Spruch:
Das Gesetz ist verletzt worden:
1. durch den Vorgang, daß das Landesgericht St.Pölten von seinem Beschluß vom 13.Mai 1992, GZ 29 E Vr 80/92-8, mit dem es die bedingte Nachsicht der über Hans Peter M***** im Urteil des Landesgerichtes Krems/D vom 12.Juni 1989, GZ 9 c E Vr 366/87-46, verhängten Freiheitsstrafe widerrief (§ 494 a Abs 1 Z 4 StPO), das Landesgericht Krems nicht unverzüglich verständigte, in der Bestimmung des § 494 a Abs 8 StPO idF BGBl 1989/242;
2. durch den Beschluß des Landesgerichtes Krems/D vom 21.März 1994, GZ 9 c E Vr 366/87-51, mit dem es diese Strafe endgültig nachsah (§ 43 Abs 2 StGB), in der Bestimmung des § 43 Abs 2 StGB sowie in dem sich aus den Anfechtungsvorschriften der Strafprozeßordnung ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen bereits ab deren Fällung.
Der zu Punkt 2 bezeichnete Beschluß wird aufgehoben und der darauf gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Krems/D vom 12.Juni 1989, GZ 9 c E Vr 366/87-46, wurde Hans Peter M***** wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und anderer Delikte zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
Wegen mehrfacher Delinquenz innerhalb der Probezeit wurde über Hans Peter M***** mit Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 13.Mai 1992, GZ 29 E Vr 80/82-8, eine fünfmonatige Freiheitsstrafe verhängt. Zugleich faßte das Landesgericht St.Pölten gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO den Beschluß auf Widerruf der im eingangs bezeichneten Erkenntnis des Landesgerichtes Krems/D vom 12.Juni 1989, GZ 9 c E Vr 366/87-46, ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht.
Hans Peter M***** bekämpfte dieses Urteil des Landesgerichtes St.Pölten im Strafausspruch mit Berufung und den Widerufsbeschluß mit Beschwerde. Das Rechtsmittelverfahren konnte vorerst wegen Unerreichbarkeit des Angeklagten nicht durchgeführt werden.
Anläßlich der Beschlußfassung nach § 494 a Abs 1 Z 4 StPO hatte das Landesgericht St.Pölten entgegen der im Gesetz (damals Abs 8, nunmehr Abs 7 des § 494 a StPO) normierten Pflicht zur unverzüglichen Verständigung keine Verfügung getroffen, das Landesgericht Krems/D vom Widerrufsbeschluß in Kenntnis zu setzen. Es mag sein, daß dem Gericht die Einhaltung dieser Obliegenheit nicht notwendig erschien, weil es (nach der Aktenlage vom 31.Jänner 1992 bis zum 10.Dezember 1993) ohnedies selbst über den betroffenen Akt AZ 9 c E Vr 366/87 des Landesgerichtes Krems/D verfügte, jedoch hätte die gebotene Verständigung die Kenntnis des Landesgerichtes Krems/D vom Widerrufsbeschluß auch für den (hier eingetretenen) Fall sichergestellt, daß der bezügliche Akt durch die Geschäftsabteilung ohne richterliche Verfügung zurückgestellt wird.
Noch vor Abschluß des Rechtsmittelverfahrens im Strafakt des Landesgerichtes St.Pölten sprach das Landesgericht Krems/D mit Beschluß vom 21.März 1994, GZ 9 c E Vr 366/87-51, über Antrag der Staatsanwaltschaft aus, daß die dem Hans Peter M***** mit Urteil des Landesgerichtes Krems/D vom 12.Juni 1989, GZ 9 c E Vr 366/87-46, gewährte bedingte Strafnachsicht endgültig geworden sei.
Dieser Beschluß, der dem Verurteilten nicht bekannt gemacht wurde, steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Begriffsessentielle Voraussetzung für die endgültige Strafnachsicht ist das Unterbleiben eines Widerrufs (§ 43 Abs 2 StGB). Diese Bedingung war nicht erfüllt, weil zuvor bereits das Landesgericht St.Pölten auf einen derartigen Widerruf erkannt hatte.
Dieser Widerrufsbeschluß vom 13.Mai 1992 entfaltete ab seiner Verkündung insoweit Bindungswirkung, als er nur noch der Behebung oder Abänderung im Wege der in den Prozeßgesetzen vorgesehenen Rechtsmittel (oder Rechtsbehelfen) unterlag, wogegen außerhalb eines solchen Verfahrens eine neuerliche Entscheidung über die entschiedene Widerrufsfrage nicht zulässig war. Das Landesgericht Krems/D hat daher durch die Beschlußfassung am 21.März 1994 gesetzwidrig eine Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen (15 Os 96,97/93; EvBl 1989/64).
Der demgemäß ab seiner Verkündung rechtswirksame Widerrufsbeschluß vom 13.Mai 1992 erlangte mit der abweislichen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 4.April 1995 über die Berufung und die Beschwerde des Hans Peter M***** gegen die Entscheidungen des Landesgerichtes St.Pölten vom 13.Mai 1992, GZ 29 E Vr 80/92-8, materielle Rechtskraft.
Der entgegenstehende, erst am 21.März 1994 ergangene, Beschluß des Landesgerichtes Krems/D konnte sonach weder den schon vorher durch das zuständige Landesgericht St.Pölten wirksam beschlossenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht beseitigen, noch sonst eine Rechtsfolge hervorrufen. Der konstitutive Gehalt des ab seiner Verkündung wirksamen und später auch in Rechtskraft erwachsenen Widerrufsbeschlusses blieb vielmehr hievon unberührt. Zur Klarstellung dieser Rechtslage war dieser ohne jegliche Auswirkung auf Hans Peter M***** gebliebene Beschluß des Landesgerichtes Krems/D über die Endgültigkeit der bedingten Strafnachsicht aufzuheben (JBl 1989, 400 = EvBl 1989/64) und der darauf gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
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