OGH 14Os68/08f (14Os70/08p)

OGH14Os68/08f (14Os70/08p)2.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und Hon.-Prof. Dr. Schroll in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Helmut E***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 122 Hv 31/07h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Helmut E***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 18. Februar 2008, AZ 19 Bs 28/08v (= ON 1419), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Helmut E***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Insoweit sie sich gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft durch die Vorsitzende des Schöffengerichts richtet, wird sie zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Helmut E*****, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der B***** AG, nachfolgend B***** AG, werden mit rechtskräftiger und in der Hauptverhandlung mehrfach ausgedehnter Anklage vom 23. Oktober 2006 (ON 403) die Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB sowie Vergehen nach § 255 Abs 1 Z 1 AktG zur Last gelegt. Demgemäß beschreibt der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts Wien die dringende Verdachtslage wie folgt (BS 2 bis 12):

„Helmut E***** habe I./A/ die ihm als Vorsitzenden des Vorstands durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der B***** zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch - gemeinsam mit den ihm zu Anklagepunkt II. zur Last gelegten Straftaten - der B***** einen 50.000 EUR um das knapp 29.000-fache übersteigenden Vermögensnachteil von 1.442,214.945 EUR zugefügt, indem er

1. trotz der schlechten finanziellen Lage Dris. F*****, des Umstands, dass eine Rückzahlung der Mittel unwahrscheinlich war, obgleich die von Dr. F***** als Sicherheit zur Verfügung gestellten Vermögenswerte das aushaftende Obligo weit unterschritten und trotz der bereits eingetretenen Überschreitung der Höchstgrenze für Großveranlagungen

a) am 30. November 1998 der R***** Ltd. bzw einer anderen Gesellschaft Dris. F***** 48 Millionen USD ohne vertragliche Grundlage - die erst am 15. Jänner 1999 durch Zeichnung einer Anleihe der Fe***** Ltd. nachgetragen wurde - zur Verfügung stellte, wodurch der B***** unverzüglich ein Schaden in Höhe dieser Zuwendung von 41,606.584 EUR entstand;

b) am 14. Jänner 1999 den Erwerb einer Anleihe der C***** Ltd. um 3.141,600.000 Yen veranlasste, wodurch der B***** am 26. August 1999 unter Einrechnung der in Punkt a) genannten Zahlung ein in Wertverlust gelegener Schaden von 19,795.498 EUR entstand;

c) am 9. September 1999 der R***** Ltd. einen Kredit von 20 Millionen USD gewährte, wodurch der B***** unverzüglich ein in nicht rückgeführter Kreditvaluta liegender Schaden in Höhe des Darlehens von 18,967.202 EUR entstand;

2. im Dezember 2000 der Entnahme von 9,173.091 EUR durch Dr. Wolfgang F***** für eigene Zwecke aus den nach den Verlusten verbliebenen Resten der Veranlagung in die Uni-Bonds zustimmte;

I./B/ im November 2000 in Wien mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten um insgesamt 7,409.634 EUR unrechtmäßig zu bereichern, den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der B***** Günter W***** und - teilweise - durch diesen die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats durch Täuschung über Tatsachen, nämlich seine zu den Anklagepunkten II.1. beschriebenen Gestionen und die dadurch bewirkten Verluste und seine Anordnung gegenüber Dr. Wolfgang F*****, von August bis November 2000 die hochriskanten spekulativ eingegangenen Finanzinstrumente, mit welchen bei einem bis zum gesamten eingesetzten Kapital reichenden Verlustpotential auf steigende langfristige Zinsen im japanischen Yen gesetzt worden war, beizubehalten und nicht zu liquidieren, zu Handlungen verleitet, und zwar

1. am 2. November 2000 eine im Vorstandsvertrag nicht vorgesehene, als außerordentliches Bilanzgeld bezeichnete Prämie für das Wirtschaften im Jahr 2000 zu bewilligen und auszahlen zu lassen, wodurch der B***** ein Schaden von 581.383 EUR (8 Millionen S) entstand;

2. am 23. November 2000 der Abfindung seiner (des E*****) und seiner Ehefrau Ruth E***** Anwartschaftsrechte auf eine vertraglich vereinbarte Betriebspension zuzustimmen und die am 24. November 2000 erfolgte Auszahlung zu veranlassen, wodurch der B***** ein Schaden von 6,828.252 EUR (93,958.797 S) entstand;

II. als Vorsitzender des Vorstands der B***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem Mitglied des Vorstands Dkfm. Johann Z***** als Mittäter die ihnen durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der Bank zu verfügen, wissentlich missbraucht und ihr dadurch einen 50.000 EUR um das 27.000-fache übersteigenden Vermögensnachteil von 1.352,672.570 EUR zugefügt, indem E***** und Dkfm. Z*****

