Spruch:
Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. Feber 1998, GZ 1 b Vr 6.667/96-72, verletzt insoweit, als damit das Hauptverhandlungsprotokoll vom 4. Dezember 1997 trotz bereits ergangener Entscheidung über eine Haftbeschwerde zum Schlußantrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft durch Einfügen der Passage: "... und Verhängung der Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr" ergänzt wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 271 Abs 1 StPO.
Dieser Beschluß, der im übrigen unberührt bleibt, wird in diesem Ausspruch aufgehoben und dem Erstgericht eine entsprechende Anmerkung im Hauptverhandlungsprotokoll aufgetragen.
Text
Gründe:
Gilda Rosi P***** wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Dezember 1997, GZ 11 b Vr 6.667/96-73, der Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 und 148 zweiter Fall StGB (I) sowie der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall (II) schuldig erkannt und zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Über ihre gegen dieses Urteil ergriffenen Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wurde noch nicht entschieden.
Unmittelbar nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung verhängte das Schöffengericht über die Angeklagte, die sich im gegenständlichen Verfahren bereits in der Zeit vom 17. Juni 1996 bis zum 23. Juli 1996 in Untersuchungshaft befunden hattte, aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO neuerlich die Untersuchungshaft.
Der von der Angeklagten dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 19. Dezember 1997, AZ 22 Bs 486/97 (= ON 84/IV), Folge und hob die Untersuchungshaft auf, weil es nach dem Inhalt des Protokolls über die Hauptverhandlung schon an der formalen Voraussetzung eines entsprechenden Haftantrages der Staatsanwaltschaft fehlte.
Nach Vorliegen dieser Rechtsmittelentscheidung berichtigte die Vorsitzende des Schöffengerichtes, welche zuvor die Stellungnahmen des beisitzenden Richters, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Schriftführerin eingeholt hatte, am 6. Feber 1998 das Hauptverhandlungsprotokoll vom 4. Dezember 1997 u.a. dahin, daß sie die bisherige Passage: "StA beantragt Schuldspruch im Sinne der schriftlichen und modifizierten Anklage" durch folgende Einfügung ersetzte: "StA beantragt Schuldspruch im Sinne der ausgedehnten Anklage sowie strenge Bestrafung zu unbedingter Freiheitsstrafe und Verhängung der Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr" (ON 72). Über die dagegen von der Angeklagten und von der Oberstaatsanwaltschaft Wien erhobenen Beschwerden nach § 15 StPO wurde noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die vorbezeichnete Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Das Hauptverhandlungsprotokoll muß neben den übrigen im § 271 StPO angeführten Angaben auch Aufschluß über alle wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens geben, vor allem auch über die Anträge der Parteien sowie über alle Entscheidungen und Verfügungen des Gerichtes. Insbesondere dient das Hauptverhandlungsprotokoll dazu, dem Rechtsmittelgericht eine Überprüfung der Richtigkeit angefochtener Entscheidungen zu ermöglichen. Es muß deshalb alle jene Vorgänge wiedergeben, deren Kenntnis für das Rechtsmittelgericht unerläßlich ist. Hieraus folgt, daß Ergänzungen und Richtigstellungen des Hauptverhandlungsprotokolls nur solange zulässig sind, als das Rechtsmittelgericht noch nicht unter Zugrundelegung des ursprünglichen Protokollinhaltes entschieden hat. Eine spätere Berichtigung kann - wie im vorliegenden Fall - geeignet sein, der Rechtsmittelentscheidung die Grundlage zu nehmen und ist daher ausgeschlossen (SSt 32/108 und 58/35).
Der vorliegende Berichtigungsbeschluß, mit dem ein vom Beschwerdegericht in seiner bereits ergangenen Entscheidung vermißter Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Untersuchungshaft erst im nachhinein in das Hauptverhandlungsprotokoll eingefügt wurde, war nach der Bestimmung des § 271 Abs 1 StPO über die Protokollführung somit unzulässig, weil er sich auf einen Umstand bezog, der ausschließlich die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses auf Verhängung der Untersuchungshaft betraf und nur insoweit die Entscheidung eines Rechtsmittelgerichtes beeinflussen konnte. Hätte sich, wie zur Klarstellung angemerkt sei, die Berichtigung auf auch bei der Urteilsanfechtung beachtliche Umstände bezogen, so wären die Rechtswirkungen der insoweit zulässigen Berichtigung auf die Urteilsanfechtung beschränkt.
Da der Angeklagten zum Nachteil gereichende Auswirkungen dieser gesetzwidrigen Ergänzung nicht auszuschließen sind, war spruchgemäß vorzugehen (§ 292 letzter Satz StPO).
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