European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00014.21X.0323.000
Spruch:
Im Beschwerdeverfahren AZ 22 Bl 17/20v des Landesgerichts Ried im Innkreis verletzen das Unterbleiben einer (unverzüglichen) Anzeige eines allenfalls bestehenden Ausschließungsgrundes des Richters Mag. L***** an den Präsidenten des genannten Gerichts § 44 Abs 2 StPO und die Mitwirkung desselben an der Beschlussfassung über die Beschwerde des ***** H***** § 44 Abs 1 erster Satz StPO.
Der Beschluss dieses Gerichts vom 7. September 2020 zu AZ 22 Bl 17/20v wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Landesgericht Ried im Innkreis verwiesen.
Gründe:
[1] Im Verfahren AZ 1 U 173/15z wies das Bezirksgericht Schärding mit Beschluss vom 9. Juli 2020 gemäß § 31a Abs 1 StGB, § 410 Abs 1 StPO einen Antrag des ***** H***** auf nachträgliche Milderung der mit Urteil dieses Gerichts vom 23. November 2015, rechtskräftig seit 25. April 2016 (ON 28 und 39), verhängten Strafe ab (ON 100).
[2] Der dagegen vom Verurteilten erhobenen Beschwerde (ON 101), gab das Landesgericht Ried im Innkreis durch den Richter Mag. L***** als Vorsitzenden sowie zwei weitere Richter (§ 31 Abs 6 Z 1 StPO) mit Beschluss vom 7. September 2020, AZ 22 Bl 17/20v, nicht Folge (ON 103).
[3] In vorangegangenen, in der gegenständlichen Strafsache beim Landesgericht Ried im Innkreis geführten Rechtsmittelverfahren (vgl AZ 22 Bl 3/16d, 22 Bl 13/17a, 22 Bl 35/18p und 22 Bl 25/19v) zeigte Richter Mag. L***** dem Präsidenten des genannten Gerichts jeweils (zuletzt am 16. September 2019) einen allenfalls bestehenden Ausschließungsgrund an und erachtete sich „nicht in der Lage, unbefangen“ eine Entscheidung zu treffen, weil er mehrere Jahre sowohl mit H***** als auch mit dessen nahen Verwandten im Rahmen eines Tennisvereins „befreundet und 'per Du'“ gewesen sei, wobei der freundschaftliche Kontakt zu den Verwandten des Verurteilten – wenn auch sporadisch – weiter bestehe.
[4] Diesen Angaben folgend erkannte der Präsident des Landesgerichts Ried im Innkreis jeweils auf Ausschließung des Richters Mag. L*****, weil „jedenfalls Zweifel an einer unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung aufgrund dieser persönlichen Beziehungen“ bestünden.
[5] Im Rechtsmittelverfahren AZ 22 Bl 17/20v des Landesgerichts Ried im Innkreis zeigte Richter Mag. L***** das allfällige Bestehen eines Ausschließungsgrundes (erstmals) nicht an.
Rechtliche Beurteilung
[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen – ausdrücklich nur gegen die im Spruch genannten Vorgänge gerichteten – Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt das Vorgehen in diesem Rechtsmittelverfahren das Gesetz:
[7] Gemäß § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn andere (als die in Z 1 und 2 genannten) Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.
[8] Beachtlich sind in erster Linie persönliche Beziehungen des Richters zu einer Prozesspartei, deren Vertreter oder einer Beweisperson, wobei der Dauer und der Intensität des Naheverhältnisses maßgebliche Bedeutung zukommt (Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 11). Ausgeschlossenheit eines Richters liegt daher insbesondere bei Bestehen freundschaftlicher Beziehungen sowie wiederkehrenden außerdienstlichen Kontakten mit Verfahrensbeteiligten oder deren engsten Verwandten (etwa aufgrund einer Mitgliedschaft im selben Verein), aber auch bei wiederholten gemeinsamen sportlichen oder gesellschaftlichen Aktivitäten der Genannten vor (vgl die Beispiele in Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 14; Aichinger in WK‑StPO § 43 Rz 22).
[9] Da die Bestimmungen über die Ausschließung nicht auf die tatsächliche (oder vermeintliche) Unfähigkeit zu unvoreingenommener sowie unparteilicher Dienstverrichtung, sondern auf äußere Umstände abstellen, die geeignet sind, Zweifel an der Objektivität des Betroffenen zu wecken, ist auch unter dem Aspekt der Z 3 des § 43 Abs 1 StPO nicht die subjektive Ansicht des betroffenen Richters, sondern die Frage entscheidend, ob die äußeren Umstände geeignet sind, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler nahe liegende Zweifel an der unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung zu wecken (Lässig, WK‑StPO Vor §§ 43–47 Rz 5, § 43 Rz 10 und 13; RIS‑Justiz RS0097086 [T5], RS0096914).
[10] Dem Schutzzweck des § 44 Abs 1 erster Satz StPO entsprechend hat sich ein Richter aller gerichtlichen Handlungen nicht erst nach einer Entscheidung über die Ausschließung (§ 45 StPO), sondern bereits dann zu enthalten, wenn ihm bestimmte Tatsachen zugänglich werden, die einen Sachverhalt, der rechtlich als Ausschließungsgrund zu beurteilen wäre, wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 44 und Lässig, WK-StPO § 44 Rz 1).
[11] Wird einem Richter das allfällige Bestehen eines Ausschließungsgrundes bekannt, hat er diesen sogleich (hier:) dem Präsidenten des Gerichts, dem er angehört, anzuzeigen (§ 44 Abs 2 StPO; zur Pflicht des betroffenen Richters zur unverzüglichen Anzeige vgl auch § 22 Abs 1 GOG). Diese Anzeigepflicht trifft in Fällen der Senatsgerichtsbarkeit bei Bekanntwerden eines allenfalls vorliegenden Ausschließungsgrundes bei einem Senatsmitglied alle Mitglieder des Senats gleichermaßen (RIS-Justiz RS0126457; Lässig, WK-StPO § 44 Rz 7).
[12] Nach Maßgabe der genannten Kriterien bestanden im vorliegenden Fall aufgrund der früheren Freundschaft des Richters Mag. L***** zum Verurteilten im Rahmen eines Tennisvereins und des (zumindest bis September 2019 bestehenden) losen freundschaftlichen Kontakts zu dessen nahen Verwandten (nach wie vor) Umstände, die das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes wahrscheinlich erscheinen ließen. Die Mitwirkung des Richters Mag. L***** an der Beschwerdeentscheidung zu AZ 22 Bl 17/20v ohne Vorliegen einer negativen Entscheidung über seine Ausschließung (§ 45 StPO) verletzt demnach § 44 Abs 1 StPO.
[13] Der das Bestehen eines Ausschließungsgrundes nahelegende Sachverhalt war nicht nur dem genannten Richter, sondern – aufgrund seiner Befassung in anderen, die gegenständliche Strafsache betreffenden Rechtsmittelverfahren – auch zumindest einem weiteren Senatsmitglied bekannt. Das Unterbleiben einer (unverzüglichen) Anzeige des allenfalls bestehenden Ausschließungsgrundes an den Präsidenten des Landesgerichts Ried im Innkreis durch zumindest ein Senatsmitglied verletzt daher § 44 Abs 2 StPO.
[14] Es ist nicht auszuschließen, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen dem Verurteilten zum Nachteil gereichten, weshalb deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden war (§ 292 letzter Satz StPO).
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