1. im September und Oktober 1998 in Wien

a) durch Täuschung über den Zweck und das Risikopotential des Kredits durch Behauptung, es würden sichere japanische Staatsanleihen angekauft, während tatsächlich hochriskante spekulative Finanzinstrumente erworben werden sollten, die Zustimmung der Vorstandsmitglieder Mag. Dr. Christian Bü***** und Mag. Hubert K***** für einen Kredit an die N***** Ltd. in Höhe von 89 Millionen USD erschlichen und diesem auch selbst zustimmten, wodurch der B***** mangels Rückführung am 16. Oktober 1998 ein Schaden im Ausmaß der Darlehenssumme von 73,415.235 EUR entstand;

b) gegenüber Dr. Wolfgang F*****, dem Machthaber der Kreditnehmer F***** Ltd., G***** Ltd. und S***** Ltd., anordneten, deren einseitig hochriskante, spekulativ mit Kreditmitteln des B*****-Konzerns erworbene Finanzinstrumente, mit denen bei einem bis zum gesamten Kapital reichenden Verlustpotential auf gegenüber dem USD fallenden Yen gesetzt worden war, beizubehalten und nicht zu liquidieren, sowie das zu Punkt a) angeführte Investment vornahmen, wodurch der B***** am 16. Oktober 1998 ein in nicht rückgeführten Krediten gelegener weiterer Schaden von 550 Millionen USD, das entspricht 453,689.657 EUR, entstand;

2. im Zeitraum vom 26. Oktober 1998 bis 20. November 2000 in Wien unter Verheimlichung der relevanten Umstände vor dem Aufsichtsrat, durch Darstellung eines weit überhöhten Werts des von Dr. Wolfgang F***** als Sicherheit für das bestehende Obligo zur Verfügung gestellten Vermögens sowie durch Verschweigen der eigenen, im Anklagepunkt II.1. - und bei Helmut E***** darüber hinaus in Anklagepunkt I.A/1. dargestellten Mitwirkung an den Verlusten - die für die Beschlussfassung maßgebliche Zustimmung anderer Vorstandsmitglieder zu Krediten und Veranlagungen erschlichen und diese auch selbst mittrugen, die Grundlage und Voraussetzung für den Transfer weiterer, frischer Geldmittel an Gesellschaften Dris. Wolfgang F***** waren, nämlich

a) am 26. Oktober 1998 die Zustimmung von Mag. Hubert K***** und Dr. Josef S***** dazu, eine Anleihe der H***** Ltd. von 250 Millionen USD über die B***** Ltd. und die liechtensteinische Anstalt A***** sowie unter Einschaltung der liechtensteinischen Stiftungen Be*****, Bi***** und T***** zu zeichnen, wodurch der B***** teils bis 1. Dezember 1999 und teils am 20. November 2000 ein in Wertverlust gelegener Schaden von insgesamt 256,128.193 EUR entstand;

b) am 26. und 27. Oktober 1998 die Zustimmung von Mag. Dr. Christian Bü*****, Mag. Hubert K***** und Dr. Josef S*****, der O***** Ltd. einen Kredit von 90 Millionen USD über die B***** Ltd. zu gewähren, wodurch der B***** im Ausmaß von 80 Millionen USD am 28. Oktober 1998 und im Übrigen am 13. November 1998 ein in nicht rückgeführter Kreditvaluta gelegener Schaden in Höhe des Darlehens von zu den Zeitpunkten des Schadenseintritts 76,509.866 EUR entstand;

c) am 17. Februar 1999 die Zustimmung von Mag. Hubert K***** und Dr. Josef S*****, eine Anleihe der F***** Ltd. um 34 Millionen USD aufzustocken, wodurch der B***** am 26. August 1999 ein in Wertverlust gelegener Schaden im Ausmaß des Erhöhungsbetrags von 32,545.790 EUR entstand;

d) am 21. April 1999 die Zustimmung des Mag. Hubert K*****, der K***** BV und der H***** BV Kredite von 25 und 35, insgesamt 60 Millionen USD zwecks Zeichnung von weiteren Anleihen der H***** Ltd. zu gewähren, wodurch der B***** spätestens am 1. Dezember 1999 ein in nicht rückgeführter Kreditvaluta gelegener Schaden in Höhe der Darlehen von gesamt 59,502.866 EUR entstand;

3. am 22. Dezember 1999 einen Vorstandsbeschluss über die Veranlagung von 350 Millionen EUR in sogenannte Uni-Bonds dadurch herbeiführten, dass sie diesen initiierten, ihm zustimmten, die Zustimmung der Vorstandsmitglieder Mag. Hubert K*****, Dr. Josef S***** und Mag. Dr. Christian Bü***** erschlichen und diese zur Unterfertigung der bezughabenden Verträge bewegten, indem sie tatsachenwidrig behaupteten,

Rechtliche Beurteilung

Indem die Grundrechtsbeschwerde explizit auch hinsichtlich des erstgerichtlichen Fortsetzungsbeschlusses eine Grundrechtsverletzung moniert (S 30), war sie zurückzuweisen, weil Gegenstand des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens allein die im Instanzenzug vorgesehene Entscheidung des Oberlandesgerichts ist (§ 1 Abs 1 GRBG; vgl bereits 14 Os 70/07m [14 Os 81/07d], = ON 814; Hager/Holzweber GRBG § 1 E 21).

