OGH 14Os129/98

OGH14Os129/9813.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Herbert E***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Walter Christian M***** und Manfred Mo***** sowie über die Berufungen der Angeklagten Walter Christian M***** und Herbert E***** sowie der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich aller drei Angeklagten) gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 11. Feber 1998, GZ 11 Vr 1.120/97-136, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Walter Christian M***** und Manfred Mo***** werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Walter Christian M***** und Herbert E***** sowie der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich aller drei Angeklagten) werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Verfahrens über ihre Rechtsmittel zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechts- kräftige Freisprüche (B) enthält, wurden die Angeklagten Herbert E*****, Walter Christian M***** und Manfred Mo***** wie folgt schuldig erkannt:

Herbert E***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/I/2) und der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB (A/II) sowie des Vergehens der versuchten pornographischen Darstellungen mit Unmündigen nach §§ 15, 207a Abs 1 StGB (A/III/2);

Walter Christian M***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/I/3) und des Vergehens der pornographischen Darstellungen mit Unmündigen nach § 207a Abs 3 StGB (A/III/1);

Manfred Mo***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/I/1).

Sie wurden hiefür zu Freiheitsstrafen verurteilt, die Herbert E***** und Walter Christian M***** zum Teil, Manfred Mo***** zur Gänze bedingt nachgesehen wurden.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs (A) haben

I. Herbert E*****, Walter Christian M***** und Manfred Mo***** jeweils im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Siegfried Z***** in dessen Haus in ***** S*****, den am 29. April 1988 geborenen Stefan M***** sowie den am 23. Juli 1989 geborenen Daniel M*****, mithin unmündige Personen wiederholt auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar:

1. Manfred Mo***** und Siegfried Z***** in der Zeit von Sommer 1996 bis Anfang Juli 1997 in wiederholten Angriffen dadurch, daß sie teils gemeinsam Stefan und Daniel M***** am Geschlechtsteil betasteten;

2. Herbert E***** und Siegfried Z***** in der Zeit von Feber 1997 bis Anfang Juli 1997 in wiederholten Angriffen dadurch, daß sie teils gemeinsam Stefan und Daniel M***** am Geschlechtsteil betasteten, an Daniel M***** einen Oralverkehr und an beiden einen Analverkehr versuchten;

3. Walter Christian M***** und Siegfried Z***** in der Zeit von Frühjahr 1997 bis Anfang Juli 1997 in wiederholten Angriffen dadurch, daß sie teils gemeinsam Stefan und Daniel M***** am Geschlechtsteil betasteten sowie an Stefan und Daniel M***** Analverkehr versuchten;

II. Herbert E***** am 30. Juli 1997 in B***** mit dem am 3. November 1982 geborenen Lukas B*****, mithin mit einer Person, die das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, indem er bei diesem einen Oralverkehr durchführte;

III. Herbert E***** und Walter Christian M***** bildliche Darstellungen einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person oder einer unmündigen Person an sich selbst oder an einer anderen Person, deren Betrachtung nach den Umständen den Eindruck vermittelt, daß es bei ihrer Herstellung zu einer solchen geschlechtlichen Handlung gekommen ist, teils sich zu verschaffen versucht und teils besessen, und zwar

1. Walter Christian M***** in St***** dadurch, daß er bis zum 5. August 1997 im Besitz eines Telefax mit einer kinderpornographischen Darstellung (Oralverkehr zwischen zwei Buben) war;

2. Herbert E***** zwischen Feber und Juni 1997 in B***** und S***** dadurch, daß er im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Siegfried Z***** und Peter S***** versuchte, kinderpornographisches Material (Disketten bzw Videos) aus den USA zu verschaffen.

