European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00106.22B.0124.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A), nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (B), nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (C) sowie der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 und 4 erster und zweiter Fall StGB „idF BGBl I 2017/117“ (D) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W* und an anderen Orten als Mitglied einer aus im angefochtenen Urteil teils namentlich genannten Personen bestehenden kriminellen Vereinigung, die darauf ausgerichtet war, dass von ihren Mitgliedern Verbrechen nach dem SMG sowie „fortgesetzte“ Geldwäscherei begangen würden,
A/ zur vorschriftswidrigen Erzeugung von Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch andere beigetragen, indem er unter anderem die für Anbau und Aufzucht von Cannabispflanzen benötigten Materialien und Stecklinge zur Verfügung stellte, und zwar
1/ von April bis Mai 2021 in G* 78.645 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz: 1.714,46 Gramm Delta-9-THC und 22.461 Gramm THCA);
2/ von Dezember 2020 bis Mai 2021 in W* 48.100 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz: 307,84 Gramm Delta-9-THC und 4.136,60 Gramm THCA);
3/ von April bis Mai 2021 in W* 61.000 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz: 219,6 Gramm Delta-9-THC und 2.867 Gramm THCA);
4/ von September 2020 bis April 2021 in W* 85.700 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz: 248,53 Gramm Delta-9-THC und 3.290,88 Gramm THCA);
B/ von 28. Jänner bis zum 5. Juni 2021 in zahlreichen, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt 139.060 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz: 403,27 Gramm Delta-9-THC und 5.339,9 Gramm THCA) und 32.297 Gramm Kokain (Reinsubstanz: 12.918,8 Gramm Cocain) durch im Urteil teils namentlich genannte Mittelsmänner („Verteiler“) teils namentlich bekannten, teils unbekannten Abnehmern verschafft;
C/ am 27. April 2021 eine unbekannte Person zur vorschriftswidrigen Ein- und Ausfuhr von Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 2.000 Gramm Kokain (Reinsubstanz: 1.400 Gramm Cocain), bestimmt, indem er ihn damit beauftragte, das Kokain von Österreich nach Kroatien zu schmuggeln;
D/ im April und im Mai 2021 wissentlich Vermögensbestandteile im 50.000 Euro übersteigenden Gesamtwert von 477.675 Euro, die aus nach dem SMG mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Handlungen stammten, an sich gebracht, besessen und Dritten übertragen, indem er in zehn, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) für abgesondert verfolgte Personen in arbeitsteiliger Vorgangsweise das Einsammeln von Erlösen aus (von den übrigen Punkten des Schuldspruchs nicht erfassten [US 15]) Suchtgiftgeschäften bei den Verkäufern organisierte und Abrechnungen durchführte, die Erlöse von den Verkäufern übernahm und zumindest zum Teil an andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung weiterleitete.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 1, 3 und 4 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
[4] Aus Z 1 kritisiert der Beschwerdeführer, Beratung und Abstimmung vor der Urteilsverkündung (vgl § 257 StPO) hätten nur 20 Minuten gedauert, weshalb davon auszugehen sei, dass der „nur zusammenfassend vorgetragene Akteninhalt“ dem „beisitzenden Richter sowie den zwei Laienrichtern“ nicht in „ausreichendem Umfang zur Kenntnis gebracht werden konnte“. Da Beratung und Abstimmung nicht zur Hauptverhandlung zählen (RIS-Justiz RS0119277; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 122), ist dieses Vorbringen schon im Ansatz verfehlt. Das Vorliegen einer Gesetzeslücke als Voraussetzung angestrebter analoger Anwendung dieses Nichtigkeitsgrundes behauptet die Rüge nicht. Im Übrigen erklärt sie nicht, weshalb dieser Umstand der von Z 1 erfassten Konstellation, dass nicht alle Richter der ganzen Verhandlung beiwohnten, (wie bloß behauptet) „gleichkommt“.
