OGH 14Os39/91

OGH14Os39/914.6.1991

durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Moser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Paul G***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Schöffengericht vom 13.Februar 1991, GZ 13 Vr 310/90-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Manfred Macher zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird teilweise, nämlich dahin Folge gegeben, daß über den Angeklagten eine (unbedingte) Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 250 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sowie eine Freiheitsstrafe von 6 (sechs) Monaten verhängt wird; gemäß § 43 Abs. 1 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 25-jährige Paul G***** (zu 1) des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB und (zu 2) des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in Krems an der Donau

1. am 2.April 1990 eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Sonnenbrille der Marke "Uvex" im Wert von 219 S, verfügungsberechtigten Personen der Firma "I*****" mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Zueignung der Brille unrechtmäßig zu bereichern, indem er sie an der Kasse des Kaufhauses vorbeibrachte, ohne sie zu bezahlen, und bei dem Diebstahl vom Kaufhausdetektiv Johannes S***** auf frischer Tat betreten, gegen diesen Gewalt angewendet hat, indem er ihm einen heftigen Stoß gegen den Oberkörper versetzte (wodurch S***** zwei bis drei Schritte zurücktaumelte - US 6) und mit seinem Fahrzeug (PKW) die Flucht ergriff, um sich die weggenommene Sache zu erhalten, und

2. am 9.Oktober 1990 vorsätzlich bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache als Zeuge im Verfahren zum AZ 12 Vr 687/90 des Kreisgerichtes Krems an der Donau durch die im Ersturteil wörtlich wiedergegebenen Angaben falsch ausgesagt.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 9 lit. a und b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Die Mängelrüge (Z 5) macht Unvollständigkeit und unzureichende Begründung geltend; das Erstgericht habe sich nicht mit den Widersprüchen in der Aussage des als Zeugen vernommenen Kaufhausdetektivs Johannes S*****, dessen Beobachtungen eine wesentliche Urteilsgrundlage bildeten, vor der Gendarmerie und in der Hauptverhandlung auseinandergesetzt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat jedoch das Erstgericht die Aussagen dieses Zeugen ohnedies eingehend erörtert (US 12 f), wobei es auch nicht übersah, daß der Zeuge nicht angeben konnte, wer - der Angeklagte befand sich damals in Begleitung seiner (mittlerweile verstorbenen) Mutter und seiner (nunmehrigen) Ehegattin - die vom Verkaufsständer weggenommene Brille in den Einkaufswagen gegeben hat (US 13). Es brachte auch zum Ausdruck, daß sich der genannte Zeuge (nur) vor der Gendarmerie noch erinnerte, sogleich nach dem Vorfall das Fehlen einer Brille der Marke "Uvex" (vom Brillenständer) festgestellt zu haben. Von unerörtert gebliebenen relevanten Widersprüchen in den Aussagen des Zeugen S***** kann daher keine Rede sein. Daß der Angeklagte aber eine Brille (für sich) wegnahm, leitete das Gericht nicht etwa (allein) aus der Aussage des genannten Zeugen, sondern aus den Verfahrensergebnissen in ihrer Gesamtheit ab, wobei es zur den Schuldspruch tragenden Überzeugung (§ 258 Abs. 2 StPO) insbesondere dadurch gelangte, daß der Angeklagte für eine ihm passende Brille ein Etui kaufte, daß seine eigene, in der Hauptverhandlung vorgewiesene Brille schon beschädigt war, die Zeugin Isabella G***** ihren Angaben zufolge (S 23) keine für sie geeignete Brille gefunden hat und daß der Angeklagte unmittelbar vor der Beanstandung durch den Kaufhausdetektiv S***** das Preisetikett für eine Brille der Marke "Uvex" mit einem Preisaufdruck von 210 S aus seinem PKW geworfen hat (vgl. insbesondere US 5, 10 und 13). Die Feststellung hinwieder, daß eine Brille vom Brillenständer gefehlt hat, findet in den vom Zeugen S***** unmittelbar nach der Tat vor der Gendarmerie gemachten Angaben eine hinreichende Deckung (S 18, 74, 163 ff).

