OGH 14Os45/89

OGH14Os45/8926.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.April 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Iby als Schriftführer, in der Strafsache gegen Willibald F*** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 und Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 27.Juli 1988, GZ 3 a E Vr 1418/88-9, nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 27.Juli 1988, GZ 3 a E Vr 1418/88-9, verletzt das Gesetz

1. infolge Unterbleibens der Einsichtnahme in die Akten über die früheren Verurteilungen, AZ 1 U 728/85 und 1 U 610/86 je des Jugendgerichtes Graz, vor der Beschlußfassung in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 StPO,

2. durch den Ausspruch über die Verlängerung der Probezeit hinsichtlich der zu 1. genannten Verurteilungen in der Bestimmung des § 494 a Abs. 7 zweiter Satz StPO und

3. durch den zu 2. genannten Ausspruch hinsichtlich der Verurteilung zum AZ 1 U 728/85 auch in dem im XX. Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft. Dieser Beschluß, der im damit der Sache nach primär ausgesprochenen Absehen vom Widerruf der dem Willibald F*** mit Urteil des Jugendgerichtes Graz vom 21.Jänner 1987, GZ 1 U 610/86-7, gewährten bedingten Strafnachsicht unberührt bleibt, wird im Ausspruch über das (gleichfalls der Sache nach erfolgte) Absehen vom Widerruf der dem Willibald F*** mit Urteil des Jugendgerichtes Graz vom 19.März 1986, GZ 1 U 728/85-8, gewährten bedingten Strafnachsicht sowie über die Verlängerung der in den beiden genannten Verfahren bestimmten Probezeiten aufgehoben. Dem Jugendgericht Graz wird aufgetragen, hinsichtlich einer Verlängerung der Probezeit im Verfahren 1 U 610/86 dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Text

Gründe:

Mit dem durch einen Protokolls- und Urteilsvermerk gemäß § 458 Abs. 2 StPO aF beurkundeten Urteil des Jugendgerichtes Graz vom 19. März 1986, GZ 1 U 728/85-8, wurde der am 8.Juli 1962 geborene Willibald F*** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (begangen in der Zeit von März 1985 bis 19.März 1986) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt, wobei diese Strafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dieses Urteil ist am 25.März 1986 in Rechtskraft erwachsen.

Mit dem (gleichfalls durch einen Protokolls- und Urteilsvermerk gemäß § 458 Abs. 2 StPO aF beurkundeten) Urteil des Jugendgerichtes Graz vom 21.Jänner 1987, GZ 1 U 610/86-7, wurde Willibald F*** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB (begangen in der Zeit vom 20.März 1986 bis 21. Jänner 1987) schuldig erkannt und hiefür zu einer abermals unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Außerdem wurde ihm mit Beschluß vom selben Tag (ON 8) gemäß § 50 Abs. 1 StGB die Weisung erteilt, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen und dies dem Gericht binnen zwei Monaten unaufgefordert nachzuweisen. Hierauf hat das Jugendgericht Graz die Willibald F*** im zuerst bezeichneten Verfahren gewährte bedingte Strafnachsicht mit Beschluß vom 15.September 1987, GZ 1 U 728/85-14, gemäß § 53 Abs. 1 StGB widerrufen. F*** hat die (sechswöchige) Freiheitsstrafe in der Zeit vom 10.Feber bis 23.März 1988 im landesgerichtlichen Gefangenenhaus Graz verbüßt (ON 21 des zitierten Aktes).

In der Folge wurde Willibald F*** mit dem - gemäß § 458 Abs. 3 iVm § 488 Z 7 StPO nF in gekürzter Form ausgefertigten - Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 27. Juli 1988, GZ 3 a E Vr 1418/88-9, neuerlich wegen des (in der Zeit vom 22.Jänner 1987 bis 25.Mai 1988 begangenen) Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Unter einem faßte der Einzelrichter den Beschluß "auf Verlängerung der Probezeit hinsichtlich der Urteile des Jugendgerichtes Graz vom 19.März 1986, 1 U 728/85 (ON 8), und vom 21.Jänner 1987, 1 U 610/86 (ON 7), von drei auf fünf Jahre", womit er der Sache nach - und zwar primär - gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO von einem Widerruf der jeweiligen bedingten Strafnachsicht absah.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Anwendung des § 494 a StPO durch das Landesgericht für Strafsachen Graz sind nachstehende von der Generalprokuratur in ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemachten Gesetzesverletzungen unterlaufen, die es erfordern, Maßnahmen zu treffen:

Gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO war der Einzelrichter allein zur Entscheidung über den Widerruf - und zwar vorliegend nur (mehr) im Verfahren zum AZ 1 U 610/86 - zuständig, keinesfalls aber (auch) zu einer Verlängerung der Probezeit. Darüber hatte vielmehr gemäß § 494 a Abs. 7 zweiter Satz StPO das Jugendgericht Graz zu befinden, dessen Vorentscheidung (vom 21.Jänner 1987, GZ 1 U 610/86-7) durch das in Rede stehende Absehen vom Widerruf betroffen war (vgl. EvBl. 1989/37 ua).

Im Verfahren 1 U 728/85 des Jugendgerichtes Graz war die über den Verurteilten verhängte und gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von dem genannten Gericht bereits mit Beschluß vom 15. September 1987 rechtskräftig widerrufen und die Strafe hierauf vollzogen worden. Damit stand einer neuerlichen (gegenteiligen) Entscheidung (Absehen vom Widerruf) in dieser Sache die materielle Rechtskraft des bezeichneten Widerrufsbeschlusses und die damit verbundene Sperrwirkung entgegen.

Kausal für den verfehlten Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 27.Juli 1988 war offensichtlich die dem Einzelrichter unterlaufene weitere Gesetzesverletzung, die darin gelegen ist, daß er vor der Beschlußfassung entgegen der Vorschrift des § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO nicht in die Akten über die früheren Verurteilungen Einsicht genommen hat. Zwar kann gemäß § 494 a Abs. 3 letzter Satz StPO anstelle der Einsicht in den Vorakt die Einsicht in eine Abschrift des früheren Urteils genügen. Dies jedoch nur dann, wenn das frühere Urteil (allein) eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Widerrufsentscheidung darzustellen vermag. Lägen jedoch die (aus der Strafregisterauskunft - hier ON 2 - hervorgehenden) Daten der früheren Verurteilungen die Annahme nahe, daß die gewährte bedingte Strafnachsicht bereits widerrufen oder eine endgültige Strafnachsicht beschlossen worden sein könnte, so ist vor der Beschlußfassung gemäß § 494 a Abs. 1 StPO in den/die Akt(en) über die frühere(n) Verurteilung(en) Einsicht zu nehmen. Die bloße Einsichtnahme in eine Abschrift des früheren Urteils (die im übrigen vorliegend offenbar auch nicht erfolgte) genügt diesfalls nicht (16 Os 7/89).

In Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen und im Hinblick darauf, daß Willibald F*** in Ansehung der Verurteilung zum AZ 1 U 610/86 des Jugendgerichtes Graz durch den im Gesetz (§ 53 Abs. 2 StGB) für den Fall eines Absehens vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nicht zwingend vorgeschriebenen Verlängerungsbeschluß eines unzuständigen Gerichtes benachteiligt wurde, nach § 292 letzter Satz StPO wie im Spruch zu beheben.

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