OGH 14Os111/99

OGH14Os111/9921.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mittermayr als Schriftführer, in der Strafsache gegen Leopold H***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Steyr vom 29. April 1999, GZ 11 Vr 442/98-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schroll, und des Verteidigers Mag. Lambauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Leopold H***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, am 7. Oktober 1998 in Steyr Herta H***** getötet zu haben, indem er sie würgte und gleichzeitig ertränkte.

Die Geschworenen bejahten die Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB stimmeinhellig. Die Zusatzfrage über eine zur Zeit der Tat bestehende Zurechnungsunfähigkeit nach § 11 StGB verneinten die Laienrichter ebenfalls einstimmig.

Die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 6, 7 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der Fragenrüge (Z 6) bemängelt der Beschwerdeführer, dass keine Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) gestellt wurde.

Die Stellung einer Eventualfrage (§ 314 StPO) setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - unter anderem die dem Angeklagten angelastete Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte.

Die gegenüber Mord (§ 75 StGB) privilegierte Tötung eines Menschen in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung (§ 76 StGB) erfordert, dass der tiefgreifende und zur Tatzeit noch aktuelle Affekt für einen spontanen Tatentschluss (aber auch für die Spontaneität der Tatausführung) auch für einen Durchschnittsmenschen in dem Sinn verständlich ist, dass jener sich vorstellen kann, auch er geriete unter den gegebenen besonderen Umständen in eine solche Gemütsverfassung (SSt 46/49; JBl 1986, 261). Demnach unterliegt zwar nicht die Tat, wohl aber der konkrete Affekt des Täters in seiner ganzen Dimension - einschließlich seiner tatkausalen Heftigkeit - in Relation zum Anlass einer rechtsethischen Bewertung; insoweit muss er sittlich verständlich sein, um privilegierend iSd § 76 StGB zu wirken (Kienapfel BT I4 § 76 RN 29; JBl 1986, 261).

Die allgemeine Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung ist zu verneinen, wenn sie auf dem abnormen Persönlichkeitsbild des Angeklagten beruht (Kienapfel BT I4 § 76 RN 31; Foregger/Kodek StGB6 § 76 Anm I; ÖJZ-LSK 1978/199). Zwar ist Moos (in WK § 76 Rz 38) beizupflichten, dass nicht jede psychische Abnormität per se die allgemeine Begreiflichkeit ausschließt. Eine sittlich-rechtsethisch verständliche Affekthandlung kommt bei einer Psychopathie des Täters jedoch nur dann in Frage, wenn in der zur Tat führenden Ausgangssituation auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundender Mensch zwar von Art des Täters (Moos in WK § 76 Rz 34), jedoch ohne dessen psychopathischem Zustand in einen gleichgelagerten tiefgreifenden Affekt hätte geraten können (Moos in WK § 76 Rz 38).

Zum Nachweis von Umständen, die für den Fall ihres Zutreffens die Annahme von Tatsachen in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken, welche eine Änderung der Beurteilung der Tat im Sinne des § 314 Abs 1 StPO nach sich ziehen könnten, beruft sich die Beschwerde im Wesentlichen auf das Gutachten der beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen und die eigene Verantwortung des Angeklagten.

In der Hauptverhandlung führte der psychiatrische Sachverständige Prim. Dr. Kurt S***** aus, dass der Angeklagte an einer gemischten Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau leide, welche einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades entspreche (S 526/II). Ausgehend von einer beim Angeklagten vorliegenden depressiven Episode in der Ausprägung einer sogenannten "major-depression" (S 528 f/II), erwog der Sachverständige daraufhin einerseits jene Beweisergebnisse, wonach das Verhalten des Angeklagten einer eingeengten Realitätsbetrachtung in Form einer inhaltlichen Denkstörung - vergleichbar mit einem Wahn - entsprechen könnte, welche das Vorliegen einer Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt ausschließen würde (S 533/II), und andererseits jene Beweisergebnisse, die zwar einen Borderline-Ausnahmezustand untermauern, aber angesichts der exakten, detailgetreuen (und mit dem Akteninhalt im Einklang stehenden) Schilderung der Tathandlung durch den Angeklagten gegen ein massiv psychotisches und die Zurechnungsfähigkeit im Sinn des § 11 StGB aufhebendes Zustandsbild zum Tatzeitpunkt sprechen (S 534, 539, 540, 541 f und 543/II). Dabei kam er u.a. zum Schluss, dass der Angeklagte bei der Tatausführung eine aus der psychischen Abnormität resultierende aggressive Konfliktlösungsstrategie einsetzte (S 535/II).

