Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
In dem beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 063 Hv 115/10g gegen Anton B***** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (Strafantrag der Staatsanwaltschaft Korneuburg vom 16. Juni 2010; ON 16) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 5. August 2010; ON 3 in ON 25) anhängigen Strafverfahren brachte der Angeklagte in einem am 16. September 2010 bei diesem Gericht eingelangten undatierten Schreiben (unter anderem) vor, „das Gericht, den Richter und das Landesgericht Wien I wegen offensichtlicher juristischer Korruption“ abzulehnen und stellte gleichzeitig den Antrag auf Delegierung des Verfahrens „in ein anderes Bundesland (als Wien, Niederösterreich oder das Burgenland)“ (ON 38).
Der nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelrichter des Landesgerichts beraumte daraufhin die für den 1. Oktober 2010 ausgeschriebene Hauptverhandlung ab und legte die Akten gemäß § 44 Abs 2 StPO dem Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien unter Hinweis auf die globale Ablehnung des „gesamten LG I“ sowie unter Anschluss einer Stellungnahme zu dem ihn betreffenden Ablehnungsantrag vor (ON 40).
Mit Beschluss vom 8. Oktober 2010, AZ 001 Ns 126/10i (ON 42 der Hv-Akten) erklärte der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien die Ablehnung des zuständigen Richters für nicht gerechtfertigt.
Dem Delegierungsantrag des Angeklagten gab der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 9. November 2010, AZ 11 Ns 71/10w, mit der Begründung nicht Folge, dieser ziele inhaltlich auf Ablehnung des (gesamten) Landesgerichts für Strafsachen Wien ab, wobei gleichzeitig auf die Zuständigkeit des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien hingewiesen wurde.
Die Generalprokuratur erblickt in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in der vom Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien unterlassenen Vorlage des auf Ablehnung des gesamten Landesgerichts für Strafsachen Wien gerichteten Antrags des Angeklagten zur Entscheidung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien sowie im Beschluss des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Oktober 2010, AZ 001 Ns 126/10i (ON 42), aus folgenden Erwägungen eine Verletzung des Gesetzes in §§ 44 Abs 2, 45 Abs 1 erster SatzStPO:
Gemäß § 45 Abs 1 erster Satz StPO hat über die Ausschließung jener Richter zu entscheiden, dem sie nach § 44 Abs 2 StPO anzuzeigen ist. Nach der letztgenannten Gesetzesstelle hat ein Richter, dem ein Ausschließungsgrund bekannt wird, diesen sogleich dem Vorsteher oder Präsidenten des Gerichts, dem er angehört, der Präsident eines Landesgerichts oder Oberlandesgerichts dem Präsidenten des jeweils übergeordneten Gerichts, anzuzeigen. Demgemäß hätte der Präsident des Oberlandesgerichts Wien über den „das Landesgericht Wien I“, sohin sämtliche Richter einschließlich des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien ablehnenden Antrag zu entscheiden gehabt. Die unterbliebene Vorlage des Akts an den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag gemäß § 45 Abs 1 StPO und die Beschlussfassung durch den Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien über die Ablehnung des Richters Dr. Mende widersprechen den §§ 44 Abs 2, 45 Abs 1 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Antrag nach § 44 Abs 3 StPO richtet sich nach § 44 Abs 2 StPO (zur Zuständigkeit bei hier nicht aktueller diesbezüglicher Antragstellung während oder „unmittelbar“ vor der Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren vgl Lässig, WK-StPO § 45 Rz 4 f). Danach hat - soweit hier wesentlich - über die Ausschließung eines Richters der Vorsteher oder Präsident des Gerichts, dem er angehört, über jene des Präsidenten eines Landesgerichts aber der Präsident des übergeordneten Gerichts zu entscheiden (§ 45 Abs 1 erster Satz StPO).
Dafür, dass die Entscheidungskompetenz bei - außer im hier nicht aktuellen Fall, dass das Gericht nur über einen Spruchkörper verfügt, im Übrigen unzulässiger (vgl dazu Lässig, WK-StPO § 45 Rz 2 f) - Ablehnung eines ganzen Gerichts zur Gänze auf den Präsidenten des übergeordneten Gerichts überginge, wie die Generalprokuratur ersichtlich vermeint, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte.
Im vorliegenden Fall bedeutet das, dass zur Entscheidung über den Antrag des Angeklagten, soweit er die Ablehnung auch des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen Ausschließung betraf, nach § 45 Abs 1 erster Satz iVm § 44 Abs 2 StPO der Präsident des Oberlandesgerichts Wien berufen ist, während der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien über den Antrag hinsichtlich der übrigen Richter dieses Gerichts zu entscheiden hat (vgl dazu erneut Lässig, WK-StPO § 45 Rz 2).
Demzufolge widerstreitet der Beschluss des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien, mit dem dieser ausschließlich die Ablehnung des Richters, dem die Sache nach der Geschäftsverteilung zugefallen war, für nicht gerechtfertigt erklärte, nicht dem Gesetz.
Gleiches gilt für den weiters gerügten Vorgang, dass der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien die Akten nicht vor seiner Beschlussfassung dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über den ihn betreffenden Ablehnungsantrag vorlegte.
Knüpft nämlich § 44 Abs 1 erster Satz StPO die dort normierte Verpflichtung des Richters, sich im Verfahren bei sonstiger Nichtigkeit aller Handlungen zu enthalten, an das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes, also an das Erkennen eines die Ausgeschlossenheit begründenden Sachverhalts durch den betroffenen Richter, an, was die Generalprokuratur hier - zu Recht - gar nicht behauptet, löst die bloße Antragstellung nach § 44 Abs 3 StPO die in § 45 Abs 2 letzter Satz StPO normierte Folge nicht aus. Indem diese Bestimmung die angesprochene Konsequenz, wonach sich ein Richter (bei sonstiger Nichtigkeit) seines Amtes zu enthalten hat, nämlich nur im Falle des Vorliegens einer (positiven) Entscheidung über die Ausschließung vorsieht, stellt sie insoweit auf eine Willenserklärung des nach § 45 Abs 1 erster Satz StPO zur Entscheidung Berufenen ab (vgl zum Ganzen Lässig, WK-StPO § 45 Rz 12). Demgemäß ist übrigens insoweit eine § 44 Abs 1 zweiter Satz StPO entsprechende Einschränkung nicht geboten, weil der Richter in der Zeit zwischen dem Einlangen des Ablehnungsantrags und der Entscheidung darüber tätig werden und damit auch unaufschiebbare Handlungen vornehmen kann (vgl erneut Lässig, WK-StPO § 45 Rz 12).
Weil hier zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien eine ihn betreffende positive Entscheidung über die Ausschließung nicht vorlag, liegt auch insoweit ein Gesetzesverstoß nicht vor.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Bleibt anzumerken, dass die Entscheidung über den Antrag des Angeklagten, soweit er die Ablehnung des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien sowie die übrigen Richter dieses Gerichts betrifft, noch zu erfolgen hat (zur Zuständigkeit vgl oben).
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