OGH 14Ob144/86

OGH14Ob144/8616.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuderna und Dr.Gamerith, sowie die Beisitzer Dr.Robert Müller und Dr.Gerald Mezricky als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter T***, Arbeiter, Dornbirn, Weizeneggerstaße 5, vertreten durch Dr.Helmuth Mäser, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei F*** Blitzschutz Gesellschaft mbH in Dornbirn, Grändelweg 6, vertreten durch Dr.Walter Derganz, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen S 38.810,90 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27.Mai 1986, GZ. Cga 16/86-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 1.März 1986, GZ. Cr 43/84-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 257,25 USt.) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 26.3.1980 bis zu seiner Entlassung am 29.8.1983 bei der beklagten Partei als Blitzschutzmonteur beschäftigt. Geschäftsführender Gesellschafter der beklagten Partei war bis 1.11.1982 Reinhard W***. An diesem Tag übernahmen die Ehegatten Reinhard und Monika R*** das Unternehmen. Reinhard R*** war bis Jänner 1985 handelsrechtlicher Geschäftsführer der beklagten Partei.

Der Kläger behauptet, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein, und begehrt von der beklagten Partei zuletzt folgende der Höhe nach außer Streit stehende Beträge:

  1. 1.) Kündigungsentschädigung bis 12.9.

1983 S 5.769,50

2.) restliches Weihnachtsgeld S 4.262,50

3.) restliche Urlaubsentschädigung S 3.979,60

4.) Abfertigung S 23.949,30

sowie eine der Höhe nach strittige

5.) "Überzeitprämie" von S 850,00

zusammen S 38.810,90 sA.

Die beklagte Partei beantragte die Weisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger sei gerechtfertigt entlassen worden. Es habe mit ihm schon längere Zeit Probleme gegeben, weil er in Anwesenheit anderer Arbeiter erklärt habe, daß Reinhard R*** von der Montage von Blitzschutzanlagen nichts verstehe. Unmittelbarer Anlaß für seine Entlassung sei jedoch gewesen, daß er sich am 29.8.1983 trotz mehrmaliger Aufforderung durch den Geschäftsführer der beklagten Partei auch nach Androhung der Entlassung geweigert habe, dessen Büro zu verlassen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit der Begründung statt, daß die Weigerung des Klägers, das Büro der beklagten Partei zu verlassen, keinen Entlassungsgrund bilde.

Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und bestätigte das Ersturteil. Es ging hiebei von folgendem - die erstgerichtlichen Feststellungen im wesenltichen nur ergänzenden - Sachverhalt aus:

Schon kurze Zeit nach Übernahme des beklagten Unternehmens durch Reinhard R*** kam es zwischen diesem und dem Kläger zu Meinungsverschiedenheiten, weil der Kläger und andere Arbeitnehmer die Auffassung vertraten, die von Reinhard R*** gegebenen Anweisungen seien nicht fachgerecht. Es kam auch vor, daß sich die Arbeitnehmer über diese Anordnungen lustig machten. Der frühere Inhaber der beklagten Partei hatte dem Kläger meistens eine monatliche Prämie von S 1.000,-- bezahlt. Reinhard R*** erfuhr davon und bezahlte diese Prämie zunächst weiter. Als er zu Beginn des Sommers 1983 die Prämie nicht mehr am Ersten eines jeden Monats bezahlte, kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Kläger. Dieser rief am 24.8.1983 bei Reinhard R*** an und forderte die Prämie für Juli. Reinhard R*** erwiderte, er habe momentan das Geld nicht, der Kläger müsse sich gedulden. Da Reinhard R*** "über das Verhalten des Klägers" ungehalten war, sagte er zu ihm am 25.8.1983, der Kläger möge "sein Verhalten überdenken"; er werde ihn am 29.8.1983 vormittags anrufen, um zu klären, ob eine Weiterbeschäftigung bei der beklagten Partei in Frage komme. Am darauffolgenden Tag (26.8.1983) begegnete dem Kläger ein Firmenbus der beklagten Partei. Der Kläger bemerkte dabei, daß in diesem Bus der bisher nicht bei der beklagten Partei beschäftigt gewesene Reinhard B*** mitfuhr. Der Kläger fürchtete daraufhin um seinen Arbeitsplatz, wurde sehr nervös und verursachte am selben Vormittag einen Verkehrsunfall.