Gegen den Schuldspruch richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Walter Christian M***** (§ 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und lit b StPO) und Manfred Mo***** (§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO); den Strafausspruch fechten die Angeklagten Walter Christian M***** und Herbert E***** sowie die Staatsanwaltschaft (hinsichtlich aller drei Angeklagten) mit Berufung an.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Walter Christian M*****:

Nach dem Inhalt des ungerügten Protokolls über die Hauptverhandlung wurde dem Antrag auf Verlesung der Protokolle über die Vernehmung der Zeugen Thomas O***** und Alexander F***** entsprochen, weswegen die Verfahrensrüge (Z 4) ins Leere geht.

Auch die (der Sache nach aus Z 5 vorgetragene) Kritik daran, daß diese Zeugenprotokolle nicht durch tatsächliches (vollständiges) Vorlesen, vielmehr (wegen der protokollierten Zeitangaben) ersichtlich nur in Form eines zusammenfassenden Berichtes des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung "vorgekommen" (§ 258 Abs 1 erster Satz StPO) sind, versagt:

Den Parteien des Strafverfahrens wird durch § 252 Abs 2 StPO die Möglichkeit eingeräumt, auf das tatsächliche Vorlesen von bestimmten Schriftstücken, die für die Sache von Bedeutung sind, übereinstimmend mit der Wirkung zu verzichten, daß in einem solchen Fall das (den Mündlichkeitsgrundsatz nur interpretierende) Verlesungs- gebot des § 258 Abs 1 zweiter Satz StPO nicht gilt. Die Kenntnis des Gerichtes und der Prozeßparteien vom Inhalt der vom Verzicht umfaßten Unterlagen wird dabei angenommen (ÖJZ-LSK 1996/48 und 1997/73). Zwar bezieht sich die Möglichkeit eines derartigen Verzichts nicht ausdrücklich auch auf eine Vorlesung nach § 252 Abs 1 StPO, gleichwohl erweist sich diese Bestimmung wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller zulässigen Beweismittel (§ 258 Abs 2 StPO) einer Ergänzung durch analoge Ausdehnung der Verzichtsmöglichkeit des § 252 Abs 2 StPO eben auch auf die in Abs 1 bezeichneten Beweismittel als zugänglich. Denn anders als im Fall des Gegensatzpaares in § 252 Abs 2 StPO (Verlesungsgebot: Verlesungsverzicht) hat die eine Ausnahme vom Prinzip der Unmittelbarkeit schaffende Regelung des § 252 Abs 1 StPO als Kehrseite der Verlesungszulässigkeit die unmittelbare Vernehmung von Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen im Blick, womit dem fehlenden ausdrücklichen Hinweis auf die Möglichkeit eines beiderseitigen Vorlesungs-(oder Vorführungs)verzichts keine interpretative Bedeutung dahin zukommt, der Gesetzgeber hätte in bezug auf die in § 252 (Abs 1 und Abs 2) StPO erwähnten Aktenstücke bewußt eine unterschiedliche Regelung treffen wollen. Vielmehr ist angesichts der im § 252 Abs 2 StPO ausdrücklich angeordneten Abweichung vom Gebot tatsächlicher Verlesung - nicht vom Prinzip der Mündlichkeit (§ 258 Abs 1 erster Satz StPO) - die Annahme gerechtfertigt, der Gesetzgeber hätte es wohl auch explizit zum Ausdruck gebracht, wenn er einen beiderseitigen Vorlesungs-(oder Vorführungs)verzicht bezüglich der in § 252 Abs 1 StPO bezeichneten Beweismittel hätte verbieten wollen. Der Ausnahmecharakter des § 252 Abs 2 StPO steht einer analogen Anwendung auf die Fälle des § 252 Abs 1 StPO nicht entgegen (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, 355 f).

Haben daher beide Teile auf die (tatsächliche) Vorlesung (bzw Vorführung) von im § 252 (Abs 2 und Abs 1) StPO genannten Schriftstücken (bzw technischen Aufzeich- nungen) verzichtet, ist die Art, wie ein solches Beweismittel in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (§ 258 Abs 1 erster Satz StPO), einer nachträglichen Kritik aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO entzogen (vgl zur Beschränkung eines anderen Verfahrensgrundsatzes - der Öffentlichkeit - anders als durch gerichtliche Anordnung Mayerhofer StPO4 E 3 zu § 228; insb durch Verzicht der Parteien Frowein/Peukert EMRK-Kommen- tar Art 6 Rz 121).

