Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wien legt in der Anklageschrift vom 1. Februar 2008 (ON 80) Jasmina K***** neben weiteren, für das Nichtigkeitsverfahren nicht relevanten Delikten zu A. das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 (zu ergänzen:) Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB zur Last.
Danach ist Jasmina K***** verdächtig, sie habe am 14. April 2005 in Bosnien gemeinsam mit dem bereits (durch das Kreisgericht in B***** am 6. Juli 2006, Zahl 011-O-K-06-000 034 [S 361 ff in ON 14] rechtskräftig [S 407 ff in ON 14] der „Beihilfe zu schwerem Mordversuch") verurteilten Mirzet B***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Sanja S*****
A. dadurch, dass sie
1. ihr einen säurehältigen WC-Reiniger zum Trinken einflößte und über ihren Körper schüttete, wodurch diese eine Gewebeschädigung des Rachens und der Speiseröhre mit Ausbildung einer Fistel zwischen Speise- und Luftröhre und hochgradiger Einengung der Speiseröhre sowie tiefgreifende Haut- und Weichteildefekte im Bereich des Mundes, an der vorderen Brust- und Bauchwand, am Rücken, im Bereich der Becken- und Oberschenkelregion, am rechten Kniegelenk, am rechten Ellbogen und am rechten Vorfuß erlitt;
2. sie mit dem von ihr gelenkten Wagen mitschleifte, wodurch diese Hautabschürfungen und Prellungen im Gesicht, am Hals, am Rücken und an den Gliedmaßen erlitt, und
3. wiederholt mit Händen und Füßen gegen ihr Gesicht trat, wodurch diese Brüche des Ober- und Unterkiefers sowie umfangreiche Schwellungen und Blutunterlaufungen im Stirn-, Scheitel- und Hinterhauptbereich links sowie an der rechten Schläfe erlitt,
schwere Körperverletzungen absichtlich zugefügt, wobei die Tat schwere Dauerfolgen, nämlich eine auffallende Verunstaltung (§ 85 Z 2 StGB) und zwar eine bleibende Einschränkung beim Öffnen des Mundes und eine hochgradige Einengung der Speiseröhre, die jeweils die Nahrungsaufnahme erschweren, sowie kosmetisch störende, verunstaltende Narbenbildungen im Gesicht, insbesondere im Bereich des rechten Mundwinkels und an der rechten Gesichtshälfte mit Asymmetrie der Mundöffnung, wulstförmig erhabene Narbenbildungen im Bereich der Brustdrüsen, der vorderen Brust- und Bauchwand und am Rücken sowie im Bereich des linken Beckenkamms, am rechten Oberschenkel, am rechten Kniegelenk und am rechten Fußrücken, zur Folge hatte.
Nach Ansicht der Anklagebehörde kam es Jasmina K***** bei den Tathandlungen darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), Sanja S***** derart zu verunstalten, dass ihr Ex-Ehemann Elvir K***** an dem Opfer durch die Verunstaltungen (§ 85 Z 2 StGB) das persönliche Interesse verliere (S 9 in ON 80).
Mit dem angefochtenen Urteil erklärte sich das Schöffengericht wegen des Verdachts (US 4) für sachlich unzuständig (§ 261 Abs 1 StPO), dass beim Eindringen der gegenständlichen säurehältigen Flüssigkeit in die Mundhöhle aufgrund der damit einhergehenden Komplikationen in der Regel mit schweren und lebensgefährlichen Verletzungsfolgen zu rechnen sei und die Angeklagte es bei ihrer Vorgangsweise zumindest ernstlich für möglich gehalten habe, dass die Verletzungen zum Tod der Sanja S***** führen und sich damit auch abgefunden habe (US 8).
Diese von der Anklageschrift abweichende Annahme des Verdachts des Vorliegens eines bedingten Tötungsvorsatzes gründete das Schöffengericht unter gleichzeitiger Ablehnung der lediglich Bedrohungen und Schläge zugestehenden Verantwortung der Angeklagten auf die Angaben der Sanja S***** und des Mirzet B***** (US 8, 11) sowie auf die aus Bosnien übermittelten medizinischen Unterlagen im Zusammenhang mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Wolfgang D***** (US 11); dies nach zusammengefasstem Vortrag der belastenden Aussage des Mirzet B***** und nach Verlesung der Gutachten der Sachverständigen Dr. D***** (ON 77) und Dr. L***** (ON 48), der kontradiktorischen Vernehmung der Sanja S***** (ON 59) sowie des Enthaftungsantrags ON 86 (S 29 in ON 90). Letzterem ist eine vor einem Rechtsanwalt in der Justizanstalt F***** getätigte, schriftlich festgehaltene, mit 26. Jänner 2008 datierte „Aussage" des Mirzet B***** angeschlossen, mit der er das Zufügen schwerer Körperverletzungen durch Jasmina K***** sowie deren Mitwirkung an dem Mordversuch, dessen er schuldig erkannt wurde, bestreitet und seine ursprünglich die Beschwerdeführerin belastenden Angaben mit dem Bestreben erklärt, selbst eine möglichst milde Beurteilung zu erlangen (S 9 f in ON 86).
Rechtliche Beurteilung
Die sich gegen diesen Ausspruch der Unzuständigkeit nach § 261 Abs 1 StPO wendende, auf § 281 Abs 1 Z 6 iVm Z 3 und 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht.
