OGH 14Os42/23t

OGH14Os42/23t6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * B* H* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 erster Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Jänner 2023, GZ 96 Hv 105/22x‑45.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00042.23T.0906.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * B* H* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 erster Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie in W* vom Dezember 2017 bis zum 4. Februar 2022 gegen ihren am * 2009 geborenen Sohn P* H*, sohin gegen eine unmündige Person, länger als ein Jahr fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie ihm wiederholt, und zwar vom Dezember 2017 bis zum Jahr 2019 ein Mal wöchentlich, ab dem Jahr 2019 zwei bis drei Mal wöchentlich, mit der flachen Hand und mit der Faust in das Gesicht schlug, ihn an den Haaren und Ohren zog, Gegenstände nach ihm warf, ihm Fußtritte gegen den Körper versetzte, ihn ein Mal gegen eine Wand stieß, sodass er sich den Kopf anschlug, und ihn zuletzt am 4. Februar 2022 zu Boden stieß, sich, als er am Rücken lag, auf dessen Oberkörper setzte und ihm Schläge gegen das Gesicht und Tritte gegen den Körper versetzte sowie ihm mit einem Gefäß gegen den Kopf schlug (US 6 f), wodurch P* H* wiederholt Hämatome, Rötungen (US 5 f), eine Schwellung am Kopf und Kratzer erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Der Verfahrensrüge zuwider wurden durch die Abweisung (ON 45.1, 37) des Antrags auf Einholung eines „psychologischen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Aussagepsychologie zur Beurteilung der Aussagetüchtigkeit und Aussagekompetenz – insbesondere Aussagevalidität und Aussagekonstanz des minderjährigen P* H*“ zum Beweis dafür, dass (zusammengefasst) dessen Aussage nicht glaubhaft sei, weil Anhaltspunkte für „Aussageuntüchtigkeit“ und „Suggestion“ sowie für „Aggravationstendenzen vorliegen und Situationen ohne Erlebnisbezug geschildert werden“(ON 28, 15 ff), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[5] Denn der Antrag, der zwar darauf verwies, dass die Angeklagte als gesetzliche Vertreterin der Untersuchung des Zeugen P* H* zustimme (ON 28, 16), unterließ schon die gebotene Darlegung, dass auch der (unmündige) Zeuge die erforderliche Zustimmung zur Begutachtung erteilt habe oder erteilen würde (RIS-Justiz RS0108614 [T3], RS0118956 [T3, T4], RS0098015 [T3, T6]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

[6] Im Übrigen obliegt die Beurteilung der Aussagefähigkeit und Glaubwürdigkeit (hier) eines Zeugen – als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) – den Tatrichtern (RIS-Justiz RS0098297). Die Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt nur ausnahmsweise in Betracht, etwa bei objektiven Anhaltspunkten für eine psychische Erkrankung, eine Entwicklungsstörung oder einen geistigen Defekt, wobei die Störungen erheblich sein und dem Grad des § 11 StGB nahekommen oder gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit oder die (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit des Zeugen sprechen müssen (RIS-Justiz RS0097733, RS0097576, RS0120634 [T2, T4]; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 10 ff). Durch Beweisergebnisse belegte Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall legte der Antrag mit dem Vorbringen, beim Zeugen P* H* bestehe eine „ADHS Diagnose bei objektivierter Tendenz durch Lügen Ziele zu erreichen“ (ON 28, 16; vgl aber US 14 [„im Verfahren… aufgeworfene Frage, ob der Zeuge P* H* nun ADHS oder nicht hätte“]) sowie mit eigenständigen Erwägungen zum Beweiswert der Aussage dieses Zeugen nicht dar. Solcherart war er auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0099353, RS0118444; Ratz,WK-StPO § 281 Rz 330).

[7] Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat angesichts des aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[9] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (angemeldete [ON 45.1, 39]) Berufung (§ 285i StPO).

[10] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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