[5] Die Verfahrensrüge (Z 3) moniert das Vorkommen der Ergebnisse aus einer Überwachung der auf dem Mobiltelefon des Beschwerdeführers (vgl US 15 f) durchgeführten verschlüsselten Kommunikation in der Hauptverhandlung, die gemäß § 252 Abs 2a StPO „einverständlich zusammengefasst“ vorgetragen wurden (ON 74 S 9). Da die Sachverhaltsgrundlage der bekämpften prozessleitenden Verfügung vom Vorsitzenden (im Hauptverhandlungsprotokoll) nicht klargestellt wurde, geht der Oberste Gerichtshof bei Prüfung des Einwandes – in freier Beweiswürdigung aufgrund des Akteninhalts – von folgenden (prozessualen) Tatsachen aus (vgl RIS-Justiz RS0118977 [T14]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 46 und 51):
[6] Das US-amerikanische Federal Bureau of Investigations (kurz: FBI) nahm Kontakt mit einer Person auf, die eine Verschlüsselungssoftware („Anom‑App“) für Mobiltelefone entwickelt und bereits Erfahrung mit dem Vertrieb von ähnlichen, als „abhörsicher“ angepriesenen Mobiltelefonen an – insbesondere im Bereich des Suchtgifthandels – international agierende kriminelle Organisationen hatte. Diese Kontaktperson sagte zu, in Kooperation mit dem FBI, mit dieser Verschlüsselungssoftware versehene Mobiltelefone über das bestehende „Vertriebssystem“ an mutmaßliche Mitglieder krimineller Organisationen zu verkaufen. Die Verschlüsselungssoftware war mit einem sogenannten „Master Key“ ausgestattet, der es dem FBI – von den Nutzern unbemerkt – ermöglichte, die über diese Mobiltelefone abgewickelte Kommunikation „zu entschlüsseln und zu speichern, während sie übertragen wird“. Diese Software erlaubte die verschlüsselte Übermittlung von Text- und Audionachrichten sowie von Videos und Fotos an andere sogenannte „Anom-Handys“; Telefonieren und Surfen im Internet war nicht vorgesehen. In einer ersten Einsatzphase verdeckter Ermittlung (Operation „Trojan Shield“) wurden etwa 50 derartige Mobiltelefone über den erwähnten Vertriebsweg an Personen in Australien verkauft. Die – mit gerichtlicher Bewilligung durchgeführte – Überwachung der verschlüsselten Nachrichten ergab, dass 100 % dieser Geräte für kriminelle Aktivitäten (unter anderem Suchtgifthandel) verwendet worden waren. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wurden seit Herbst 2019 tausende solcher „Anom‑Handys“ weltweit auf die oben beschriebene Weise vertrieben und die Inhalte auf diesen Geräten abgewickelter verschlüsselter Kommunikation vom FBI (mit am Standort des sogenannten „iBot-Servers“ erwirkter gerichtlicher Bewilligung) überwacht, gespeichert und ausgewertet. Über die Nutzung solcher Mobiltelefone in Österreich informierten US-amerikanische Strafverfolgungsbehörden das Bundeskriminalamt und boten diesem in weiterer Folge an, Daten aus der Überwachung der Kommunikation für weitere Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. Nach Übermittlung, Übersetzung und Auswertung dieser Daten wurde unter anderem der Beschwerdeführer als Inhaber und Nutzer eines dieser Mobiltelefone ausgeforscht (zum Ganzen insbesondere ON 19 und 46; vgl auch US 15 f, 27). Der Schuldspruch stützt sich fast ausschließlich auf die Auswertung der dem Beschwerdeführer zugeordneten verschlüsselten Kommunikation (US 16 ff).
[7] Der Oberste Gerichtshof geht daher davon aus, dass die von der Verfahrensrüge thematisierte Ermittlungsmaßnahme (die Überwachung verschlüsselter Kommunikation) von ausländischen (US-amerikanischen) Strafverfolgungsbehörden ohne Ersuchen inländischer Strafverfolgungsbehörden durchgeführt wurde. Für die vom Beschwerdeführer unter Berufung auf eine Medieninformation des Bundeskriminalamts vom 1. Jänner 2022 gestützte Behauptung, dieses habe im Rahmen polizeilicher Kooperation nicht bloß die Übermittlung aus der Überwachungsmaßnahme bereits gewonnener Daten vereinbart, sondern diese erst veranlasst („mitgetragen bzw unterstützt“), liefern die Verfahrensergebnisse keinen Hinweis.
