgenannte durch nachangeführte Täuschungen über Tatsachen zu nachangeführten Handlungen verleitet“ habe, „welche diese Personen in einem 50.000 Euro übersteigenden Gesamtbetrag am Vermögen schädigten, und zwar

I. im Zeitraum vom 1. Jänner 2009 bis zum 6. Juli 2009 die im Abschlussbericht des S***** Graz vom 10. September 2009 genannten Personen (187 Personen, ON 7, S 113 bis 175) zur Entrichtung von Mitgliedsbeiträgen im Gesamtbetrag von 31.482 Euro;

II. im August 2008 Verfügungsberechtigte der Firma Elektro P***** durch die Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zur Erbringung von Elektroinstallationsarbeiten im Wert von 1.474,70 Euro;

III. zumindest im Zeitraum ab 31. Jänner 2008 bis zum 6. Juni 2009 Verfügungsberechtigte der Zentrum Pu***** GmbH durch Unterlassung der Verständigung über die eingetretene Zahlungsunfähigkeit der E***** GmbH zur mietweisen Überlassung des Objekts *****, wobei die Zentrum Pu***** GmbH in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurde (Mietzinsrückstände laut Aufstellung, S 9 ff in ON 29 - S 5 ff in ON 30);

IV. im Zeitraum zumindest ab 31. Jänner 2008 bis 6. Juli 2009 Verfügungsberechtigte der F***** GmbH durch Unterlassung der Verständigung über die eingetretene Zahlungsunfähigkeit der E***** GmbH zur Überlassung von Fitnessgeräten, wodurch die F***** GmbH in einem nicht näher genannten Gesamtbetrag am Vermögen geschädigt wurde (Gesamtmietzinsrückstand in Höhe von 27.982,99 Euro, Aufstellung ON 30, S 13) und

V. am 17. und 18. März und am 6. April 2009 Verfügungsberechtigte der K***** GmbH durch Täuschung über seine Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit zur Erbringung von Servicearbeiten an Fitnessgeräten im Gesamtwert von 755,28 Euro (ON 13)“.

Zunächst ist - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO der nicht gerügte Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts zu III und IV keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält, die eine rechtliche Beurteilung der als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen als Betrug durch Unterlassen begründen können. Grundsätzlich kann bloßes Unterlassen der gebotenen Aufklärung, das nicht in ein als aktives Tun fassbares Gesamtverhalten fällt, gemäß § 2 StGB Betrug begründen. Grundvoraussetzung ist eine den Täter im Besonderen treffende Rechtspflicht, einen ohne Aufklärung eintretenden Vermögensschaden abzuwenden (Kirchbacher in WK² § 146 Rz 23 ff). Eine garantenbegründende Aufklärungspflicht - fallbezogen etwa bei laufendem Vertragsverhältnis über die Zahlungsunfähigkeit der E***** GmbH - käme nur bei besonderen Vertrauensverhältnissen oder aufgrund eines vorangegangenen (nicht vorsätzlich irreführenden) Verhaltens im Sinne des Ingerenzprinzips in Betracht (vgl Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 146 Rz 89 ff; Kirchbacher in WK² § 146 Rz 26 f; 14 Os 10/04). Sachverhaltsannahmen zum Bestehen derartiger Pflichten wurden in der Beschwerdeentscheidung ebenso wenig getroffen wie zur Frage, inwieweit eine allenfalls unterlassene Aufklärung über die eingetretene Zahlungsunfähigkeit angesichts der nach den Beschlussannahmen seit Jahren bestehenden Miet- und Leasingverhältnisse und der daraus bereits zum 31. Dezember 2007 (somit aus deutlich vor dem Beginn des angenommenen Deliktszeitraums [31. Jänner 2008] gelegenen Zeitspannen) resultierenden Rückstände (zu III) an Mietzins von 140.204,87 Euro und (zu IV) an unbezahlten Leasingraten für Fitnessgeräte von 9.827,22 Euro (BS 7) einen Irrtum bei den Geschädigten hervorgerufen oder einen schon bestehenden Irrtum bestärkt hätte (vgl Kirchbacher in WK² § 146 Rz 43 f).

