Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Geschworenengerichtes beim (damaligen) Kreisgericht Korneuburg vom 8.Dezember 1984, GZ 10 Vr 949/82-570, wurde Dr.Friedrich Wilhelm K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit b (aF) WaffG schuldig erkannt, nach §§ 28, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
Am 2.Juli 1986 bestätigte der Oberste Gerichtshof - in Abwesenheit des Angeklagten, dessen Vorführung weder beantragt, noch von Amts wegen veranlaßt worden war (§ 296 Abs 3 StPO) - dieses Urteil im Schuldspruch, änderte aber den Strafausspruch dahin ab, daß einerseits der Angeklagte zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, andererseits der Unterbringungsantrag nach § 21 Abs 2 StGB abgewiesen wurde (GZ 9 Os 76/85-27).
In der Folge brachte Dr.K***** bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte eine Beschwerde ein, die zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 21.September 1993, Zl 29/1992/374/448 führte. Darin stellte der Gerichtshof unter Ablehnung aller übrigen, von der Kommission für zulässig erklärten Beschwerdepunkte fest, daß nach Lage des Falles die persönliche Anwesenheit des Angeklagten ungeachtet seines Versäumnisses, die Vorführung zum Gerichtstag über die - zu seinen Gunsten lediglich von seinen Angehörigen, darüber hinaus jedoch auch von der Staatsanwaltschaft ausgeführten - Berufungen zu beantragen, im Interesse der Fairneß des Verfahrens geboten gewesen wäre; dies vor allem deshalb, weil der Oberste Gerichtshof, anders als die Geschworenen, die sich außerstande gesehen haben, ein Motiv zu finden, festgestellt hatte, daß der Angeklagte den Mord deshalb ausführte, um die Aufdeckung eigener finanzieller Verfehlungen zu verhindern.
In diesem Versäumnis, das den Angeklagten außerstande gesetzt hat, sich in diesem Zusammenhang "persönlich zu verteidigen", erblickte der EGMR eine Verletzung des Art 6 Abs 1 iVm Abs 3 lit c der EMRK.
Der Antrag Dris K***** auf Erneuerung des Strafverfahrens geht fehl.
Rechtliche Beurteilung
Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, daß die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluß auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte (§ 363 a Abs 1 StPO).
Aus der Verwendung der Gegenwartsform ("Wird .... festgestellt") für die im ersten Halbsatz dieser Bestimmung normierte materielle Grundlage einer Erneuerung des Strafverfahrens erhellt, daß eine solche Erneuerung nur auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegründet werden kann, welche nach Einführung der §§ 363 a ff StPO ergangen sind. Weil indes Dr.Wilhelm K***** seinen Antrag auf ein vor Inkrafttreten des II.Abschnittes des XX.Hauptstückes der Strafprozeßordnung erflossenes Urteil des genannten Gerichtshofes (Art XI Abs 1 des Strafrechtsänderungsgesetzes 1996 BGBl 1996/762), welches solcherart außerhalb des zeitlichen Bedingungsbereiches dieser gesetzlichen Regelung liegt (vgl Mayer B-VG**2 Art 49 III.2., Walter-Mayer Grundriß des österreichischen Verfassungsrechts8 Rz 493), stützt, sind die materiellen Voraussetzungen für eine Erneuerung nicht erfüllt. Eine Übergangsregelung nach Art des § 12 Abs 2 GRBG hat der Gesetzgeber nicht getroffen.
Der Hinweis auf Art V des Gesetzes vom 23.Mai 1873, RGBl 1873 Nr 119, greift, ungeachtet der - demnach bedeutungslosen - Frage seiner Weitergeltung, schon deshalb nicht, weil diese Bestimmung (neben einem hier nicht interessierenden Fall) nur die Geltung der damals neu eingeführten "Strafproceß-Ordnung" bei Beurteilung der Statthaftigkeit der Wiederaufnahme geregelt hat, die Erneuerung des Strafverfahrens (II.Abschnitt des XX.Hauptstückes) aber ebensowenig eine Wiederaufnahme des Verfahrens (I.Abschnitt) darstellt wie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (III.Abschnitt). Das geht bereits aus der differenzierenden Überschrift des XX.Hauptstückes unzweifelhaft hervor.
§ 61 StGB hinwieder bezieht sich auf den zeitlichen Geltungsbereich des materiellen Strafrechtes und hat mit demjenigen prozessualer Vorschriften nichts zu tun.
Für eine (historisch-)teleologische Interpretation dahin, daß der Gesetzgeber speziell (auch) Dr.K***** die Erneuerung des Strafverfahrens ermöglichen wollte, bieten die Gesetzesmaterialien keinen Anhalt.
Schließlich ist vor der Forderung nach verfassungskonformer Interpretation der Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers zu beachten.
Daraus folgt die Zurückweisung des Antrages bereits in nichtöffentlicher Sitzung (§ 363 b Abs 2 Z 3 StPO).
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