Spruch:
Aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde wird festgestellt, dass Werner R***** durch den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 28. August 2007, AZ 7 Bs 377/07k, in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
Dieser Beschluss wird nicht aufgehoben.
Mit seiner gegen diesen Beschluss gerichteten Grundrechtsbeschwerde wird Werner R***** auf diese Entscheidung verwiesen. Soweit sich die Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. August 2007, GZ 30 Ur 73/07h-111, richtet, wird sie zurückgewiesen.
Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 28. August 2007, AZ 7 Bs 377/07k (ON 135), wurde die vom Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck am 22. Juni 2007 über Werner R***** verhängte (ON 47) und sodann am 3. Juli 2007 (ON 66) und am 3. August 2007 fortgesetzte (ON 111) Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO bis zum 29. Oktober 2007 fortgesetzt.
Zur Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts beschrieb der Gerichtshof zweiter Instanz dessen Darstellung im „Haftverhängungsbeschluss" dahin, dass „Werner R***** dringend verdächtig sei, zumindest seit mehreren Monaten Suchtmittel in Form von Kokain und Cannabisharz in großen Mengen im Raum Innsbruck gewinnbringend in Verkehr gesetzt zu haben" (S 2) und referierte anschließend Erwägungen des Untersuchungsrichters zur Begründung dieser Verdachtslage, wonach etwa der Mitbeschuldigte Ramazan G***** den mehrfachen Erwerb von Kokain guter Qualität (insgesamt ca 60 bis 70 Gramm) und von Cannabisharz schlechter Qualität (insgesamt 100 Gramm) beim Beschuldigten geschildert habe und im Zuge der Festnahme des Mitbeschuldigten Herbert K***** drei Platten Haschisch (56,6 Gramm) sichergestellt worden seien, die laut Angaben des Ramazan G***** mit dem von ihm beim Beschwerdeführer bezogenen Haschisch übereinstimmen würden. Daraus schloss das Oberlandesgericht auf einen „naheliegenden" Verdacht mehrfacher Suchtgiftverkäufe des Beschuldigten an Herbert K***** und weiters aus Besuchen von „Personen aus der Suchtgiftszene", der Sicherstellung von „fünf Gripsäckchen zu je 5 Gramm portionierten weißen Pulvers" und aus den beim Beschuldigten „aufgefundenen nicht unbeträchtlichen Vermögenswerten" auf „einen weiteren Verdacht auf den wiederkehrenden gewinnbringenden Handel mit Suchtgiften". Zudem setzte sich das Oberlandesgericht mit Argumenten des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Haftentscheidung auseinander.
Aus Anlass der dagegen erhobenen Beschwerde war zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO der in der Beschwerde nicht gerügte Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichtes keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält, die eine rechtliche Beurteilung, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen das Verbrechen nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG begründet wird, ermöglichen würden, womit die Entscheidung in Betreff der Sachverhaltsannahmen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachtes in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise undeutlich geblieben ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue - reformatorische - Entscheidung darzustellen (§ 182 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421, RS0120817). Nach § 179 Abs 4 Z 4 StPO (§ 182 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat jeder Beschluss eines Oberlandesgerichts über die Fortsetzung der Untersuchungshaft „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht" für den Gerichtshof zweiter Instanz ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher - in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien, also Tatbeständen; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich entscheidend beurteilte - Sachverhalt angenommen wurde (Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; vgl EvBl 2006/132, 690; RIS-Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor (vgl Ratz, JBl 2000, 536 f; ders, ÖJZ 2005, 417; ders, ÖJZ 2005, 705 f; ders, ÖJZ 2006, 319; ders, WK-StPO § 281 Rz 4 f, 419). Insoweit unterscheidet sich die Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von der für ein Strafurteil (vgl 13 Os 81/07x mwN). Vorliegend hat sich das Oberlandesgericht damit begnügt, die Sachverhaltsannahmen des Untersuchungsrichters im Konjunktiv zu referieren, ohne jedoch zu einer dem Beschuldigten angelasteten Tat eine klare und für Dritte nachvollziehbare Aussage darüber zu treffen, von welchen eigenen Sachverhaltsannahmen es ausging oder - im nächsten Schritt - auf welchen konkreten Beweisergebnissen diese basieren. Solcherart wurde den gesetzlichen Deutlichkeitserfordernissen nicht entsprochen.
Denn selbst wenn eine Analyse der Wiedergabe der Annahmen des Erstgerichts durch den Gerichtshof zweiter Instanz den Schluss zulassen könnte, das Oberlandesgericht habe sich mit diesen identifiziert, ist auch diesen Sachverhaltsannahmen - neben im Vagen gebliebenen Rückschlüssen auf hinsichtlich Menge, Art und Abnehmern nicht individualisierte weitere Suchtmittelgeschäfte - konkret nur zu entnehmen, dass der (nach den Beschlussannahmen an Suchtmittel gewöhnte) Beschuldigte dringend verdächtig sei, in mehreren Angriffen insgesamt ca 60 bis 70 Gramm Kokain an Ramazan G***** und insgesamt 156,6 Gramm Cannabisharz an Herbert K***** verkauft zu haben. Selbst eine Interpretation der Ausführungen der angefochtenen Entscheidung in diesem Sinne ergäbe demnach, dass das Oberlandesgericht Innsbruck zum Ausdruck bringen wollte, es bestünde auch aus seiner Sicht eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Täterschaft des Angeklagten in diesem Umfang, wobei Überlegungen zum Reinheitsgehalt der tatverfangenen Suchgiftquanten gänzlich fehlen. Gleichermaßen bleibt völlig im Dunkeln, welches innere Vorhaben des Angeklagten der Gerichtshof zweiter Instanz angenommen hat. Jedenfalls wäre durch eindeutige Feststellungen zu klären gewesen, ob ein dringender Verdacht dahin angenommen wird, dass der Vorsatz des Angeklagten den an die bewusst kontinuierliche Tatbegehung geknüpften Additionseffekt mitumfasste, weil nur in einem solchen Fall einzelne die Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) für sich allein erreichende Suchtgiftquanten zu einer großen Menge zusammenzufassen sind, wohingegen derartige Einzelakte bei Nichtannahme eines solchen Täterwillens (hier zufolge angenommener Suchtmittelgewöhnung [BS 4, 10] und fehlender Aussage zur primären Motivation für den Suchtgifthandel selbst bei gewerbsmäßigem Vorgehen; vgl § 27 Abs 2 Z 2 zweiter Halbsatzbzw § 28 Abs 3 zweiter SatzSMG) jeweils nur das - bei alleiniger Annahme von Tatbegehungsgefahr nicht hafttragende (§ 452 Z 3 StPO) - Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG begründen können (RIS-Justiz RS0088096, RS0112225).
Die aufgezeigten Defizite der Sachverhaltsannahmen erfordern eine unverzüglich Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, nicht aber die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; vgl Reiter, ÖJZ 2007, 391 [403] und Ratz, ÖJZ 2005, 415 [419]).
Es war daher aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde auf eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit zu erkennen. Mit der gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes gerichteten Grundrechtsbeschwerde war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Soweit sich die Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Untersuchungsrichters auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 3. August 2007 (ON 111) richtet, ist sie nach § 1 Abs 1 GRBG unzulässig. Da das Erkenntnis im Sinne der Feststellung einer Grundrechtsverletzung stattgebend ausfiel, hatte die Kostenfolge des § 8 GRBG einzutreten.
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