OGH 14Os130/97

OGH14Os130/9711.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.November 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Holzweber, Dr.Ratz und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kunz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Selami A***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 27.Juni 1997, GZ 16 Vr 1.357/96-59, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr.Kresbach, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last,

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem stimmeneinhelligen Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Selami A***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffenG (1986) schuldig erkannt. Darnach liegt ihm zur Last.

1. am 6.November 1996 in Hard die Serfiras K***** durch drei Pistolenschüsse aus einer Entfernung von ca 2 m vorsätzlich zu töten versucht und

2. vom 29. oder 30.Oktober 1996 bis zum 6.November 1996 in Bregenz und Hard eine Faustfeuerwaffe unbefugt besessen und geführt zu haben.

Den Schuldspruch wegen versuchten Mordes bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 3, 4, 5, 6, 8 und 10 a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeits- beschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Im Sinne der Verfahrensrüge (Z 4) trifft es zwar zu, daß der Angeklagte entgegen § 178 StPO von den festnehmenden Sicherheitsorganen nicht darüber unterrichtet wurde, daß seine Aussagen auch als Beweis gegen ihn Verwendung finden können. Der Beschwerdeführer übersieht jedoch, daß eine Verletzung der Belehrungspflicht nicht ausdrücklich mit Nichtigkeit bedroht ist und daher kein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (vgl Bertel, Grundriß5 Rz 352). Die gerügte Beweisaufnahme begründet auch keine Nichtigkeit im Sinne des Z 3 des § 345 Abs 1 StPO, weil diese nur bei Verlesung von Schriftstücken über (nichtige) Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsakte der Gerichte, nicht jedoch anderer Erhebungsorgane vorliegt (EvBl 1983/81).

Den Nichtigkeitsgrund der Z 5 erblickt der Angeklagte in der Ablehnung seines Antrages auf Stellung einer Eventualfrage in Richtung versuchten Totschlages nach §§ 15, 76 StGB. Damit macht er der Sache nach den Nichtigkeitsgrund nach der Z 6 geltend, weil Verletzungen von Vorschriften über die Fragestellung auch dann diesen speziellen Nichtigkeitsgrund - und nicht jenen der Z 5 - verwirklichen, wenn ein die Fragestellung betreffender Antrag einer Partei vom Schwurgerichtshof abgewiesen wurde (Mayerhofer StPO4 § 345 Z 5 E 5).

Auch unter diesem Gesichtspunkt geht die Rüge jedoch fehl:

Gemäß § 314 Abs 1 StPO ist eine Eventualfrage (ua) dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Entgegen der Beschwerde liegen aber nach den in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen die Voraussetzungen für die angestrebte Fragestellung nicht vor. Das gegenüber Mord (§ 75 StGB) vom Gesetz mit geringerer Strafe bedrohte Delikt des Totschlages (§ 76 StGB) ist dadurch charakterisiert, daß sich der Täter zur vorsätzlichen Tötung eines anderen in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen läßt. Die "allgemeine Begreiflichkeit" einer zur Tat führenden Gemütsbewegung ist unter Anlegung eines objektiv-normativen Maßstabes zu beurteilen.

Wie schon der Schwurgerichtshof in seinem abweisenden Zwischenerkenntnis zutreffend erkannt hat, fehlt es nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung an Anhaltspunkten für die allgemeine Begreiflichkeit jener Gemütsbewegung, in der sich der Angeklagte zum Tötungsversuch seiner ehemaligen Lebensgefährtin Serfiras K***** hinreißen ließ.

Der Angeklagte geriet seiner Verantwortung zufolge wegen einer beleidigenden Äußerung der Serfiras K***** ("Hurensohn") derart in Wut, daß er den Entschluß faßte, den von ihm aufgrund der Auflösung der Lebensgemeinschaft durch das Tatopfer erwogenen Racheakt durch die Schußabgabe sogleich auszuführen. Selbst unter dem Eindruck massiver, aus der Sicht (fremdartiger) familiärer Wertvorstellungen nicht hinzunehmender Beleidigungen ist eine Gemütsbewegung der in Rede stehenden Heftigkeit dem zurückgewiesenen Liebhaber in Gestalt des ehemaligen Lebensgefährten nach hierzulande herrschenden Maßstäben sittlich vorzuwerfen (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 76 RN 12) und solcherart nicht allgemein begreiflich. Die vom Gerichtspsychiater als psychogener Ausnahmezustand beurteilte Gemütsbewegung des Angeklagten stellt sich vielmehr als eine "übersteigerte" Reaktion dar, der eben deshalb das Moment der allgemeinen Begreiflichkeit fehlt (Kienapfel BT I3 E 76 Rz 30 und die dort zitierte Judikatur). Die Stellung einer auf versuchten Totschlag gerichteten Eventualfrage war demnach weder durch die Verantwortung des Angeklagten noch durch andere in der Hauptverhandlung vorgebrachte Tatsachen indiziert.

