OGH 14Os76/97

OGH14Os76/9729.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Juli 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Holzweber, Dr.Ratz und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Freundorfer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter W***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 21.April 1997, GZ 30 j Vr 13.259/96-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und es werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil, die im übrigen unberührt bleiben, im Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (Punkt 1), demgemäß auch der Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Peter W***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Darnach hat er am 9.November 1996 in Wien Robert H*****

1.) durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe ein Fläschchen Methadon und 300 S Bargeld mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung abgenötigt, indem er ein herausgefahrenes Stanleymesser gegen dessen Hals drückte und äußerte:

"Gib mir dein Methadon !" und "Nun gib mir auch noch dein Geld !" sowie (in weiterer Folge)

2.) durch einen Faustschlag ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt, was eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen dislozierten Bruch des Nasenbeines zur Folge hatte.

Der ersichtlich nur gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes aus § 345 Abs 1 Z 4, 5 und 10 a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt insofern Berechtigung zu, als er in der Verlesung der Angaben des Zeugen Robert H***** bei der Polizei (S 55 f, 61) und vor dem Untersuchungsrichter (ON 32) eine Verletzung der Vorschrift des § 252 Abs 1 StPO erblickt (Z 4) und sich durch die Abweisung seines Antrages auf neuerliche Ladung oder Vorführung dieses Zeugen in seinen Verteidigungsrechten verkürzt erachtet (Z 5).

Rechtliche Beurteilung

Fallbezogen lagen nämlich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß Robert H***** nicht bloß vorübergehend unbekannten Aufenthaltes, also überhaupt unauffindbar war und sein persönliches Erscheinen füglich nicht bewirkstelligt werden konnte:

Er hatte unter seiner einzigen aktenkundigen Anschrift, an der er seit 24.September 1996 aufrecht gemeldet ist (ON 51), sowohl im Dezember 1996 als auch im Jänner 1997 Zeugenladungen im Vorverfahren persönlich übernommen (S 3 c, 3 c verso), ihnen allerdings nicht Folge geleistet. Aufgrund eines Dauervorführungsbefehls konnte er jedoch nach zahlreichen Hauserhebungen am 19.Jänner 1997 angehalten und am nächsten Tag vom Untersuchungsrichter einvernommen werden. Die Ladung zur Hauptverhandlung wurde durch Hinterlegung an seiner Wohnadresse bewirkt (Rückschein bei ON 40), wobei kein bezüglicher Postfehlbericht im Akt erliegt. Darüber hinaus wurde er am 8.März 1997 von einem Beamten des für seinen Wohnsitz zuständigen Bezirkspolizeikommissariates persönlich über den Hauptverhandlungstermin informiert, nachdem er zufällig auf der Straße angetroffen worden war. In der über diesen Vorgang errichteten Niederschrift versprach er, den Termin einzuhalten (S 227). Nachdem Robert H***** dennoch zur Hauptverhandlung nicht erschienen war, ordnete der Vorsitzende dessen sofortige Vorführung unter Einschluß schonender Öffnung der Wohnungstüre an. Der Zeuge wurde jedoch von den intervenierenden Polizeibeamten nicht angetroffen. Da aus der Wohnung keine Geräusche drangen und Nachbarn keine zweckdienlichen Angaben über den Aufenthalt des Genannten machen konnten, wurde von einer gewaltsamen Öffnung der Wohnung Abstand genommen (S 247).

Die Frage, wann die Suche nach einem Zeugen aufgegeben, sein Aufenthalt damit als unbekannt angesehen und sein persönliches Erscheinen daher füglich nicht bewerkstelligt werden kann, sonach die Verlesung seiner früheren (nicht kontradiktorisch zustandegekommenen) Aussagen zulässig ist (§ 252 Abs 1 Z 1 StPO), kann immer nur nach Lage des konkreten Einzelfalles beurteilt werden. Im allgemeinen läßt sich nur die Regel aufstellen, daß diese Verlesungsvoraussetzungen umso restriktiver zu handhaben sind, je wichtiger der fragliche Zeugenbeweis für die Wahrheitsfindung ist und je schwerer der dem Angeklagten zur Last liegende Vorwurf wiegt.

Bei Anlegung dieses Maßstabes hätte das Erstgericht ungeachtet der geschilderten bisherigen Schwierigkeiten bei der Auffindung des Zeugen Robert H***** angesichts des Umstandes, daß es sich um den einzigen (aussagebereiten) Tatzeugen handelt, dessen Verläßlichkeit nach der Aktenlage zudem nicht unproblematisch ist, und mit Rücksicht auf die aktuelle Strafdrohung des ersten Strafsatzes des § 143 StGB (iVm § 39 StGB) einen weiteren, entsprechend intensiveren Versuch zur Stelligmachung unternehmen müssen und sich nicht mit der Verlesung der aussagen aus dem Vorverfahren begnügen dürfen.

Damit wurde nicht nur der Beschwerdeführer insofern in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt, als es ihm nicht möglich war, Fragen an diesen Belastungszeugen zu stellen (Art 6 Abs 3 lit d MRK), sondern auch den Geschworenen verwehrt, sich bei der - fallbezogen schmalen Entscheidungsgrundlage - einen persönlichen Eindruck von diesem zu verschaffen.

Die solcherart erforderliche Aufhebung des Schuldspruchs wegen schweren Raubes (§ 285 e StPO) macht eine Erörterung der weiteren Beschwerdeargumente entbehrlich.

Auch die Berufung des Angeklagten ist im Hinblick auf die Mitaufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

Für den zweiten Rechtsgang wird auf die Möglichkeit einer kontradiktorischen Vernehmung (§ 162 a StPO) des Zeugen Robert H***** im Zwischenverfahren - die übrigens schon im Vorverfahren angezeigt gewesen wäre -, auf die allfällige Zweckmäßigkeit einer Verfahrensausscheidung (§ 57 StPO) zur Haftverkürzung und auf die Notwendigkeit verwiesen, das im ersten Rechtsgang der Zeugin Birgit G***** gewährte Entschlagungsrecht (§ 152 Abs 1 Z 1 und 2 StPO) kritisch zu hinterfragen.

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