[8] Rechtlich folgt aus diesem Sachverhalt, dass es sich bei den in Rede stehenden Kommunikationsdaten nicht um Ergebnisse einer nach dem fünften Abschnitt des achten Hauptstücks der StPO durchgeführten Ermittlungsmaßnahme handelt. Das in § 140 Abs 1 StPO normierte, vom taxativen (RIS-Justiz RS0099118) Nichtigkeitsgrund der Z 3 abgesicherte Verwendungsverbot findet daher vorliegend keine Anwendung (RIS-Justiz RS0119110; jüngst 15 Os 11/22i [ebenfalls zur Verwendung von Ergebnissen einer Überwachung sogenannter „Anom-Handys“]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 182; vgl Reindl-Krauskopf, ebd § 140 Rz 30 f; vgl auch [mit eingehender Begründung zur Verwertbarkeit von Daten aus einer vergleichbaren Überwachung verschlüsselter Mobiltelefone durch ausländische Strafverfolgungsbehörden nach deutschem Recht] BGH 5 StR 457/21).
[9] Die Verfahrensrüge bleibt auch erfolglos, soweit sie das Vorkommen dieser Beweisergebnisse in der Hauptverhandlung unter dem Aspekt der Z 4 bekämpft. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung, dass sich ein Angeklagter gegen eine – nicht unter ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion stehende – Beweisverwendung durch eine auf die Sicherung eines fairen Verfahrens im Sinn des Art 6 MRK abzielende (im Rechtsmittelverfahren aus dem Grund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO durchsetzbare) Antragstellung wehren kann (erneut RIS-Justiz RS0119110). Der Erfolg einer solchen Rüge setzt jedoch einerseits die Argumentation voraus, dass der ins Treffen geführte Gesetzesverstoß jenen annähernd gleichwertig ist, an welche das Gesetz ausdrücklich eine Beweisverbotskonsequenz knüpft (RIS-Justiz RS0124168, RS0125172; Kirchbacher/Sadoghi, WK-StPO § 245 Rz 75 und § 246 Rz 163; Ratz, ebd § 281 Rz 337). Andererseits muss ein darauf gerichteter (in der Hauptverhandlung gestellter) Antrag allgemeinen Begründungserfordernissen entsprechen, also ein Vorbringen enthalten, zu welchem Zweck die beantragte Verfügung begehrt wird, warum diese zum angestrebten Zweck tauglich ist und weshalb dieser mit einer (Fall-)Norm in Verbindung steht, die ihrerseits aus dem (rechtlichen) Zweck der Absicherung eines fairen Verfahrens zur Feststellung der entscheidenden Tatsachen auf die konkrete Verfahrenssituation hin gebildet wurde (13 Os 91/21p; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 333 ff; allgemein RIS-Justiz RS0130796). Diesen Anforderungen wird die (alleinige) Äußerung des Verteidigers in der Hauptverhandlung, er spreche „sich gegen die Verlesung des Akteninhaltes aus, weil dieser auf rechtswidriger Aktenbeweiswürdigung beruht“ (ON 74 S 9), nicht ansatzweise gerecht, zumal sie sich nicht einmal auf bestimmte Aktenteile bezieht (vgl im Übrigen § 252 Abs 2 StPO) sowie Art und Weise der Beweisgewinnung durch das FBI zuvor in der Hauptverhandlung von der Verteidigung nicht problematisiert wurde und (rechtliche) Argumente erst in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragen wurden (vgl aber RIS‑Justiz RS0099618).
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[11] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
[12] Dieses wird dabei zu beachten haben, dass dem Erstgericht zu Punkt D/ des Schuldspruchs ein Subsumtionsfehler (Z 10) unterlaufen ist. Beim Günstigkeitsvergleich (§ 61 zweiter Satz StGB) sind nämlich stets die auf Basis des Urteilssachverhalts konkret anzuwendenden Strafgesetze (einschließlich allfälliger Qualifikationstatbestände) in den Blick zu nehmen (RIS‑Justiz RS0133827). Da die Strafdrohung des (hier jeweils begründeten) § 165 Abs 4 StGB nach Tatzeit- (BGBl I 2017/117) wie nach Urteilszeitrecht (BGBl I 2021/159) gleich war, kommt es – entgegen der im Urteil vertretenen Ansicht (US 26) – auf die nach Tatzeitrecht niedrigere Strafdrohung im Grundtatbestand (hier: § 165 Abs 2 iVm Abs 1 StGB) nicht an. Da sich der Subsumtionsfehler weder auf den angewendeten Strafrahmen noch sonst konkret zum Nachteil des Angeklagten auswirkte, sah sich der Oberste Gerichtshof nicht zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) veranlasst (RIS-Justiz RS0100259). Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS-Justiz RS0118870).
[13] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)