Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Mamed A***** des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (1.) und des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB
(2.) schuldig erkannt.
Danach hat er am 15. Jänner 2006 in Innsbruck Aslan B*****
1. durch die Äußerung, wenn er noch einmal zu ihm komme, werde er ihm beide Arme brechen, gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen (nach dem Wahrspruch hingegen, vgl Hauptfrage 1: „... durch die Äußerung, wenn er noch einmal zu ihm komme, werde er ihn abstechen");
2. dadurch eine schwere Verletzung absichtlich zuzufügen versucht, dass er mit einem Küchenmesser mit einer etwa 20 cm langen Klinge mehrmals auf dessen Oberkörper einstach.
Weil es in rechtlicher Hinsicht allein auf den tatsächlichen Inhalt des Wahrspruchs ankommt, hat die erwähnte Abweichung in der Wiedergabe zu Punkt 1 keine Nichtigkeitsbedeutung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613); sie wurde demnach vom Angeklagten auch nicht aufgegriffen.
Die Geschworenen verneinten, soweit für die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, die anklagekonforme Hauptfrage 2. nach versuchtem Mord, bejahten die dazu gestellte Eventualfrage 3. nach versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung und ließen demnach konsequent die Eventualfrage 4. nach schwerer Körperverletzung unbeantwortet. Zur Eventualfrage nach versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung (3.) wurden Zusatzfragen nach Notwehr, Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung (5. bis 8.) gestellt, welche die Geschworenen verneinten.
Folgerichtig ließen sie die Eventualfrage 9. nach fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel. Die Verfahrensrüge (Z 4) reklamiert, dass in der Hauptverhandlung die Bestimmung des § 149h Abs 2 StPO dadurch verletzt worden sei, „dass die Videoaufzeichnungen, die im Asylheim, in dem die Tat geschehen ist, im Beweisverfahren verwertet wurden". Das Asylheim sei eine vom Land Tirol, Flüchtlingskoordination, geführte Einrichtung, die der Unterbringung von Asylbewerbern diene. Die Videoüberwachung im Haus diene somit der Kontrolle der dort ohne jeglichen Tatverdacht „internierten" Personen. Sie sei auch nicht speziell aus straf- oder verwaltungsrechtlichen Gründen und nicht aufgrund eines formellen Verfahrens installiert worden. Die Überwachungsmaßnahmen seien gesetzlich nicht gedeckt, wiewohl sie dennoch offenkundig der Überwachung der Sicherheit im Areal dienten.
Die Beschwerde spricht damit - zu Unrecht - ein Beweisverbot an:
Für den Bereich der Hauptverhandlung, auf den sich das Rechtsmittelvorbringen bezieht, stellen Beweiserhebungsverbote ein „Vorkommensverbot" dar. Sie sollen bewirken, dass im Beweisverfahren in der Hauptverhandlung bestimmte Beweismittel angesichts ihrer Unverwertbarkeit gar nicht vorkommen (Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 51).
Die Vorschrift des § 149h Abs 2 StPO, wonach Überwachungsergebnisse bei sonstiger Nichtigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen als Beweismittel verwendet werden dürfen (§ 149 h Abs 2 Z 1 bis 4 StPO), bezieht sich nach dem Regelungszusammenhang (sechster Abschnitt des 12. Hauptstückes der StPO, „Optische und akustische Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel", §§ 149d bis 149h) auf eine Überwachung im Sinn des § 149d StPO. Eine von Betreibern eines Asylantenheims (aus Sicherheitsgründen) vorgenommene Überwachung fällt demnach nicht unter die Regelungen der §§ 149d ff StPO. Das Bestehen eines Beweisverbots ist zwar nicht davon abhängig, dass es explizit normiert ist: Neben den ausdrücklich geregelten Beweisverboten können sich weitere durch wertende Betrachtung ergeben. Deren Basis können insbesondere Verfahrensgrundsätze und Grundrechte bilden (vgl Schmoller, WK-StPO § 3 Rz 44 und 52, Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 109, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 355). Im gegebenen Fall wird vom Beschwerdeführer ein derartiges Beweisverbot gar nicht geltend gemacht.
Weiters vermisst der Beschwerdeführer eine nähere Nennung des Tatortes („in der Küche oder am Gang") in den Fragen (Z 6), allerdings zu Unrecht: In Haupt- und Eventualfragen (§§ 312, 314 StPO) ist zwar die Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw zu individualisieren. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Tat durch Anführen rechtlich bedeutungsloser Nebenumstände erschöpfend zu beschreiben, ist aber aus dem Gesetz nicht abzuleiten (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 24, 47 f und § 314 Rz 4).
Des weiteren macht der Angeklagte geltend, dass eine Eventualfrage nach dem Vergehen der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) zu stellen gewesen wäre. Dabei stützt er sich darauf, dass beim Oper schwerer wiegende Tatfolgen ausgeblieben sind.
Voraussetzung für die Stellung einer Eventualfrage ist das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, die einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und damit eine andere rechtliche Beurteilung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (§ 314 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0100634). Der Angeklagte hat demgegenüber in der Hauptverhandlung jede auf eine Verletzung gerichtete Willenseinstellung in Abrede gestellt (S 577, 579/II). Im Übrigen hat der Schwurgerichtshof bei der Rechtsbelehrung der Geschworenen über die Folgen der Beantwortung der Fragen mit Blick auf die Eventualfrage 4. nach schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83, 84 Abs 1 Z 1 StGB auf die Möglichkeit einer Einschränkung, dass nicht mit einem solchen Mittel und auf solche Weise gehandelt wurde, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, und dass dann ein Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB erfolgt, ausdrücklich hingewiesen (S 14 der Instruktion). Gegen die Rechtsbelehrung wendet der Angeklagte ein (Z 8), den Geschworenen sei der Strafrahmen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB nicht mitgeteilt worden. Dies trifft jedoch nicht zu (vgl S 9 der Instruktion). Vor allem aber ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand einer Rüge aus Z 8 nicht auch der auf die Sanktionsfrage bezogene Inhalt der in den §§ 321, 323 Abs 1 und 327 StPO genannten Belehrungen ist (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 53).
In der Tatsachenrüge (Z 10a) führt der Angeklagte eine für ihn günstigere Sachverhaltsvariante ins Treffen; zudem bestreitet er die seiner Version entgegenstehenden Angaben des Opfers (s aber das Bildmaterial zur Tat S 141 ff/I). Damit werden keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofes gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch konstatierten entscheidenden Tatsachen geweckt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten, auf die Nichtigkeitsbeschwerde verweisenden Äußerung des Verteidigers - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung und die implizierte Beschwerde folgt (§§ 344, 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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