Was die Beschwerde gegen die Annahme des Erstgerichtes einwendet, der Angeklagte habe beim Wegstoßen des Zeugen S***** von der Autotür nicht nur seine Wegfahrt mit dem PKW ermöglichen, sondern sich auch den Besitz der Brille erhalten wollen, läuft der Sache nach lediglich auf eine Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer (gegen Urteile der Schöffengerichte nach wie vor unzulässigen) Schuldberufung hinaus; eine Urteilsnichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z 5 StPO wird damit nicht aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Nicht berechtigt ist aber auch die Rechtsrüge (Z 9 lit. a der Sache nach Z 10), mit welcher der Beschwerdeführer das Vorliegen eines räuberischen Diebstahls (§ 131 StGB) mit der Begründung bekämpft, ein Wegstoßen mit der Wirkung, daß der Gestoßene zwei bis drei Schritte zurücktaumelt, liege unter der für die Qualifikation der Gewaltanwendung typischen Erheblichkeitsschwelle.

Unter Gewalt im Sinn des § 131 StGB ist (ebenso wie iS aller übrigen Tatbestände, die auf Gewalt als Begehungsmittel abstellen) der Einsatz nicht ganz unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermeintlichen Widerstandes zu verstehen (vgl. Kienapfel BT I3 § 105 RN 11; BT II2 § 131 RN 19; Leukauf-Steininger2 § 105 RN 4; § 142 RN 6; § 269 RN 12). Nicht erforderlich ist, daß die Intensität der aufgewendeten physischen Kraft eine zur Willensbrechung beim Opfer geeignete Schwere erreicht; es genügt vielmehr, daß es tätergewollt gerade dieser Krafteinsatz ist, der das Opfer zur Abstandnahme von seinem dem Tätervorhaben entgegenstehenden Bestreben veranlaßt und solcherart kausal zu dessen Realisierung führt

(ÖJZ-LSK 1987/83; zuletzt JBl. 1990, 670). Indem der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen dem Zeugen S*****, als dieser den Angeklagten aufforderte, mit ihm in das Geschäftslokal zurückzugehen, um den Vorfall zu klären, einen Stoß gegen den Körper versetzte, der jedenfalls von solcher Intensität gewesen ist, daß der Zeuge zwei bis drei Schritte zurücktaumelte und dadurch sein Vorhaben nicht verwirklichen konnte, sondern die Wegfahrt des Angeklagten geschehen lassen mußte, hat er eine die Erheblichkeitsschwelle unzweifelhaft überschreitende Gewalt angewendet.

Es versagt aber auch die in diesem Zusammenhang vorgebrachte weitere Beschwerdeargumentation, angesichts der Abgeltung des Unrechts selbst schwerer Verletzungsfolgen (ohne Dauerfolgen) durch § 131 StGB könne hier nur eine schwerere Gewalt verstanden werden als bei Tatbeständen, welche die Zufügung von Verletzungen nicht mitumfassen. Der Beschwerdeführer übersieht jedoch dabei, daß die Tathandlung beim räuberischen Diebstahl nach § 131 StGB im Einsatz von Raubmitteln, also - wie beim Raub - in der Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder von Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben besteht. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß beim Raub auch schon eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) qualifizierend wirkt (§ 143 dritter Fall StGB), wobei allerdings eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) einen noch höheren Strafsatz nach sich zieht. Im übrigen handelt es sich auch beim minderschweren Raub (§ 142 Abs. 2 StGB), der unter anderem ohne Anwendung erheblicher Gewalt begangen worden sein

muß - wenngleich mit geringerer Strafdrohung - um das Verbrechen des Raubes.

Entgegen dem weiteren Beschwerdeeinwand ist der Angeklagte aber auch auf frischer Tat betreten worden, als ihn der Warenhausdetektiv S***** auf dem Parkplatz vor dem Geschäftslokal mit dem Ziel angehalten hat, den beobachteten Diebstahl der Brille aufzuklären. Denn der (unmittelbar nach Ergreifung der Sache durch den Dieb beginnende) Zeitraum, in welchem die angewendete Gewalt oder Drohung iS § 131 StGB qualifizierend wirkt, endet erst in dem Moment, in dem die Beute in Sicherheit gebracht, der Diebstahl somit auch materiell vollendet ist (vgl. Mayerhofer-Rieder StGB3 § 131 E 1; Kienapfel BT II2 § 131 RN 14 mwN). Auf frischer Tat betreten ist der Dieb auch dann noch, wenn er in der Nähe des Tatortes und alsbald nach der Tatausführung angetroffen wird, ehe er das Diebsgut in Sicherheit gebracht hat; auf die Zeitdauer seiner (allfälligen) Verfolgung kommt es dabei nicht an (ÖJZ-LSK 1977/26).

