OGH 14Os30/95

OGH14Os30/953.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Oktober 1995 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Rouschal, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Eckert als Schriftführer, in der Strafsache gegen Janos H***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 130 erster Satzund § 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13.September 1994, GZ 2 b Vr 560/94-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Mag.Weber zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Freispruch von den Anklagefakten 1 und 23 sowie in der Nichtannahme gewerbsmäßiger Begehungsweise der Diebstähle, demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft sowie die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verworfen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Janos H***** des (richtig:) Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 und § 15 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit einem nicht ausgeforschten Mittäter nachgenannten Personen fremde bewegliche Sachen, nämlich Geldbeträge in einem insgesamt 25.000 S (nicht aber 500.000 S) übersteigenden Wert, mit dem Vorsatz weggenommen bzw wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

1. am 6.August 1993 der Luise B***** (Versuch),

2. am 18.Oktober 1993 der Margaretha H***** und der Maria N*****

9.200 S,

3. am 29.Oktober 1993 der Gertrude St***** 20.000 S,

4. am 2.November 1993 dem Karl F***** 31.000 S,

5. am 8.November 1993 der Leopoldine H***** 12.886 S.

Vom Anklagevorwurf weiterer Diebstähle wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Demnach entfiel die von der Staatsanwaltschaft angenommene Qualifikation nach § 128 Abs 2 StGB. Das Erstgericht lehnte aber auch den Anklagevorwurf gewerbsmäßiger Begehungsweise (§ 130 erster Satz StGB) ab.

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte bekämpfen dieses Urteil je mit Nichtigkeitsbeschwerde, die von der Anklagebehörde auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5 und 5 a, vom Angeklagten auf jene der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützt wird.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Mit seiner Verfahrensrüge (Z 4) macht der Beschwerdeführer geltend, daß der gemäß § 42 Abs 4 StPO zu seinem Verteidiger bestellte Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die in der Hauptverhandlung vom 16.Juni 1994 gestellten Beweisanträge der Verteidigung, insbesondere auf Durchführung eines Lokalaugenscheines, Vernehmung der Zeugin Renate W***** sowie hinsichtlich der alibirelevanten Behandlungsnachweise in Ungarn, in der Hauptverhandlung vom 13.September 1994 nicht aufrecht erhalten hat. Er verkennt, daß der erwähnte Nichtigkeitsgrund nur aus der Unterlassung der Entscheidung über einen Antrag des Beschwerdeführers oder aus einem gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefällten Zwischenerkenntnis, nicht aber aus der Unterlassung einer Antragstellung abgeleitet werden kann. Da die Hauptverhandlung am 13. September 1994 gemäß § 276 a StPO neu durchgeführt wurde, hätten die im vorangegangenen Termin gestellten Beweisanträge in der neuen Hauptverhandlung wiederholt werden müssen, um rechtswirksam zu bleiben. Im übrigen haben die Parteien auf die Einvernahme der Zeugin Renate W***** sowie der ungarischen Zeugen, die offensichtlich zur Erbringung des Behandlungsnachweises in Ungarn beantragt waren (S 257, 354/II), einverständlich verzichtet (S 429 f/II). Der auf Vornahme eines Lokalaugenscheines in der Filiale der Bank ***** in ***** Wien, ***** gerichtete Beweisantrag hätte für seine Wirksamkeit überdies eines Vorbringens bedurft, aus welchen Gründen erwartet werden könne, daß dieser Beweis das vom Angeklagten erwünschte Ergebnis zeitigen werde.

Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Verfahrensrüge die Unterlassung der Vernehmung der Zeugen Karl F***** und Leopoldine H***** in der Hauptverhandlung geltend macht, fehlt es gleichfalls an der formellen Voraussetzung einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung. Im übrigen war das Gericht gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO berechtigt, die im Vorverfahren aufgenommenen Protokolle über die Vernehmung dieser Zeugen, die wegen Krankheit und Gebrechlichkeit zu einem persönlichen Erscheinen vor Gericht nicht in der Lage waren (S 337, 385/II), zu verlesen.

Somit sind die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO nicht gegeben.

