OGH 14Os35/08s

OGH14Os35/08s15.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Lässig und Mag. Lendl in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Hannes K***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 19 Ur 137/06f des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag des Beschuldigten Hannes K***** auf Erneuerung des Verfahrens in Bezug auf seinen Delegierungsantrag vom 23. November 2007 (ON 352) gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Eingabe vom 23. November 2007 (ON 352) beantragte der Beschuldigte Hannes K*****, das gegen ihn und weitere Personen beim Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 19 Ur 137/06f anhängige Strafverfahren gemäß § 62 StPO (aF) dem Landesgericht Leoben bzw dem Landesgericht Klagenfurt zuzuweisen. In seiner Begründung wies er - unter Anführung zahlreicher Belegstellen - darauf hin, dass sowohl seitens der Staatsanwaltschaft Graz (insbesondere durch deren Pressesprecher) als auch durch die Untersuchungsrichterin in der Zeit, als sich der Antragsteller in Untersuchungshaft befand, Medien gegenüber wiederholt in einseitig abwertender, die Unschuldsvermutung verletzender Weise Aussagen zu dessen Verantwortung und zum Stand der Ermittlungen getätigt worden seien und dadurch jedenfalls auch der Anschein von Voreingenommenheit und Befangenheit gesetzt worden sei. Dadurch hätten die genannten Organe gegen die Objektivitätsverpflichtung des § 3 StPO und das Gebot der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 MRK verstoßen. In der Missachtung dieser wesentlichen Verfahrensgrundsätze sei ein wichtiger Grund iSd § 62 StPO (aF) zu ersehen.

Wenngleich der Antragsteller ausdrücklich anmerke, dass der Delegierungsantrag nicht die Geltendmachung der Befangenheit der Untersuchungsrichterin bzw des Pressesprechers der Staatsanwaltschaft zum Gegenstand habe, wurde sein Begehren vom Oberlandesgericht in dessen Entscheidung vom 20. Dezember 2007, AZ 10 Ns 46/07f, auch als Ablehnungsantrag iSd § 74 Abs 2 StPO (aF) aufgefasst, die (pauschale) Ablehnung aller Richter der Landesgerichts für Strafsachen Graz einschließlich des Präsidenten dieses Gerichtshofs allerdings als nicht gerechtfertigt angesehen und auch dem Delegierungsantrag nicht Folge gegeben (ON 372).

In seiner Begründung wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass die im Antrag herangezogenen Äußerungen des Mediensprechers der Staatsanwaltschaft weder dem Gericht zugeordnet werden noch sonst einen Ablehnungsgrund bilden können. Die behauptete Verletzung von Objektivitätsgebot und Unschuldsvermutung durch eine allenfalls unvorsichtige Wortwahl der Untersuchungsrichterin sei zwar geeignet, deren Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, könne jedoch keinen Delegierungsgrund iSd § 62 StPO (aF) darstellen. Soweit sich die Ablehnungsgründe pauschal auf bestimmte (hier noch nicht bekannte) Entscheidungsträger (Verhandlungsrichter) beziehen sollen, könne das Vorbringen des Antragstellers mangels Konkretisierungsmöglichkeit das Ablehnungsgesuch nicht tragen.

Im Übrigen könnten Befangenheitsüberlegungen eine Delegierung überhaupt nicht rechtfertigen, weil alle mit Befangenheit zusammenhängenden Verfahrensfragen abschließend in den §§ 72 bis 74a StPO (aF) geregelt wären. Schließlich könne auch die Möglichkeit der Beeinflussung durch Massenmedien eine taugliche Delegierungsgrundlage nicht darstellen.

Gestützt auf eine Vielzahl von Urteilen (die in keinem Zusammenhang zur gegenständlichen Sache stehen), mit welchen der EGMR eine Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK feststellte, verbunden mit dem Vorbringen, die zitierten Äußerungen der für den gegenständlichen Straffall zuständigen Untersuchungsrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz und des Pressesprechers der Staatsanwaltschaft Graz würden die Unschuldsvermutung verletzen, stellt der Beschuldigte Hannes K***** nunmehr den Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung des § 363a StPO durch die Feststellung, der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts Graz verletze das Recht des Beschwerdeführers auf Wahrung der Unschuldsvermutung, sowie durch die Anordnung der Delegierung der gegenständlichen Strafsache an das Landesgericht Leoben bzw das Landesgericht Klagenfurt nach Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt (13 Os 135/06m = EvBl 2007/154, 832; 11 Os 132/06f = EvBl 2008/8, 32 ua), dass die gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und Abs 2 MRK sinngemäß auch für Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO gelten. Ein Zulässigkeitskriterium für die Befassung des EGMR durch Erhebung einer Individualbeschwerde ist die Ausschöpfung des Instanzenzugs nach Art 35 Abs 1 MRK.

Vorliegend zielt der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nicht auf die Anerkennung der behaupteten Grundrechtsverletzung als solche ab, sondern darauf, wegen der behaupteten Verletzung des Objektivitätsgebots und der Unschuldsvermutung die Zuständigkeit eines anderen (als des nach den Verfahrensvorschriften zuständigen) Gerichts durch Delegierung zu begründen.

Dabei übersieht jedoch der Antragsteller, dass die Verletzung der Unschuldsvermutung durch einen mit dem konkreten Fall befassten Entscheidungsträger zwar nach der Strafprozessordnung durchaus ein Grund für einen Wechsel des gesetzlichen Richters sein kann; zur Erreichung dieses Ziels sah aber die Strafprozessordnung bis zum 1. Jänner 2008 nur die Ablehnung der Gerichtspersonen nach §§ 72 ff StPO aF (nunmehr Anzeige der Ausgeschlossenheit und Antrag auf Ablehnung nach § 44 StPO) vor, nicht aber eine Delegierung der Strafsache. Denn aus dem II. Abschnitt des VII. Hauptstücks der Strafprozessordnung (aF) geht hervor, dass alle mit Befangenheit zusammenhängenden Verfahrenshandlungen dort abschließend geregelt sind. Daraus folgt, dass die §§ 62 und 63 StPO (aF) niemals herangezogen werden können, wenn - abgesehen vom hier nicht in Rede stehenden Fall des § 62 letzter Satz StPO (aF) - die Befangenheit oder der Anschein der Befangenheit einer Gerichtsperson in Frage stehen. Die Befangenheit ist also Kraft der Spezialbestimmungen der §§ 72 bis 74a StPO (aF) aus der Delegierungsbefugnis herausgenommen (Mayerhofer StPO5 § 62 E 12).

Dadurch, dass der Beschuldigte eine Änderung der Zuständigkeit durch Behauptung der Befangenheit bzw des Anscheins von Voreingenommenheit einzelner Justizorgane zu erreichen versuchte, hat er einen dafür nicht vorgesehenen Rechtsweg beschritten. Schon deswegen verwehrt sich eine Erneuerung desselben.

Das Oberlandesgericht Graz hat zwar das Begehren des Beschwerdeführers auch unter dem Aspekt eines Ablehnungsantrags behandelt, doch wird der Beschluss vom 20. Dezember 2007 bezüglich des Ausspruchs, dass die pauschale Ablehnung aller Richter des Landesgerichts für Strafsachen Graz nicht gerechtfertigt sei, im Erneuerungsantrag gar nicht kritisiert. Der Antragsteller bringt vielmehr unmissverständlich zum Ausdruck, dass er sein Begehren bloß als Delegierungsantrag verstanden wissen will.

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war demnach in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO).

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