OGH 14Os118/18m

OGH14Os118/18m13.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Kontr. Gsellmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Basel I***** wegen des Vergehens der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 31 Hv 21/18y des Landesgerichts Salzburg, über den Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00118.18M.1113.000

 

Spruch:

In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt, das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. Juli 2018, GZ 31 Hv 21/18y‑14, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuld-, im Straf- und im Kostenausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

 

Gründe:

Im Verfahren AZ 31 Hv 21/18y des Landesgerichts Salzburg legte die Staatsanwaltschaft Salzburg Basel I***** mit Strafantrag vom 12. Juni 2018 ein den Vergehen der Begünstigung nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB (1) und der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (2) subsumiertes Verhalten zur Last (ON 9).

Zu diesen Vorwürfen war der Genannte im Ermittlungsverfahren von der Kriminalpolizei im Sinn des § 164 StPO förmlich als Beschuldigter vernommen worden (ON 6 S 9 ff; 23).

Das Landesgericht Salzburg beraumte die Hauptverhandlung für den 11. Juli 2018 an und verfügte dabei die Zustellung der Ladung an den Angeklagten an dessen – zu diesem Zeitpunkt – aktenkundigen Hauptwohnsitz (ON 6 S 9; ON 1 S 9). Laut Zustellnachricht wurde diese Ladung am zuständigen Postamt zur Abholung ab 21. Juni 2018 hinterlegt, jedoch nicht behoben und am 10. Juli 2018 an das Landesgericht Salzburg retourniert (ON 13a).

Zur Hauptverhandlung erschien Basel I***** unentschuldigt nicht. Der Einzelrichter des Landesgerichts Salzburg stellte daraufhin fest, dass die Zustellung der Ladung durch Hinterlegung ausgewiesen sei und verkündete den Beschluss auf Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (ON 13 S 1).

Nach Eröffnung des Beweisverfahrens und Vernehmung eines Zeugen gab er „gemäß § 262 StPO“ bekannt, „dass für den Fall, dass wegen Faktum 1 laut Strafantrag ein Freispruch erfolgt, das Faktum 2 zusätzlich allenfalls ideal-konkurrierend dem Vergehen der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB in Hinblick auf die Aussage Basel I***** laut AS 9 in ON 8 in ON 2 subsumiert werden“ könne (ON 13 S 5).

Entsprechend dieser Ankündigung wurde der Angeklagte sodann mit am selben Tag verkündetem Abwesenheitsurteil wegen des von Punkt 2 des Strafantrags umfassten (um weitere Details der inkriminierten Aussage anlässlich seiner förmlichen Vernehmung als Zeuge im Verfahren AZ 63 Hv 127/17w des Landesgerichts Salzburg ergänzten) Verhaltens des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (1) und – insoweit anklagedifform – zusätzlich jenes der Begünstigung nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB nach § 288 Abs 1 StGB zu einer, für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Von der zu Punkt 1 gegen ihn erhobenen Anklage wurde I***** unter einem gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (ON 13 S 5 f; ON 14).

Noch am 11. Juli 2018, jedoch nach Schluss der Hauptverhandlung um 11:40 Uhr, langte die nicht behobene Ladung des Angeklagten zu diesem Hauptverhandlungstermin beim Landesgericht Salzburg ein (ON 13a S 3).

Das Urteil konnte dem Genannten an der Ladungsadresse nicht zugestellt werden, die Postsendung wurde mit dem Vermerk „unbekannt“ an das Landesgericht Salzburg rückgemittelt (ON 15).

Eine daraufhin veranlasste Anfrage an das zentrale Melderegister ergab, dass I***** diese Abgabestelle bereits am 1. Juni 2018 aufgegeben und einen neuen Hauptwohnsitz angemeldet hatte (ON 16). Eine neuerliche Zustellung des Urteils an diese Adresse erfolgte durch Hinterlegung am zuständigen Postamt. Auch diese Sendung wurde als „nicht behoben“ an das Landesgericht Salzburg retourniert (Anhang zu ON 14).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend aufzeigt, ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Abwesenheitsurteil des Landesgerichts Salzburg zugrunde gelegten Tatsachenannahmen, wonach dem Angeklagten die Ladung zur Hauptverhandlung (wirksam) durch Hinterlegung zugestellt worden sei und damit die Voraussetzungen für eine Verhandlung und Urteilsfällung in dessen Abwesenheit vorlagen.

Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit nur dann in Abwesenheit des nicht erschienenen Angeklagten durchgeführt und das Urteil gefällt werden, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte gemäß den §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde.

Die von § 83 Abs 4 zweiter Satz StPO verlangte eigenhändige Zustellung der Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung (Fabrizy StPO13 § 83 Rz 3) kann auch durch Hinterlegung erfolgen (RIS-Justiz RS0120038); dies allerdings nur, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (§ 17 Abs 1 ZustG). Ergibt sich, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, gelten hinterlegte Dokumente nicht als zugestellt (§ 17 Abs 3 ZustG).

Ausgehend vom Ergebnis der Ausschreibung des Angeklagten zur Aufenthaltsermittlung (ON 6 S 5) und dessen Angaben anlässlich seiner Vernehmung als Beschuldigter durch die Kriminalpolizei (ON 6 S 9) ist die Annahme des erkennenden Gerichts, dass sich dieser im Zeitraum der Hinterlegung der Ladung für die Hauptverhandlung ab dem 21. Juni 2018 tatsächlich an der von ihm als Hauptwohnsitz genannten Adresse aufgehalten hat und die Ladung somit rechtsgültig zugestellt wurde, rechtlich nicht zu beanstanden.

Der misslungene Zustellversuch der Urteilsausfertigung und (insbesondere) die Meldeauskunft vom 23. Juli 2018, wonach der Angeklagte diesen Wohnsitz bereits am 1. Juni 2018 abgemeldet hat (ON 16), indizieren jedoch, dass er sich schon während des relevanten Hinterlegungszeitraums nicht mehr an dieser Abgabestelle aufgehalten hat (§ 427 Abs 1 StPO).

Somit ist eine (nicht vom Obersten Gerichtshof getroffene) Entscheidung eines Strafgerichts (nämlich das in Rede stehende Abwesenheitsurteil) auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten ist. Da die so entstandene Benachteiligung des Angeklagten auf anderem Weg nicht behoben werden kann, war dies durch Verfügung der außerordentlichen Wiederaufnahme auf die im Spruch ersichtliche Weise in analoger Anwendung des § 362 Abs 1 Z 2 StPO zu sanieren

(RIS-Justiz RS0117416; RS0117312 [T9]; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 16, § 362 Rz 4).

Die dem Erstgericht unterlaufene, durch die in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommene Modifizierung des Anklagevorwurfs und das darüber ergangene Urteil (die in Ansehung von Punkt 2

des Strafantrags erfolgte Verurteilung auch wegen des [in Idealkonkurrenz begründeten] Vergehens der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB) bewirkte Verletzung des in § 262 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK ( Bauer , WK-StPO § 427 Rz 12 mwN; zur grundrechtsorientierten Auslegung von § 262 unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs 1 Z 8 StPO: Ratz § 281 Rz 542 ff), war nicht Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs.

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