Der zweite psychiatrische Sachverständige Dr. Herbert Sch***** schloss sich im wesentlichen den Auführungen des Vorgutachters an und hielt ergänzend fest, dass beim Beschwerdeführer eine Persönlichkeitsstörung, überwiegend vom Borderline-Typ, angereichert durch hysterische und andere Elemente vorlag, auf Grund welcher der Angeklagte zwar zurechnungs-, aber nur eingeschränkt dispositionsfähig war (S 551/II). Die Tötungshandlung selbst stammt - nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch***** - aus dieser schweren Persönlichkeitsstörung, wobei wahrscheinlich Reizworte des späteren Opfers ("ich geh' jetzt") ein in einem affektiv hochgespannten Zustand borderline-typisches und seiner abnormen Persönlichkeit entsprechendes aggressives und automatenhaft ablaufendes Handlungsmuster auslösten (S 554 f/II).

Schon daraus ergibt sich, dass ausschließlich die psychopathische Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und damit kein auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen von seiner Art sittlich verständlicher Vorgang tatauslösend war.

Aber auch die Verantwortung des Beschwerdeführers, wie die von ihm vorgebrachte panische Angst vor einem Alleinsein (S 381/II) und seine allgemeine extrem schlechte Befindlichkeit (S 389 f/II), bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass der tiefgreifende, tatauslösende Affekt des Angeklagten allgemein begreiflich gewesen wäre.

Damit bestand aber der Beschwerde zuwider keine Veranlassung für eine nach § 314 StPO gebotene Fragestellung in Richtung des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB.

Als Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 7 StPO behauptet der Beschwerdeführer eine Überschreitung der Anklage, weil der Verfolgungsantrag des öffentlichen Anklägers "lediglich" auf eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB zielte. Er übergeht dabei, dass der dem Unterbringungsantrag als Anlasstat zugrunde gelegte Sachverhalt (ON 63) ident ist mit jenem, welcher in der an die Geschworenen gerichteten und von den Laienrichtern auch stimmeneinhellig bejahten Hauptfrage umschrieben wurde, wobei der Schwurgerichtshof gemäß § 434 Abs 1 StPO nicht an den Unterbringungsantrag des öffentlichen Anklägers gebunden ist; dieser und die Anklageschrift stehen einander grundsätzlich gleich (Foregger/Kodek StPO7 § 434 Anm II; Mayerhofer StPO4 § 434 E 1). Im übrigen wurde die Problematik einer Bestrafung nach § 75 StGB anstelle einer Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB in der Hauptverhandlung ausdrücklich erörtert (S 560/II), wobei der öffentliche Ankläger - der Beschwerde zuwider - in seinem Schlussantrag auf eine Bestrafung des Angeklagten nach § 75 StGB und eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB plädierte (S 560/II).

In der Tatsachenrüge (Z 10a) bemängelt der Beschwerdeführer schließlich die Annahme der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten, welche nach seinen Darlegungen mit dem Inhalt der Gutachten der beiden psychiatrischen Sachverständigen nicht in Einklang zu bringen sei. Er lässt dabei die bereits zur Fragenrüge dargestellten und auf die im Vergleich zum Vorverfahren erweiterten Beweisergebnisse der Hauptverhandlung Bedacht nehmenden (vgl S 534, 543 f, 547) Erwägungen der Sachverständigen außer Acht, welche auf eine Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt hinwiesen. Mit seinen Einwendungen versucht der Beschwerdeführer lediglich die im Geschworenenverfahren unbekämpfbare Beweiswürdigung der Laienrichter unzulässigerweise in Frage zu stellen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von achtzehn Jahren und wies ihn nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Dabei wertete es die auf einer Persönlichkeitsabnormität beruhende eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit, das interpersonelle Spannungsverhältnis zwischen Mörder und Opfer sowie ein umfassendes, zur Wahrheitsfindung beitragendes Tatsachengeständnis und die Selbststellung des Angeklagten als mildernd; als erschwerend berücksichtigte es die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten und seine früheren, unangezeigt gebliebenen körperlichen Angriffe gegen Freundinnen und auch gegen das Opfer.

Die vom Angeklagten erhobene Berufung, mit der er ausschließlich das Ausmaß der Freiheitsstrafe bekämpft und deren Herabsetzung anstrebt, ist nicht berechtigt.

Der Berufung zuwider wurden die geltend gemachten besonderen Milderungsumstände vom Geschworenengericht ohnehin berücksichtigt, ihnen sowie auch den Erschwerungsgründen das entsprechende Gewicht beigemessen und mit der verhängten achtzehnjährigen Freiheitsstrafe eine der Tat- und der Persönlichkeitsschuld des Angeklagten angemessene Strafe gefundem, zu deren Ermäßigung der Oberste Gerichtshof keinen Anlass gefunden hat.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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