Mit der gegen den Schuldspruch wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB gerichteten Rechtsrüge (Z 9 lit. b) reklamiert der Angeklagte Aussagenotstand nach § 290 Abs. 1 StGB. Die Beschwerde negiert indes dabei die ausdrückliche Urteilskonstatierung, wonach dem Angeklagten vor seiner Vernehmung als Zeuge (im Strafverfahren gegen seine Ehegattin Isabella G***** zum AZ 12 E Vr 627/90 des Kreisgerichtes Krems an der Donau) die Vorschrift des § 152 StPO vorgehalten worden ist (S 125), woraus folgt, daß der Angeklagte - was er auch nie bestritten hat (S 160) - von dem ihm zustehenden Aussageverweigerungsrecht Kenntnis hatte, hievon aber keinen Gebrauch machte, sondern als Zeuge aussagte, womit es in tatsachenmäßiger Beziehung an einer essentiellen Voraussetzung für die Annahme des Schuldausschließungsgrundes nach § 290 Abs. 1 StGB fehlt (SSt. 54/63; Mayerhofer-Rieder StGB aaO E 16, 16 a; Leukauf-Steininger aaO RN 9 je zu § 290). Wenn der Beschwerdeführer vermeint, die Inanspruchnahme des Entschlagungsrechtes hätte seine Verantwortung als Beschuldigter im vorliegenden Verfahren unglaubwürdig erscheinen lassen, ist ihm zu entgegnen, daß die Tatsache einer Zeugnisentschlagung keinen für die Beweiswürdigung verwertbaren Umstand darstellt (ÖJZ-LSK 1975/161). Demzufolge ist ein Aussagenotstand jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Zeuge die Möglichkeit hatte, die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung von sich unter Bezugnahme auf den Entschlagungsgrund des § 153 StPO abzuwenden, umsoweniger aber dann, wenn er sich ohne Bezugnahme auf eine ihm drohende Gefahr schon im Hinblick auf seine Angehörigeneigenschaft nach § 152 Abs. 1 Z 1 StPO der Aussage hätte entschlagen können, wie es hier der Fall war, und er sich dennoch zur Aussage ausdrücklich bereiterklärt hat.

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit nach keiner Richtung hin berechtigt, weshalb sie zu verwerfen war.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 131 StGB unter Anwendung der §§ 28, 43 a Abs. 2 StGB - insoweit allerdings verfehlt (vgl. NRsp 1991/34) unter Anführung des ohne Vorliegen der Voraussetzungen nach der zuletzt bezeichneten Gesetzesstelle in Betracht kommenden "Gesamtstrafausmaßes" von acht Monaten - zu einer (zu vollziehenden) Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 250 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

Dabei wertete es das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel und den geringen Wert des Diebsgutes als mildernd.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der vom Erstgericht verhängten Strafe unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB und die bedingte Nachsicht (auch) der Geldstrafe an.

Entgegen den Berufungsausführungen kann vorliegend in Ansehung des Vergehens nach § 288 Abs. 1 StGB von einer "besonders zu berücksichtigenden Drucksituation" nicht gesprochen werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann insoweit auf die Ausführungen bei Erörterung der Nichtigkeitsbeschwerde verwiesen werden. Angesichts der Tatzeiten (April bzw. Oktober 1990) liegen auch die Voraussetzungen für den reklamierten weiteren Milderungsgrund nach § 34 Z 18 StGB nicht vor.

Da selbst bei Berücksichtigung aller für den Angeklagten sprechenden Umstände von einem atypisch leichten Fall (vgl. Leukauf-Steininger2 § 41 RN 4) keine Rede sein kann, mußte die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung außer Betracht bleiben. Ausgehend von den vom Schöffengericht sohin im wesentlichen vollständig festgestellten und auch zutreffend gewürdigten Strafzumessungsgründen ist eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten jedenfalls geboten, wobei die Anwendung des § 43 a Abs. 2 StGB gleichfalls zu Recht erfolgte. Allerdings war nach Lage des Falles eine Reduzierung der Anzahl der Tagessätze auf das im Spruch ersichtliche, der tat- und persönlichkeitsbezogenen Täterschuld (§ 32 StGB) entsprechende Ausmaß von 60 Tagessätzen gerechtfertigt. Zu einer Ermäßigung (auch) der Höhe des vom Erstgericht mit 250 S bemessenen Tagessatzes bestand bei den festgestellten persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten, der bei Sorgepflicht für seine (gleichfalls berufstätige) Ehegattin über ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von rund 14.000 S verfügt, kein Anlaß. Dem weiteren Begehren schließlich, "auch diese Geldstrafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingt nachzusehen", steht die Bestimmung des § 43 a Abs. 2 StGB entgegen.

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

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