Hinsichtlich der Fakten I, II und V lässt sich den Sachverhaltsannahmen - zu I durch Hinweis des Beschwerdegerichts auf den Abschlussbericht ON 7, aus dem sich in Bezug auf die Mitgliedsbeiträge ergibt, dass ein Neuabschluss von Verträgen zu besonderen Konditionen erfolgte (ON 7 S 249), die Laufzeit der bestehenden Verträge automatisch geendet hätte (ON 7 S 395) und der Beschuldigte die Sperre des im Unternehmensareal befindlichen Bankomaten und Barzahlung an ihn veranlasste (ON 7 S 237 und 239), noch hinreichend deutlich - eine den jeweiligen Vertragsabschluss betreffende aktive Täuschungshandlung entnehmen.

Unter dem Aspekt der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO vermögen die ins Treffen geführten Annahmen zur Absicht des Beschwerdeführers, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (BS 7), eine Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB nicht zu tragen. § 148 zweiter Fall StGB setzt nämlich voraus, dass der Täter (zumindest) einen schweren Betrug in der Absicht verübt hat, sich durch wiederkehrende Begehung von jeweils schon für sich gesehen schwerem Betrug (§ 147 StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (Kirchbacher in WK² § 148 Rz 6). Es muss daher sowohl der in der bezeichneten Absicht begangene als auch der beabsichtigte Betrug jeweils für sich allein ein schwerer sein. Es genügt demnach nicht, dass schwerer Betrug nur infolge der Zusammenrechnung mehrerer an sich die Wertgrenze des § 147 Abs 2 StGB jeweils nicht übersteigender Schadensbeträge vorliegt (13 Os 1/07g verst Senat, EvBl 2007/114, 614 = JBl 2008, 467 [Schütz]). Nach der in der angefochtenen Entscheidung zu I angeführten Aufstellung belaufen sich die betrügerisch herausgelockten Mitgliedsbeiträge jedoch auf Beträge zwischen 200 und 424,40 Euro, auch die Schadensbeträge zu II und V übersteigen jeweils nicht die Wertgrenze von 3.000 Euro.

Somit ergibt sich insgesamt bloß die Annahme dringenden Tatverdachts in Richtung des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB.

In Ansehung der Haftgründe überprüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806). Dem daraus resultierenden Begründungserfordernis wird die angefochtene (allein den Bezugspunkt der Grundrechtsbeschwerde bildende) Entscheidung des Oberlandesgerichts - der Beschwerde zuwider - gerecht, indem sie die Fluchtgefahr (unter aktenkonformer Anführung von Belegstellen) in verschränkter Betrachtung daraus ableitete, dass der Beschwerdeführer - ungeachtet des Umstands, dass er in Bad Reichenhall und in Bratislava über zwei Wohnanschriften verfügte - trotz Erkennens der Zahlungsunfähigkeit spätestens am 9. Jänner 2008 nach umfangreichen Entnahmen aus seinem Unternehmen seit Juli 2009 für einen Zeitraum von zehn Monaten weder für seine Angestellten, die spätere Eigentümerin oder seine Gläubiger, noch für die Behörden telefonisch und postalisch erreichbar war und er im Verfahren AZ 40 Hv 154/09k des Landesgerichts Salzburg trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung keine Folge leistete (BS 7 bis 11).

Das auf diese Überlegungen in ihrer Gesamtheit nicht Bezug nehmende Beschwerdevorbringen missachtet mit der bloßen Behauptung ständiger Erreichbarkeit des Beschuldigten, dem Hinweis auf angebliches Fehlen eines Ladungsversuchs sowie durch isolierte Betrachtung der amtlichen Meldeadressen verbunden mit eigenen Beweiswerterwägungen die Anfechtungsvoraussetzungen.