Vorweg ist festzuhalten, dass das Schöffengericht seine etwaige Unzuständigkeit danach prüft, ob die der Anklage zu Grunde liegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine zur Zuständigkeit des Geschworenengerichts gehörige strafbare Handlung begründen (§ 261 Abs 1 StPO). Die Verdachtsdichte, die den Ankläger zur Erhebung der Anklage berechtigt, genügt jedenfalls („Anschuldigungsbeweis"). Ein dringender Verdacht, wie er für die Untersuchungshaft verlangt wird, ist nicht erforderlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 497). Es reicht, wenn sich aus dem Anklagevorbringen (§ 261 Abs 1 StPO: „... die der Anklage zugrundeliegenden Tatsachen an sich") allenfalls in Verbindung mit einem in der Hauptverhandlung rechtmäßig vorgekommenen Beweismittel (§ 261 Abs 1 StPO: „... den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen") ein Verdacht ergibt, der inkriminierte Sachverhalt wäre im Fall eines Schuldspruchs als eine in die Zuständigkeit eines höheren Gerichts fallende strafbare Handlung zu beurteilen.
Da nur eine Verdachtslage festzustellen ist und bei entsprechendem Anschuldigungsbeweis die Abführung des für Schuld- oder Freispruch maßgeblichen Beweisverfahrens dem erkennenden Gericht höherer Ordnung obliegt, bedarf es vor einer anstehenden Entscheidung nach § 261 Abs 1 StPO weder einer vollständigen Beweisaufnahme zum angeklagten Sachverhalt noch der Durchführung von Kontrollbeweisen zur Stichhältigkeit des eine qualifizierte strafbare Handlung indizierenden Beweismittels (vgl schon S. Mayer, Commentar II § 261 Rz 14 und 21), sofern dieser - punktuelle, auf die Qualifikation bezogene - Verdacht anklagetauglich ist, also insoweit die Anfechtungskriterien des § 212 Z 2 und 3 StPO nicht greifen.
Für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gelten für ein allenfalls heranstehendes Unzuständigkeitsurteil keine anderen Regeln als im sonstigen Strafprozess. Daher dürfen als Kriterien für die Verdachtsbeurteilung nur in der Hauptverhandlung rechtmäßig vorgekommene Beweismittel herangezogen werden. Ein Verdacht, welcher auf nichtigkeitsbegründenden (etwa dem Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 252 Abs 1 und Abs 4 StPO widerstreitenden), somit für die vom Gericht höherer Ordnung zu klärende Schuldfrage recte nicht verwertbaren Beweismitteln beruht, wäre iSd § 212 Z 2 und 3 StPO jedenfalls unzureichend.
Würde hingegen der Anschuldigungsbeweis auf mehrere Beweismittel gestützt, die jeweils für sich alleine bereits die eine Unzuständigkeit des Schöffengerichts begründende Verdachtslage rechtfertigen, wäre die zusätzliche Heranziehung eines nichtigkeitsbegründenden und daher für die vom Gericht höherer Ordnung zu klärende Schuldfrage recte nicht verwertbaren Beweismittels kein Grund, den Anschuldigungsbeweis iSd § 212 Z 2 und 3 StPO in Frage zu stellen.
Die Begründung des Verdachts einer von der Angeklagten zu verantwortenden strafbaren Handlung nach § 75 StGB wurde im angefochtenen Urteil teils auf eine Zusammenschau von in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismitteln (vgl US 8 f, 11), teils alleine auf die verlesene Zeugenaussage des Mirzet B***** (vgl US 9 f, 11) oder auf einzelne Passagen des Sachverständigengutachtens Dris. D***** (vgl US 9, 11, 12) gestützt. Solcherart lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, dass aus dem Anklagevorbringen oder einzelnen Beweisergebnissen für sich allein die eine Unzuständigkeit des Schöffengerichts begründende Verdachtslage abgeleitet worden wäre.
Um den vorher dargelegten Kriterien zu genügen, müssten somit alle zum Anschuldigungsbeweis herangezogenen Beweismittel rechtmäßig vorgekommen sein. Insoweit rügt daher die Beschwerdeführerin zu Recht, dass die Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO für eine Verlesung der Aussage des Zeugen Mirzet B***** sowie des Gutachtens des Sachverständigen Dr. D***** nicht vorlagen. Deren dessen ungeachtet erfolgte Vorführung in der Hauptverhandlung begründet Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO.
Da diese Beweismittel zur Untermauerung des Anschuldigungsbeweises verwendet wurden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Formverletzung für die Angeklagte iSd § 281 Abs 3 StPO nachteilig auswirkte.
Dass Mirzet B***** seine die Angeklagte belastenden Angaben (S 297 ff in ON 14) auch in der Hauptverhandlung aufrecht halten könnte, ist eine rein spekulative Annahme. Dass andererseits für den gegenteiligen Fall einer - im Sinne der vor einem Rechtsanwalt getätigten, von diesem schriftlich weitergeleiteten (S 9 ff in ON 86) - die Beschwerdeführerin entlastenden Aussage die davon abweichenden, die Angeklagte belastenden Depositionen des Mirzet B***** (S 297 bis 339 in ON 14) gemäß § 252 Abs 1 Z 2 StPO zu verlesen wären, schließt einen Nachteil für die Angeklagte schon deswegen nicht aus, weil bei dieser Konstellation offen bleibt, welche Version des Zeugen beweiswürdigend überzeugender ist.
Mit ihrer weiteren Argumentation war die Rechtsmittelwerberin auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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