Folgerichtig hätte es zur gesetzmäßigen Ausführung einer auf die Mißachtung der Förmlichkeit des § 258 Abs 1 zweiter Satz StPO angelegten Mängelrüge (Z 5) der - hier unterlassenen - Behauptung bedurft, daß auf die tatsächliche Vorlesung der vorstehend bezeichneten Vernehmungsprotokolle nicht verzichtet worden sei; zur Einholung von Aufklärungen darüber (§ 285 f StPO) bestand somit kein Anlaß.

Das Schöffengericht hat den wegen angeblicher Befangenheit der beigezogenen Kinderpsychologin Dr. Maria R***** gestellten Antrag des Nichtigkeitswerbers auf Beiziehung eines anderen Sachverständigen aus diesem Fachgebiet mit Recht abgelehnt, weil im Antrag weder eine besondere Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung (§ 118 Abs 2 StPO) noch Mängel von Befund und Gutachten (§§ 125, 126 StPO) dargetan wurden, die die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen erforderlich gemacht hätten.

Die begehrte Verlesung "des allgemeinen Teiles des Gutachtens von Professor S***** im Wormser-Prozeß" hinwieder kam deshalb nicht in Betracht, weil es sich dabei nicht um das Gutachten eines in dieser Sache vom Gericht bestellten Sachverständigen gehandelt hat.

Insofern der Angeklagte im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) unter Wiederholung seiner leugnenden Verantwortung und unter Hervorhebung einiger aus dem Zusammenhang gelöster Beweisdetails angebliche Begründungsmängel behauptet, bekämpft er in einer im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Weise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung, welche die Einlassungen des Nichtigkeitswerbers logisch und empirisch einwandfrei, insbesondere auf Grund der Aussagen der tatbetroffenen Kinder und des erwähnten psychologischen Gutachtens verwarf.

Die gerügte Unterlassung der Einvernahme des abgesondert verfolgten Siegfried Z***** - die gegen diesen geführten Stammakten wurden, wie erwähnt, ohnedies verlesen - kann mangels entsprechender Antragstellung auf sich beruhen.

Die lediglich gegen den Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 207a Abs 3 StGB gerichtete Rechtsrüge verfehlt eine prozeßordnungsgemäße Ausführung, indem sie unter Wiederholung der von den Tatrichtern verworfenen Verantwortung, die in Rede stehende Abbildung sei dem Angeklagten ungewollt zugesendet und von ihm achtlos verwahrt worden, die mängelfreien (Z 5) erstgerichtlichen Feststellungen über den vom bedingten Vorsatz getragenen Besitz der pornographischen Darstellung mit Unmündigen übergeht (Z 9 lit a) und darauf aufbauend mangelnde Strafwürdigkeit dieser Tat reklamiert (Z 9 lit b), ohne substantiiert darzutun, warum die Kriterien des § 42 StGB erfüllt seien.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Manfred Mo*****:

Auch dessen Mängelrüge (Z 5) bekämpft unter isolierter Anführung einiger Beweisdetails in einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Weise die logisch und empirisch einwandfreie Beweiswürdigung der Tatrichter, die sich auf ein teilweises Geständnis des Nichtigkeitswerbers vor der Gendarmerie und auf die belastenden Aussagen der betroffenen Kinder stützen konnten.

Widersprüche in deren Depositionen wurden ebenso eingehend erörtert wie das kinderpsychologische Sachverständigengutachten, dem auch hinsichtlich der Wertung der Tathandlungen "von Randpersonen" lediglich Hilfestellung für die tatrichterliche Beweiswürdigung zukommt.

Nach Prüfung des weiteren Beschwerdevorbringens anhand der Akten ergeben sich keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen (Z 5a).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Linz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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