OGH 14Os20/88

OGH14Os20/8827.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.April 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schumacher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael M*** und andere wegen des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Sergio P***, sowie die Berufung des Angeklagten Michael M*** und dessen gesetzlichen Vertreters gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 2.Dezember 1987, GZ 5 a Vr 1282/86-51, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, des Privatbeteiligtenvertreters Dr. Hoffelner, der Angeklagten Michael M*** und Sergio P***, des gesetzlichen Vertreters des Angeklagten Michael M***, Leopoldine M***, sowie der Verteidiger Dr. Schulter und Dr. Schöberl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Jugendlichen, nämlich der am 1.Juni 1972 geborene Sergio P***, der am 30.August 1972 geborene Michael M*** und der am 19.März 1972 geborene Markus U*** des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach haben sie am 12.Oktober 1986 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken eine Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß dadurch herbeigeführt, daß sie von einer über die Autobahn (A 23) führenden Brücke Pflastersteine auf die in aufgelockerten Kolonnen auf drei Fahrstreifen (S 361) herannahenden Fahrzeuge (hinunter-)schleuderten.

Rechtliche Beurteilung

Nur der Angeklagte P*** bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich mit dem Vorwurf einer fehlenden "oder doch völlig unzureichenden" Begründung gegen die erstgerichtliche Annahme eines auf die Herbeiführung einer Gemeingefahr im Sinn des § 176 StGB abzielenden Vorsatzes der drei Angeklagten, deren - als Beweismittel allein zur Verfügung gestandenen - Angaben kein über die Beschädigung der in Rede stehenden Fahrzeuge hinausreichender Vorsatz entnommen werden könne. Diesem Vorbringen ist, sofern es sich nicht in einer im Rechtsmittelverfahren gegen schöffengerichtliche Urteile unzulässigen und damit unbeachtlichen Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung erschöpft, folgendes zu erwidern. Ausgehend von der (auch vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogenen) Prämisse eines - primär - darauf gerichteten Vorsatzes der Angeklagten, mit den inkriminierten Steinwürfen auf der Autobahn befindliche Fahrzeuge zu treffen und zu beschädigen, erweist sich die vom Erstgericht daraus gezogene Schlußfolgerung, den Angeklagten (und damit auch dem Beschwerdeführer) sei "völlig klar" gewesen, daß dieses Verhalten die Gefahr einer unkontrollierbaren Reaktion eines betroffenen Fahrzeuglenkers in sich barg und demzufolge im Hinblick auf den regen Kolonnenverkehr und die eingehaltenen beträchtlichen Geschwindigkeiten auch eine von ihnen nicht mehr steuerbare Gefahrenlage für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen oder im großen Ausmaß für fremdes Eigentum herbeiführen mußte, als denkrichtig und lebensnah. Gleiches gilt für die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang des weiteren angestellte Erwägung, die einem vorgefaßten Plan entsprechende und sorgfältig vorbereitete Tatausführung indiziere angesichts des Umstandes, daß in der Nähe des Tatortes zahlreiche parkende Autos als Objekt einer Sachbeschädigung zur Verfügung standen, gleichfalls einen darüber hinausgehenden Vorsatz in Richtung einer gemeingefährlichen "spektakulären" Aktion. Bei dem Einwand, vom "knapp 14-jährigen", mäßig intelligenten Beschwerdeführer wäre ein "dreidimensionales", die Möglichkeit eines Durchschlagens der "nahezu senkrecht" stehenden Windschutzscheibe eines getroffenen PKWs berücksichtigendes Denken nicht zu erwarten gewesen, übergeht die Beschwerde - abgesehen davon, daß die Windschutzscheibe eines PKWs erfahrungsgemäß nicht nahezu senkrecht, sondern schräg zur Wagenlängsachse verläuft - daß allein die durch das Werfen von (Pflaster-)Steinen auf eine stark frequentierte Autobahn (vorsätzlich) herbeigeführte konkrete Gefahrenlage, und zwar unabhängig vom tatsächlich eingetretenen Erfolg, die Grundlage des vorliegenden Schuldspruchs bildet (S 360, 367). Mit dem (aktenmäßig nicht gedeckten, vgl. S 216 ff) Einwand, der Angeklagte sei durch vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes "unrichtig formulierte Suggestivfragen" in der Hauptverhandlung zur irrigen Auffassung gelangt, über seine nach der Tatausführung gehegten Vorstellungen aussagen zu müssen, vermag die Beschwerde einen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) ebensowenig aufzuzeigen wie mit dem Hinweis, daß sich den Ergebnissen der Beweisaufnahme "keine Spur" einer auf die Herbeiführung einer Gemeingefahr abzielenden Absicht entnehmen ließe. Letzteres Vorbringen übersieht, daß zur Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes nach § 176 StGB bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. Leukauf-Steininger Kommentar2, RN 9; Mayerhofer-Rieder StGB2, Anm. 7 je zu § 176). Daß aber der Beschwerdeführer (ebenso wie die beiden Mitangeklagten) die Herbeiführung der dem in Rede stehenden Tatbild entsprechenden Gefahrenlage als eine Folge des inkriminierten Verhaltens ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dh die Tathandlung auch auf die Gefahr hin unternommen haben, daß dieser Erfolg tatsächlich eintritt, wurde vom Erstgericht nach dem Gesagten mit mängelfreier Begründung festgestellt.

