OGH 14Os37/94(14Os38/94)

OGH14Os37/94(14Os38/94)12.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.April 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Gründl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mario M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 22. Dezember 1993, GZ 22 Vr 2.352/93-52, sowie über seine Beschwerde (§ 494 a Abs 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Mario M***** der Vergehen (I) der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB und (II) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB sowie (III) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO wurde der Widerruf einer bedingten Strafnachsicht ausgesprochen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er

I. am 7.August 1992 in Innsbruck der Manuela H***** widerrechtlich die persönliche Freiheit entzogen, indem er seinen PKW gegen ihren erklärten Willen von der Leopoldstraße über den Südring mit hoher Geschwindigkeit in westliche Richtung lenkte, ihr während der Fahrt und nach anschließendem Stehenbleiben ins Gesicht und auf den Kopf schlug und sie an den Haaren riß, wodurch es ihr unmöglich war, das Fahrzeug zu verlassen;

II. folgende Personen vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1. am 10.Jänner 1992 in Hall i.T. die Monika F***** durch einen Schlag ins Gesicht, der eine massive Quetschung der Oberlippe links mit Schleimhautverletzung zur Folge hatte;

2. am 7.August 1992 in Innsbruck die Manuela H***** durch die unter I beschriebenen Tätlichkeiten, welche eine blutende Verletzung im Gesicht, eine Kopfprellung und eine Verstauchung der Halswirbelsäule zur Folge hatten;

III. am 19.Juli 1993 in Innsbruck außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB die Evelyne K***** durch Entziehung der persönlichen Freiheit, nämlich Umklammerung und Wegreißen von einer versperrten Eingangstür, und durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, nämlich durch die Äußerung: "Jetzt tust du alles, was ich will, sonst bist du dran !", zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Tat schwere psychische Schäden vom Krankheitswert einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte, nämlich schwere Angstträume, Schlafstörungen und vegetative Symptome im Sinne einer traumatischen Neurose, die (weit) über vierundzwanzig Tage andauerte.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO; den Strafausspruch ficht er mit Berufung, den Widerrufsbeschluß mit Beschwerde an.

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht gerechtfertigt.

Zu Recht hat der Vorsitzende anläßlich der Vernehmung der Zeugin Monika F***** in der Hauptverhandlung vom 6.Oktober 1993 den aufrechten Bestand einer Lebensgemeinschaft (§ 72 Abs 2 StGB) zwischen ihr und dem Angeklagten verneint und damit die Möglichkeit einer Befreiung der Zeugin von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses (§ 152 Abs 1 Z 1 StPO aF) nicht angenommen (S 283). Für den Bestand einer Lebensgemeinschaft kommt es auf die vom übereinstimmenden Willen der Partner getragenen faktischen Lebensverhältnisse an (SSt 56/29). Fällt der Wille auch nur eines von ihnen auf Fortsetzung der eheähnlichen Wohn-, Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft weg, so fehlt es damit an einem konstitutiven Element eines solchen Angehörigkeitsverhältnisses. Der Erklärung der Zeugin Monika F***** in der Hauptverhandlung, seit zwei Monaten nicht mehr die Lebensgefährtin des Angeklagten zu sein (S 283), kam daher ungeachtet dessen entscheidende Bedeutung zu, daß der Angeklagte seit 21. Juli 1993 in Haft war. Der gerügte Verfahrensmangel (Z 3) liegt sohin nicht vor.

Auch Verteidigungsrechte des Angeklagten (Z 4) wurden nicht verletzt.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, daß in der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 1993 (ON 36) verschiedene Fragen des Verteidigers an die Zeuginnen Monika F***** und Evelyne K***** zufolge Senatsbeschlusses nicht zugelassen worden sind (S 286, 292, 293, 295), übersieht er, daß diese Einwände mangels Stellung entsprechender Anträge in der gemäß § 276 a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung vom 22. Dezember 1993 (ON 51) nicht mehr geltend gemacht werden können. Abgesehen davon sind diese Fragen zu Recht nicht zugelassen worden, weil die abgefragten Umstände ohnedies bereits geklärt oder für die Entscheidung nicht von Bedeutung waren.

