OGH 14Os143/21t

OGH14Os143/21t26.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * C* wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 18. August 2021, GZ 17 Hv 125/20d‑62, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung einer Weisung, GZ 17 Hv 125/20d‑62a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00143.21T.0426.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * C* des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in B* und an einem anderen Ort eine längere Zeit hindurch, nämlich von Ende des Jahres 2013 bis März 2019, gegen * Ch* durch im Urteil näher beschriebene Handlungen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie zunächst mehrmals pro Monat und ab Mitte des Jahres 2015 wöchentlich, teils mehrmals wöchentlich, am Körper misshandelte sowie vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben, nämlich Körperverletzungen (nach § 83 Abs 1 StGB), und gegen die Freiheit, nämlich gefährliche Drohungen (nach § 107 Abs 1 und 2 erster und dritter Fall StGB), an ihr beging.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 61 S 6) der in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge (ON 40 S 30 ff iVm ON 39 S 43 f sowie ON 61 S 5 iVm ON 41) Verteidigungsrechte nicht verletzt:

[5] Soweit durch die zeugenschaftliche Vernehmung von * W*, * S*, * T*, * E*, * Cha*, * Tu*, C* Cham*, * B*, * K*, S* Cham*, * J* und * Ja* (ausschließlich oder auch) erwiesen werden sollte, dass „nach Außen hin eine harmonische Ehe bestand“, die Genannten „keine Verletzungen […] wahrgenommen haben“ und der Angeklagte Ch* „nicht geschlagen, ihr gedroht oder ihr Verhalten kontrolliert“ habe, ließen die Anträge mit ersterem Beweisthema keine Bedeutung für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erkennen (siehe aber RIS‑Justiz RS0118444). Die Anträge im Übrigen ließen offen, weshalb W*, die Ch* als deren Nachbarin, „regelmäßig […] am Flur“ getroffen habe (ON 40 S 31), S*, T*, E*, Cha*, B*, J* und Ja*, die Ch* „mehrmals“ bzw „manchmal“ oder „häufig“ teils an öffentlichen Orten angetroffen, teils zu Hause besucht hätten, C* Cham*, der „oft“ beim Angeklagten und Ch* übernachtet habe sowie K* und S* Cham*, die Ch* „regelmäßig bei Familientreffen“ gesehen hätten (ON 41 S 3 ff), in der Lage sein sollten, die behaupteten Umstände zu bestätigen, insbesonders inwieferne daraus, dass die Genannten anlässlich punktueller Zusammentreffen mit dem Opfer keine Verletzungen an diesem wahrnahmen, Rückschlüsse auf das Gesamtverhalten des Angeklagten möglich sein sollen. Solcherart zielten sie auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0099453).

[6] Betreffend das zur Vernehmung von W*, S*, T*, E*, Cha*, Tu*, C* Cham*, B*, J* und Ja* zusätzlich genannte Beweisthema, Ch* sei vom Angeklagten weder umfassend in ihrem Verhalten kontrolliert noch erheblich dahingehend in ihrer autonomen Lebensführung eingeschränkt worden, dass er ihr insbesondere verboten habe, allein in die Öffentlichkeit zu gehen, konnte die Beweisaufnahme schon deshalb unterbleiben, weil die Tatrichter ohnehin von keinem solchen Kontrollverhalten des Angeklagten ausgingen (vgl US 5 f und 12 und ON 25; siehe dazu § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

[7] Ebenso galt das Beweisthema der beantragten neuerlichen Vernehmung der * Ch*, dass der Angeklagte der Zeugin (in einem bestimmten Fall) „keinen Schlag gegen den Kopf gesetzt hat und hier keine Verletzung verursacht hat“ (ON 61 S 5), dem Erstgericht als erwiesen (vgl US 1 f iVm US 4 ff; erneut§ 55 Abs 2 Z 3 StPO).

[8] Mit Kritik an der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses (§ 238 StPO) entfernt sich die Rüge vom Prüfungsmaßstab der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO (RIS‑Justiz RS0116749).