Es versagt aber auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a), welche die Herbeiführung der zur Tatbestandsverwirklichung nach § 176 StGB erforderlichen konkreten Gemeingefahr in Abrede stellt. Konkret ist die Gemeingefahr dann, wenn diese nicht bloß allgemein, sondern auch und gerade im besonderen Fall die Möglichkeit des schädlichen Erfolges besorgen läßt (Leukauf-Steininger aaO § 176 RN 5). Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes kann es nicht zweifelhaft sein, daß das (Hinunter-)Werfen von (Pflaster-)Steinen auf nebeneinander in aufgelockerten Kolonnen (drei Fahrstreifen) mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h fahrende Fahrzeuge eine aktuelle, tatsächlich zum Tragen gekommene Gefahrensituation der im § 176 StGB umschriebenen Art herbeigeführt hat. Dagegen spricht auch nicht der vom Beschwerdeführer hervorgehobene Umstand, daß der Anhalteweg unter Zugrundelegung der vom Erstgericht angenommenen Geschwindigkeit "nur" 88 m betragen und demnach den betroffenen Fahrzeuglenkern "eine hinreichende Reaktionszeit offengelassen" habe. Kein Fahrzeuglenker muß nämlich damit rechnen, daß (bei der gegebenen Sachlage im günstigsten Fall) unvermutet ein Pflasterstein vor seinem PKW auf der Fahrbahn zu liegen kommt bzw. seinen Wagen trifft: Schon aufgrund dieses unvorhersehbaren und unberechenbaren Umstandes war im Tatzeitpunkt ernstlich zu befürchten, daß herannahende Fahrzeuglenker (reflexartig) unsachgemäße Reaktionen setzen würden, welche wiederum im Hinblick auf die eingehaltenen Geschwindigkeiten und das rege Verkehrsaufkommen - ohne daß dazu, wie der Beschwerdeführer vermeint, nähere Ausführungen über den tatsächlichen Abstand der Fahrzeuge nötig gewesen waren - die konkrete Gefahr einer Massenkarambolage naheliegend erscheinen ließen. Wie nahe die konkrete Gefahr der tatsächlichen Beeinträchtigung einer größeren Zahl von Menschen in Wirklichkeit gegeben war, verdeutlicht insbesondere schon die Vorstellung, daß der die Windschutzscheibe des von Ing. Alfred S*** gelenkten Personenkraftwagens durchschlagende Pflasterstein anstelle der schwer verletzten (vgl. S 361 f) Beifahrerin Renate S*** ohne weiters auch den unmittelbar neben ihr befindlichen Fahrzeuglenker treffen und diesem die schweren, jedes sachgerechte Lenken des Fahrzeuges ausschließenden (Gesichts-)Verletzungen zufügen hätte können. Rechtsrichtig hat daher das Erstgericht die Tat als vorsätzliche Gemeingefährdung nach § 176 StGB beurteilt. Soweit der Beschwerdeführer schließlich im Rahmen der Subsumtionsrüge (Z 10) eine vorsätzliche Tatbegehung in Zweifel zieht sowie außerdem noch geltend macht, nicht im einverständlichen Zusammenwirken mit den beiden anderen Angeklagten, sondern für sich allein gehandelt zu haben, und damit eine Tatbeurteilung (bloß) in Richtung versuchter (schwerer) Sachbeschädigung anstrebt, entfernt er sich von den mängelfrei begründeten (anderslautenden) Urteilsfeststellungen. Solcherart wird daher der behauptete Rechtsirrtum nicht - wie dies die Prozeßordnung erfordert - aus einem Vergleich des festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten materiellen Strafrecht abzuleiten versucht. Die Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Das Jugendschöffengericht verurteilte die Angeklagten Michael M*** und Sergio P*** nach § 176 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von je zehn Monaten.