Den im Zusammenhang mit den gestellten Beweisanträgen erhobenen Einwänden ist folgendes zu entgegnen:

Angesichts des sicheren Wiedererkennens des Angeklagten durch die Zeugin Manuela H***** (S 17, 32/ON 29; S 279) ist es unerheblich, ob sie sich anläßlich der Anzeigeerstattung bei der Beschreibung der Farbe des Pullovers des Täters oder seiner Haar- und Barttracht allenfalls geirrt hat. Eine Befragung des Michael M***** über diese Umstände war daher nicht erforderlich.

Die Besichtigung des PKW des Angeklagten zwecks Feststellung der Fahrzeugfarbe war überflüssig, weil die vom Angeklagten angegebene Lackierung "anthrazitgrau" (S 30/ON 29) von der Beschreibung der Farbe des Tatfahrzeuges durch die Zeugin H***** als "dunkel, vermutlich blau oder grau" (S 13, 33/ON 29) nicht wesentlich abweicht. Die beantragten Erhebungen darüber aber, an wen und für welche Fahrzeuge zwei ähnliche Kennzeichen ausgegeben worden sind, wie sie die Zeugin H***** vom Tatfahrzeug abgelesen hat, wurden ohnedies durchgeführt (S 38, 39/ON 29).

Über die Modalitäten der Gegenüberstellung des Angeklagten mit der Zeugin H***** sowie die Umstände der Identifizierung seines Fahrzeuges durch sie wurde RI Peter H***** als Zeuge vernommen (S 276 ff). Inwiefern RI Martin B*****, der bei der Gegenüberstellung übrigens gar nicht anwesend war, darüberhinaus noch für die Sache bedeutsame Angaben hätte machen können, wurde im Beweisantrag nicht dargetan.

Da nach der Darstellung der Zeugin H***** von ihrer Verletzung nicht unbedingt Blutspuren im Tatfahrzeug zurückgeblieben sein müssen (S 279), hätte die Einvernahme des Kriminalbeamten S***** über Umfang und Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung des PKW des Angeklagten auf Blut keine zweckdienlichen Erkenntnisse erbringen können.

Die Anträge auf Vernehmung des Max St***** als Zeugen und auf Vornahme eines Lokalaugenscheines beim elterlichen Wohnhaus des Angeklagten (Punkt 6 und 7 lt.HV-Protokoll ON 6 in ON 29) hat der Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 6.Oktober 1993 ausdrücklich zurückgezogen (S 295). Seine Erklärung in der Hauptverhandlung vom 22. Dezember 1993 über die Wiederholung früherer Beweisanträge (S 345) läßt nicht erkennen, ob er dennoch auch diese beiden Anträge aufrecht erhalten wollte, weshalb es insoweit schon an den formellen Voraussetzungen einer Verfahrensrüge mangelt.

Die Zeugin H***** hat den PKW "Alfa Romeo" des Angeklagten (S 30/ON 29) als Tatfahrzeug mit Sicherheit wiedererkannt (S 32/ON 29; S 277). An diesem Beweisergebnis hätte sich auch dann nichts ändern können, wenn der beantragte Sachverständige aus dem Fachgebiet des Kraftfahrzeughandels die Richtigkeit ihrer ursprünglichen Vermutung, daß es ein "Alfetta" gewesen sein könnte (S 15), ausgeschlossen und bekundet hätte, daß ein "Alfa Romeo" bei Dunkelheit leicht verwechselt werden könne.

Die Behauptung der Verteidigung, daß sich die Angaben der Zeugin H***** über die von ihr erlittenen Verletzungen mit der Verletzungsanzeige (S 17 a in ON 29) nicht in Einklang bringen ließen, ist nicht schlüssig. Es ist daher auch nicht erkennbar, inwiefern durch die Beischaffung des Untersuchungsbefundes und die Zuziehung eines Gerichtsmediziners Erkenntnisse über die Verläßlichkeit der Aussage der Zeugin zu gewinnen gewesen wären.

Ein Antrag auf Ladung und Einvernahme des Sten Gunnar Ingemar K***** (S 38/ON 29) als Zeuge wurde nicht gestellt, sodaß es insoweit an der prozessualen Grundlage zur Geltendmachung eines Verfahrensmangels fehlt.

Desgleichen mangelt es in Ansehung des Beweisantrages auf Durchführung eines Lokalaugenscheines in den Büroräumlichkeiten der Fa. E***** (Tatort Faktum III) schon an den formellen Voraussetzungen zur Erhebung einer Verfahrensrüge, denn der Antrag (S 295) läßt nicht erkennen, worin die Tatortschilderung durch die Zeugin Evelyne K***** mit den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmen sollte und daher insoweit die Notwendigkeit bestünde, die Angaben der Zeugin an Ort und Stelle einer Überprüfung zu unterziehen.