Mit seiner Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer eine Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit des Urteils. Dem Beschwerdevorbringen zuwider hat sich aber das Erstgericht sehr wohl mit den Angaben der Zeugen Luise B***** (US 12 f) und Gertrude St***** (US 15 f) auseinandergesetzt. Soweit der Angeklagte den Umstand betont, daß die Bestohlene Margaretha H***** ihn nicht als Täter wiedererkannt habe, vermag er keinen Begründungsmangel aufzuzeigen, weil das Erstgericht den Schuldspruch auf andere Beweisergebnisse stützte (US 13 f). Die Unterlassung der Vernehmung der Zeugen Karl F***** und Leopoldine H***** in der Hauptverhandlung (siehe die Ausführungen zur Verfahrensrüge) stellt gleichfalls keinen Begründungsmangel dar.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Verfehlt ist zunächst die Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher die Anklagebehörde den Freispruch hinsichtlich der Anklagefakten 1, 2 und 16 zu bekämpfen sucht, indem sie die Unterlassung der Entscheidung über ihre auf Vernehmung der Zeugen Rudolf O*****, Dr.Rudolfine W***** und Karl H***** gerichteten Beweisanträge rügt. Die Staatsanwaltschaft übersieht, daß ihr Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung vom 13.September 1994 gar keinen Antrag auf Vernehmung des letztgenannten Zeugen gestellt hat. Wird nämlich die Hauptverhandlung - wie hier - aus einem der in § 276 a StPO genannten Gründe neu durchgeführt, so müssen alle bisher gestellten Beweisanträge wiederholt werden, um rechtswirksam zu bleiben (siehe die Ausführungen zur Verfahrensrüge des Angeklagten). Im übrigen mangelte es dem in der vertagten Hauptverhandlung vom 16.Juni 1994 gestellten Beweisantrag der Anklagebehörde auf "Ladung aller übrigen geschädigten Personen, die noch nicht vernommen worden sind in der Hauptverhandlung, sofern sie nicht von vornherein ausgeschlossen haben, daß sie den Täter nicht wiedererkennen würden" (S 353/II), der für seine Wirksamkeit erforderlichen Spezifizierung.

Auch der in der Hauptverhandlung vom 13.September 1994 gestellte Beweisantrag der Anklagebehörde - ua auf Einvernahme der Zeugen Rudolf O***** und Dr.Rudolfine W***** (S 433/II) - wird den formellen Voraussetzungen eines auf seine Berechtigung überprüfbaren Beweisanbots nicht gerecht, weil er kein Beweisthema bezeichnet. Im übrigen ist der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft der ihm als Voraussetzung für die Geltendmachung des bezeichneten Nichtigkeitsgrundes durch § 281 Abs 3 StPO auferlegten Rügepflicht nicht nachgekommen. Nach der Verhandlungsschrift behielt sich nämlich der Gerichtshof - entgegen der Vorschrift des § 238 Abs 1 StPO - die Beschlußfassung über die vom Staatsanwalt gestellten Beweisanträge vor und schloß nach den Verlesungen (§ 252 StPO) das Beweisverfahren, ohne daß sich der Staatsanwalt dagegen widersetzt hätte. Nach den Schlußvorträgen der Parteienvertreter und nach der Beratung des Gerichtshofes verkündete die Vorsitzende das Urteil, zu dem der Staatsanwalt keine Erklärung abgab (S 433/II f). Um sich die Bekämpfung des Urteils mittels Verfahrensrüge offenzuhalten, hätte der Vertreter der Anklagebehörde daher zumindest nach der Verkündung des Urteils sofort die Nichtigkeitsbeschwerde anmelden müssen.

Von vornherein verfehlt ist die auf die Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Rüge der Anklagebehörde, mit der sie den Freispruch hinsichtlich der Anklagefakten 1, 2, 12, 14, 16, 18, 22, 23, 27 und 30 sowie die Unterlassung der Feststellung gewerbsmäßiger Tatbegehung (§ 130 erster Satz StGB) zu bekämpfen sucht. Die Staatsanwaltschaft mißachtet damit die ausdrückliche Vorschrift des § 281 Abs 2 StPO, wonach dieser Nichtigkeitsgrund zum Nachteil des Angeklagten nicht geltend gemacht werden kann.

Im Recht ist allein ihre Mängelrüge (Z 5). Mit dieser macht die Anklagebehörde zutreffend geltend, daß das Erstgericht für die Ablehnung der Feststellung gewerbsmäßigen Handelns keine Gründe angegeben hat. Die Ausführung, es sei zugunsten des Angeklagten davon auszugehen gewesen, daß er nur gelegentlich und fallweise bei sich bietender Gelegenheit derartige Straftaten begangen habe und dadurch einen Vermögensvorteil erzielen wollte (US 23), vermag der in § 270 Abs 2 Z 5 StPO statuierten Begründungspflicht nicht zu genügen, weil sie die Erwägungen, die diesem Zweifel zugrunde liegen, nicht erklärt.

Berechtigt ist ferner die Rüge der aktenwidrigen Wiedergabe gegenüber der Polizei gemachter Angaben der Zeugen Rudolf O***** (S 287/I) und Erna H***** (S 91/II). Entgegen den Urteilsfeststellungen (US 19, 22) hat der Zeuge O***** anläßlich der Anzeigeerstattung sehr wohl eine Personsbeschreibung des Täters abgegeben, während die Zeugin H***** ein Wiedererkennen des Täters bloß aufgrund eines Lichtbildes, nicht aber bei einer Gegenüberstellung ausgeschlossen hat. Somit ist auch der Freispruch hinsichtlich der Anklagefakten 1 und 23 mit Nichtigkeit (Z 5) behaftet.

Im aufgezeigten Umfang war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft eine neue Hauptverhandlung anzuordnen (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO), im übrigen aber ihre Nichtigkeitsbeschwerde, ebenso wie jene des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO). Zufolge Kassierung des Strafausspruchs sind die beiderseitigen Berufungen gegenstandslos.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.

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