Der Einwand gegen die Rechtsbelehrung (Z 8) versagt schon deshalb, weil diese nur zu den tatsächlich gestellten Fragen zu erteilen ist (§ 321 Abs 2 StPO), hier aber eine Fragestellung in Richtung §§ 15, 76 StGB eben mit Recht unterblieben ist (Mayerhofer StPO4 § 345 Z 8 E 20).

Schließlich ist auch die Tatsachenrüge (Z 10 a) unbegründet, in welcher der Beschwerdeführer sich unter dem Hinweis, daß einzelne Verfahrensergebnisse auch für ihn günstigere Schlußfolgerungen in bezug auf die subjektive Tatseite zuließen, gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes wendet. Schwerwiegende Zweifel an der Richtigkeit der dem Verdikt zugrundeliegenden Beweiswürdigung der Geschworenen vermag der Angeklagte damit nicht darzutun. Sein Beschwerdevorbringen läßt nämlich aktenkundige Beweisresultate außer acht, die auf einen Tötungsvorsatz des Angeklagten im Zeitpunkt der Schußabgabe hindeuten. So konnten die einschreitenden Gendarmeriebeamten Robert V*****, Susanne M*****, Herbert Z***** und Manfred K***** den (in Aktenvermerken sinngemäß festgehaltenen) Äußerungen des Angeklagten nach seiner Festnahme unmißverständlich entnehmen, daß er Serfiras K***** umbringen wollte. Diese den Beschwerdeführer belastenden Verfahrensergebnisse stimmen auch mit den Angaben des Zeugen Celalettin K***** überein, denenzufolge der Angeklagte unter Hinweis auf den Besitz einer Pistole die Erschießung seiner ehemaligen Lebensgefährtin angedroht hatte. Der Beschwerdeargumentation gegen eine gezielte Schußabgabe auf den Rumpf des Tatopfers genügt es die unbedenklichen Ausführungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen entgegenzuhalten.

Der Angeklagte vermag somit keine aktenkundigen Beweisergebnisse aufzuzeigen, die nach den Denkgesetzen oder allgemeiner Erfahrung mit dem im Wahrspruch als erwiesen angenommenen Tötungsvorsatz in Widerspruch stünden.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte Selami A***** nach §§ 28 Abs 1, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren. Dabei wertete es mehrere einschlägige Vorverurteilungen, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen und das Ausnützen der Wehrlosigkeit des Opfers beim Verbrechen als erschwerend; als mildernd hingegen, daß das Verbrechen beim Versuch geblieben ist, die eingeschränkte Dispositionsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung des Verbrechens sowie sein Teilgeständnis, dem es allerdings kein erhebliches Gewicht beimaß, weil der Angeklagte nur jene Fakten zugegeben habe, die er nicht mit Aussicht auf Erfolg hätte bestreiten können, und er durch seine Aussagen keinen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet habe.

Die auf eine Strafherabsetzung abzielende Berufung des Angeklagten ist unbegründet:

Zunächst ist festzuhalten, daß die schwersten Verletzungen des Tatopfers bei der Strafbemessung keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben. Dagegen wurde mit Recht als mildernd ein bloß teilweises Geständnis gewertet, weil der Angeklagte den Tötungsvorsatz in Abrede gestellt hatte. Wenngleich die Schußabgabe beim Mordversuch nicht die für den besonderen Erschwerungsumstand nach § 33 Z 7 StGB verlangte Bedeutung erreicht, so ist der Angeklagte dennoch im Sinne der allgemeinen Schuldkriterien nach § 32 Abs 3 letzter Fall StGB belastet, wonach die Tat umso strenger zu bemessen ist, je weniger Vorsicht gegen sie gebraucht werden konnte. Der Berufung zuwider trug das Geschworenengericht auch der eingeschränkten Dispositionsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausreichend Rechnung und es wurden die einschlägigen Vorverurteilungen keineswegs überbewertet, sodaß insgesamt für eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe kein Anlaß bestand.

Die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wurde im Gerichtstag zurückgezogen.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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