[9] Die in der Beschwerde zur Antragsfundierung nachgetragenen Ausführungen unterliegen dem sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und sind daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

[10] Die Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet – teils ohne Herstellung eines Aktenbezugs (siehe aber RIS‑Justiz RS0117446, RS0124172) – unter Hervorhebung von Details der Aussagen der Zeuginnen Ch* und * S* sowie mit dem Hinweis auf regelmäßige ärztliche Untersuchungstermine des Opfers, anlässlich derer die behaupteten Verletzungen „aufgefallen wären“, „zahlreiche Widersprüche“ und „vage Angaben“ dieser „nicht glaubwürdig[en]“ Zeuginnen seien „nicht nachvollziehbar“ gewürdigt worden, auch die „fallengelassenen“ Vorwürfe hätten gezeigt, dass Ch* nur „Eigeninteressen“ verfolge und die Unwahrheit sage, um „wieder die Obsorge für ihre Kinder zu erlangen“. Hingegen sei die leugnende Verantwortung des Angeklagten „nachvollziehbar, konsistent und logisch“.

[11] Solcherart erschöpft sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO) darin, eigene Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der vom Erstgericht ausführlich erörterten Aussagen des Opfers, der Zeugin S* und des Angeklagten (US 7 ff) anzustellen und verlässt damit den Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS‑Justiz RS0099649).

[12] Das Erstgericht stellte (zusammengefasst) fest, dass der Angeklagte – mit dem entsprechenden Vorsatz – beginnend mit Ende des Jahres 2013 bis zur Trennung im März 2019 seine Ehefrau * Ch* zunächst mehrfach monatlich bis zuletzt wöchentlich und auch mehrfach wöchentlich misshandelte, am Körper verletzte und sie „oftmals in Begleitung dieser Tathandlungen“ gefährlich bedrohte, wobei „die Übergriffe im Einzelnen nicht mehr zuordenbar“ waren. Der Angeklagte schlug Ch* mit der flachen Hand gegen unterschiedlichste Körperstellen, insbesondere gegen den Oberkörper, die Arme und Beine, was häufig zu einer nicht bloß unbeträchtlichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Opfers, aber zu keinen sichtbaren Verletzungen, allenfalls zu geringen Schwellungen führte. In zahlreichen Fällen versetzte der Angeklagte Ch* fortgesetzt und regelmäßig Faustschläge bzw Tritte gegen die genannten Körperstellen, wodurch sie Hämatome sowie nicht rasch abklingende Schwellungen erlitt. Zudem untermauerte der Angeklagte seine Übergriffe regelmäßig mit Äußerungen, wonach er sie umbringen oder mit Säure übergießen werde, wodurch er ihr in Aussicht stellte, sie zu töten oder ihr eine auffallende Verunstaltung zuzufügen. Die Anzahl der dargestellten Tathandlungen nahm im angeführten Zeitraum kontinuierlich zu, wobei die Angriffe in den ersten Jahren zumindest mehrfach monatlich, seit Mitte 2015 in steigernder Intensität von wöchentlich bis mehrfach wöchentlich stattfanden (US 4 bis 6).

[13] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die Feststellungen vermisst, „wann der Angeklagte wem gegenüber welche Tathandlung gesetzt haben soll“, argumentiert demzufolge nicht auf der Basis der dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (siehe aber RIS‑Justiz RS0099810).

[14] Da die Beurteilung der Eignung gesetzter Gewalthandlungen, das Opfer in einen Zustand permanenter (oder zumindest häufig auftretender) Angst vor weiteren Gewaltakten zu versetzen und solcherart dessen Lebensführungsfreiheit gravierend zu beeinträchtigen (Winkler SbGK § 107b Rz 110; Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 8 f), eine Rechtsfrage ist (RIS‑Justiz RS0132824), ist sie – dem Beschwerdestandpunkt zuwider – selbst nicht Gegenstand von Feststellungen (RIS‑Justiz RS0130194). Weshalb die oben zitierten Konstatierungen zu den Tathandlungen des Beschwerdeführers (erneut US 4 bis 6) für die Lösung dieser Rechtsfrage nicht ausreichen sollen und es insoweit einer näheren Konkretisierung bedurft hätte, erklärt die Beschwerde nicht (RIS‑Justiz RS0116565).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[16] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[17] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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