Dabei wertete es bei beiden Angeklagten keinen Umstand als erschwerend, hingegen das Alter von knapp über 14 Jahren zur Tatzeit, das Teilgeständnis, die gerichtliche Unbescholtenheit, das längere Wohlverhalten seit der Tat und die ungünstigen Erziehungsverhältnisse als mildernd.

Mit ihren Berufungen - jene des Angeklagten P*** wurde, soweit sie gegen die privatrechtlichen Ansprüche gerichtet war, vom Verteidiger im Gerichtstag zurückgezogen - streben die beiden Angeklagten und der gesetzliche Vertreter des Angeklagten M*** eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht an. Den Berufungen kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe im wesentlichen vollständig festgestellt und auch zutreffend gewürdigt. Von einer bloß "unglückseligen Verkettung von Zeit/Weg-Abläufen" bzw. einem "atypen Einzelfall" (hinsichtlich der Tatfolgen) kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die (weiteren) Milderungsgründe der Selbststellung und eines wesentlichen Beitrages zur Wahrheitsfindung wurden vom Erstgericht nach den Verfahrensergebnissen zu Recht nur dem im selben Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilten Markus U*** zugebilligt. Den bisher ordentlichen Lebenswandel der Berufungswerber hat der Jugendschöffensenat, wie sich aus dem Hinweis auf deren gerichtliche Unbescholtenheit ergibt, der Sache nach ohnehin als mildernd gewertet. Eine bloße Bereitschaft zur Schadensgutmachung aber vermag - abgesehen davon, daß eine solche von den Berufungswerbern auch in der Hauptverhandlung nicht einmal andeutungsweise zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. S 350 f) - den Milderungsgrund nach § 34 Z 15 StGB nicht zu bewirken (Leukauf-Steininger aaO § 34 RN 23). Ausgehend von den sohin gegebenen Strafzumessungsgründen und unter Bedachtnahme auf die in § 32 StGB normierten allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung erschienen dem Obersten Gerichtshof die vom Erstgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafen in der Dauer von je zehn Monaten nach der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld der Angeklagten keineswegs als zu hoch ausgemessen.

Es mußte ,ber auch ihrem weiteren Begehren, die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe bedingt nachzusehen, ein Erfolg versagt bleiben. Sowohl spezial- als auch generalpräventive Gründe erfordern in einem Fall wie dem vorliegenden zur Erreichung der Strafzwecke den Vollzug der verhängten Strafen. Denn bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 43 StGB sind neben dem Vorleben des Rechtsbrechers jedenfalls auch die Art der strafbaren Handlung, sein Verhalten nach der Tat, vor allem aber der Grad der Schuld des Täters zu berücksichtigen. Gerade der vorliegend überaus hohe Schuld- und Unrechtsgehalt spricht aber unter weiterer Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens der beiden Angeklagten gegen die Annahme, daß die bloße Androhung der Strafvollstreckung genügen werde.

Es war darum auch den Berufungen ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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