Diese wird ausdrücklich ihrem gesamten Inhalt und Umfang nach angefochten (S 2), der darin dargelegte dringende Tatverdacht (BS 14 bis 19) jedoch inhaltlich nicht bekämpft, weshalb sich diesbezügliche Erörterungen erübrigen.

Insoweit sich die Grundrechtsbeschwerde gegen die Annahme des Haftgrunds der Fluchtgefahr und die Nichtanwendung gelinderer Mittel (insbesondere einer Kaution) wendet, ist ihr mangels Erschöpfung des Instanzenzugs ein Erfolg zu versagen, wurde doch diese Argumentation in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss (ON 1306) keiner substantiellen Anfechtung unterzogen (neuerlich 14 Os 70/07m [14 Os 81/07d], RIS-Justiz RS0114487). Ihr - einzig neues - Vorbringen (im Übrigen wurde „zur Vermeidung von Wiederholungen auf sämtliche bisherigen Ausführungen verwiesen") in Bezug auf die kritisierte Annahme der Fluchtgefahr bezieht sich auf eine weitere die verhandlungsfreie Zeit um den Jahreswechsel 2007/2008 mitbedingende (Unterleibs-)Operation des Beschwerdeführers, vermag aber mit Blick auf den unbehinderten weiteren Fortgang des Verfahrens keine den Fortbestand des Haftgrunds hindernden Umstände aufzuzeigen. Insoweit die Grundrechtsbeschwerde zulässig, weil an der Anfechtung des erstgerichtlichen Beschlusses orientiert, eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nach § 9 Abs 2 und § 177 Abs 1 StPO sowie (implizit) eine Unverhältnismäßigkeit der Haft darin erblickt, dass der ursprüngliche, von einer Urteilsfällung am Weltspartag 2007 ausgehende Verhandlungsplan nicht eingehalten worden sei und im Zeitraum vom 28. November 2007 bis 14. Jänner 2008 keine Hauptverhandlung stattgefunden habe, geht sie fehl. Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren prüft der Oberste Gerichtshof, was die sogenannte Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft anlangt, in zwei Schritten, ob angesichts der vom Oberlandesgericht in der Beschwerdeentscheidung angeführten Tatsachen der von diesem gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (§ 180 Abs 1 zweiter Satz StPO aF; nun § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) und - zusätzlich nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung (vgl Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415 [419]) - ob die Gerichte alles ihnen mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (§ 193 Abs 1 StPO aF; nun § 9 Abs 2, § 177 Abs 1 StPO; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 193 Rz 4). Eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 180 Abs 1 zweiter Satz StPO aF (nun § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) grundrechtswidrig im Sinn einer Verletzung des § 193 Abs 1 StPO aF (nun §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0120790). Der Beschwerde zuwider erfahren die eben dargelegten Grundsätze durch die explizite Statuierung des Beschleunigungsgebots in den letztgenannten Bestimmungen der neuen StPO keine Änderung und gewähren insbesondere nicht ohne weiteres den von der Beschwerde geforderten Anspruch auf sofortige Enthaftung (vgl EBRV 25 BlgNR 22. GP, 22). Dieser ist vielmehr nach § 9 Abs 2 StPO, aber auch Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK und Art 5 Abs 1 PersFrG nur bei einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer gegeben, zwingt aber das Gericht nicht gleichsam automatisch zur Enthaftung (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 193 Rz 5).

Nach Lage des Falls kann von einer relevanten Säumigkeit des Gerichts keine Rede sein. Der Prognose eines Schlusses der Hauptverhandlung kann schon deshalb keinerlei Bedeutung zukommen, weil es der Ingerenz der Vorsitzenden entzogen ist, ob etwa neue Beweisanträge gestellt, Gutachter ausgetauscht werden oder Krankheitsfälle auftreten etc. Dass bei einem derart komplexen Großverfahren eine ca eineinhalbmonatige „Unterbrechung" der Hauptverhandlung, zumal mit Blick auf die in den Zeitraum fallenden Weihnachtsferien und die Rekonvaleszenz des, sei es auch mit der Durchführung der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit einverstandenen, Hauptangeklagten keine Verletzung des Beschleunigungsgebots bewirkt, hat das Oberlandesgericht völlig zutreffend dargelegt, musste doch auch dem neubestellten Sachverständigen Dr. K***** Zeit für die Befunderstellung im Zuge eines sehr umfangreichen Gutachtensauftrags gewährt und seitens der Vorsitzenden eine umfangreiche Korrektur zahlreicher Hauptverhandlungsprotokolle, deren (vorzeitige) Übermittlung im Interesse der Verteidiger lag, vorgenommen werden (BS 25 f).

In Ansehung des Gewichts der Straftat (§ 5 Abs 1 StPO) kann angesichts der zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung ca ein Jahr währenden Untersuchungshaft von deren Unverhältnismäßigkeit keine Rede sein. Daran ändert auch der Beschwerdehinweis (S 5) auf die dem Angeklagten noch zum Leben verbleibende Zeitspanne nichts. Die Grundrechtsbeschwerde war daher insoweit mangels Verletzung Helmut E*****s im Grundrecht auf persönliche Freiheit durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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