Das Oberlandesgericht ging in seiner Entscheidung ohnehin vom Bestehen von zwei Wohnanschriften in Bad Reichenhall und Bratislava aus (BS 9), sodass die - im Übrigen ohne die bei gegebenem umfangreichen Aktenmaterial erforderliche Bezeichnung der Fundstelle (RIS-Justiz RS0124172) aufgestellte - Behauptung, wonach der Beschwerdeführer bei der ordnungsgemäßen Abmeldung in Deutschland die neue Adresse in Bratislava angegeben habe und die Ausführungen des Oberlandesgerichts, nach welchen er durch seine Abmeldung in Deutschland über keine amtliche Anschrift verfügt hätte, demnach unrichtig und aktenwidrig seien, ins Leere geht. Im Übrigen widerspricht der mit Blick auf den Ort der Festnahme hinreichend erkennbare Schluss des Oberlandesgerichts, dass der Beschuldigte seine Abmeldung an der Adresse in Bad Reichenhall veranlasst hatte, um sich vor den österreichischen Strafverfolgungsbehörden verborgen zu halten, nicht den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen.

Das weitere Beschwerdevorbringen, der Beschuldigte habe nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet (§ 31 Abs 2 Z 5 EU-JZG), sodass „die Überlegungen betreffend das Strafverfahren in Salzburg unbeachtlich sind“, leitet nicht aus dem Gesetz ab, weshalb das Nichterscheinen zur Hauptverhandlung in diesem Verfahren vom Oberlandesgericht nicht als „bestimmte“, somit sich aus dem konkreten Einzelfall ergebende (siehe Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 28) Tatsache für die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr hätte berücksichtigt werden können.

Der in diesem Zusammenhang in der gemäß § 24 StPO erstatteten Äußerung des Beschwerdeführers ergänzend vorgebrachte Einwand, er sei krankheitsbedingt am Erscheinen zur Hauptverhandlung am 13. Oktober 2009 verhindert gewesen und habe dem Landesgericht Salzburg eine (der Äußerung neuerlich angeschlossene, im Übrigen nicht in der Gerichtssprache abgefasste) ärztliche Bestätigung übermittelt, ist unbeachtlich, weil er zum einen gegen den von § 285 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 10 GRBG auch im Grundrechtsbeschwerdeverfahren gültigen Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstößt (RIS-Justiz RS0097061 [T2], RS0097055 [T3]) und zum anderen an der nach Maßgabe des § 1 GRBG verlangten, nicht bloß formalen (nämlich Anrufung des Beschwerdegerichts), vielmehr auch inhaltlichen Ausschöpfung (vgl § 88 Abs 1 erster Satz StPO) des Instanzenzugs scheitert (RIS-Justiz RS0114487 [insbesondere T6, T8, T9, T11 bis T15, T19, T20]).

Soweit die Grundrechtsbeschwerde darüber hinaus rügt, dass sich das Oberlandesgericht mit den vom Beschwerdeführer angebotenen gelinderen Mitteln nicht „hinreichend auseinandergesetzt“ habe und „konkrete Ausführungen“, aus welchen Gründen die Anwendung gelinderer Mittel ausscheiden, zur Gänze fehlen würden, übergeht sie - zudem ohne inhaltliche Argumentation zur behaupteten Substituierbarkeit - den auch in diesem Zusammenhang erfolgten Hinweis auf das Nichterscheinen zur Hauptverhandlung im Verfahren vor dem Landesgericht Salzburg (BS 11).

Die Grundrechtsbeschwerde des Arnost B***** war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Ausgehend von der (derzeit) bestehenden dringenden Tatverdachtslage wird - vorbehaltlich eventueller Erweiterung derselben in Richtung des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB nach allfälliger Erwirkung einer Nachtragsübergabe - der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besondere Bedeutung zukommen und die Bestimmung des § 180 Abs 1 letzter Halbsatz StPO zu beachten sein.

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