Es versagt aber auch die Mängelrüge (Z 5).

Die Aussage der Zeugin Monika F***** in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Hall i.T. am 27.April 1992 (S 47/ON 9 in ON 29) wird zwar im Urteil erwähnt, sie wurde jedoch - wie sich aus den Entscheidungsgründen (US 6, 15/16) eindeutig ergibt - nicht verwertet, zumal diese ebenso wie jene in der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 1993 den Beschwerdeführer entlastete, weshalb das Schöffengericht den Schuldspruch auf andere Beweismittel stützte. Aus der Nichtverlesung der Zeugenaussage der Monika F***** vom 27.April 1992 (vgl. S 344) kann daher kein Begründungsmangel abgeleitet werden.

Die Aussage der Zeugin Manuela H***** in der Hauptverhandlung vom 22. November 1992 (ON 6 in ON 29) wurde zwar gleichfalls nicht verlesen, die Zeugin hat sich jedoch in der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 1993 ausdrücklich auf ihre frühere Aussage berufen (S 278/ON 36), diese somit zum Inhalt ihrer späteren Aussage erhoben. Damit ist aber klargestellt, daß in der zum Urteil führenden Hauptverhandlung vom 22.Dezember 1993 durch Verlesung des Hauptverhandlungsprotokolls ON 36 der Inhalt aller früheren Angaben der Zeugin in das gemäß § 276 a StPO wiederholte Verfahren ordnungsgemäß (§ 258 Abs 1 StPO) eingeführt worden ist. Auch in diesem Punkt ist das Urteil daher einwandfrei begründet.

Die im Zusammenhang mit der psychiatrischen Begutachtung der Zeugin Evelyne K***** durch den Sachverständigen Univ-Prof.Dr.Prokop und der Verwertung dieses Gutachtens vorgebrachten Beschwerdeeinwände sind ebenfalls verfehlt. Zwar sind von der Wahl eines Sachverständigen in der Regel sowohl der Ankläger als auch der Beschuldigte in Kenntnis zu setzen (§ 120 StPO), doch ist eine Verletzung dieser Vorschrift nicht mit Nichtigkeit bedroht (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 12 zu § 120). Die Beiziehung der Parteien zu einer psychiatrischen Untersuchung hinwieder ist im Gesetz nicht vorgesehen (§ 134 StPO). Erst in der Hauptverhandlung besteht die Gelegenheit zur kontradiktorischen Erörterung des Gutachtens (§ 249 StPO). Ein Verbot, daß in die psychiatrische Untersuchung eines Tatopfers der Angeklagte nicht mit einbezogen werden dürfe, enthält die Strafprozeßordnung nicht. Einer ausdrücklichen Zustimmung des Angeklagten bedarf es hiefür ebensowenig (vgl Mayerhofer-Rieder StPO3 Anm 6 zu § 134, E 1 zu § 174), wie eines speziellen Auftrages des Gerichts. Der Verwertung des Gutachtens Dris.Prokop (ON 45, 47; S 343, 344) stand daher, insbesondere auch unter Bedachtnahme auf das Fairneßgebot des Art 6 MRK, kein gesetzliches Hindernis entgegen.

Sonstige Begründungsmängel werden in den undifferenzierten Ausführungen zu § 281 Abs 1 Z 5 und 5 a StPO der Sache nach nicht behauptet.

Nach Prüfung des Beschwerdevorbringens an Hand der Akten ergeben sich für den Obersten Gerichtshof auch keine erheblichen Bedenken (Z 5 a) gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zu II/1 (Monika F*****), zu I und II/2 (Manuela H*****) sowie zu III (Evelyne K*****) zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen.

Die nur gegen den Schuldspruch wegen Vergehens der Freiheitsentziehung (I) gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) schließlich verfehlt ihre prozeßordnungsgemäße Darstellung; denn der Beschwerdeführer übergeht dabei völlig die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen des Erstgerichts (US 8/9) und versucht andererseits, unter Außerachtlassung der substantiellen Bedeutung der Tathandlungen in ihrer Gesamtheit, diesen allein unter Zugrundelegung eines willkürlich angenommenen Zeitfaktors die Tatbestandsmäßigkeit abzusprechen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde folgt (§§ 285 i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.

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