Am Montag dem 29.8.1983 wartete der Kläger den von Reinhard R*** angekündigten Anruf nicht ab, sondern begab sich in Arbeitskleidung zur beklagten Partei, um Klarheit über seine Weiterbeschäftigung zu erhalten. Reinhard R*** fragte den Beklagten, was er hier mache. Er habe ihm doch gesagt, daß er den Kläger anrufen werde. Reinhard R*** forderte den Kläger auf, nach Hause zu gehen und auf das Telefonat zu warten. Der Kläger war durch die Anwesenheit des Reinhard B*** verunsichert und bat Reinhard R***, ihm doch mitzuteilen, ob er bei der beklagten Partei weiterhin arbeiten könne. Reinhard R*** erwiderte erneut, der Kläger möge nach Hause gehen, er werde Bescheid bekommen, ob er weiterarbeiten könne. Reinhard R*** forderte den Kläger mehrmals auf, das Büro zu verlassen, drohte, die Gendarmerie zu holen, und sprach infolge anhaltender Weigerung des Beklagten die vorher angedrohte fristlose Entlassung aus.

Ende Juli 1983 sicherte Reinhard R*** den Monteuren ab der zehnten Arbeitsstunde pro Tag einen Zuschlag von S 50,-- zu. Der Kläger leistete im Juli und August 1983 insgesamt über 20 derartige zuschlagspflichtige Überstunden.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß unter den Tatbestand des § 82 lit f zweiter Fall GewO 1859 auch die Nichtbefolgung einer durch den Gegenstand der Arbeitsleistung und die Besonderheit des Betriebes gerechtfertigten Anordnung des Dienstgebers falle. Die Anordnung des Reinhard R***, das Büro der beklagten Partei zu verlassen, sei berechtigt gewesen. Das Verhalten des Klägers komme (objektiv) einer beharrlichen Pflichtenverletzung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nahe, sei aber nicht schuldhaft, weil sich der Kläger dazu nur aus Unruhe über den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes habe hinreißen lassen. Die psychische Verfassung des Klägers entschuldige sein Verhalten gerade noch, habe ihn doch die beklagte Partei mehr als vier Tage über sein Schicksal im Unternehmen im Unklaren gelassen. Den vom Kläger (wie auch von anderen Arbeitnehmern) geäußerten Zweifeln an der fachlichen Qualifikation des Reinhard R*** komme nicht das Gewicht des Entlassungsgrundes der groben Ehrenbeleidigung nach § 82 lit g erster Fall GewO 1859 zu; zudem sei dieser Entlassungsgrund nicht unverzüglich geltend gemacht worden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Gemäß § 82 lit f zweiter Fall GewO 1859 - die Bestimmung wurde durch § 376 Z 47 GewO 1973 aufrechterhalten - kann ein "Hilfsarbeiter" vor Ablauf der ausdrücklich oder stillschweigend bedungenen Dauer des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung sofort entlassen werden, wenn er seine Pflichten beharrlich vernachlässigt.

Darunter ist die Nichterfüllung der den Dienstnehmer aus dem

Dienstvertrag, der Arbeitsordnung, dem Kollektivvertrag oder Gesetz

treffenden, mit der Ausübung des Dienstes verbundenen Pflichten zu

verstehen. Dazu gehört auch die Nichtbefolgung einer durch den

Gegenstand der Arbeitsleistung und die Besonderheit des Betriebes

gerechtfertigten Anordnung des Dienstgebers (Kuderna,

Entlassungsrecht 71; Arb.10.222 ua). Eine solche Anordnung kann sich

auch auf das Verhalten des Dienstnehmers im Betrieb erstrecken,

nicht jedoch auf dessen Privatsphäre (Kuderna aaO 71 f).

Der Geschäftsführer der beklagten Partei hat den Kläger am

25.8.1983 - wie es die Revisionswerberin in der Berufung selbst

ausdrückte - "zwangsbeurlaubt" und dies mit der unklaren

Aufforderung verbunden, "der Kläger möge sein Verhalten überdenken", Reinhad R*** werde ihn am 29.8.1983 vormittags anrufen, um zu klären, ob eine Weiterbeschäftigung bei der beklagten Partei in Frage komme. Dem Kläger war damit eine mögliche Auflösung seines Dienstverhältnisses angekündigt worden, so daß er, als er auch noch einen bisher nicht bei der beklagten Partei Beschäftigten in einem Firmenbus mitfahren sah, in begreiflicher Sorge über das Weiterbestehen seines Arbeitsverhältnisses geriet. Was der Kläger während des "Zwangsurlaubs" hätte tun sollen, um die beklagte Partei umzustimmen, blieb unklar. Die beklagte Partei hat nicht vorgebracht, welchem Zweck die Überlegungsfrist, die sie sich vorbehalten hatte, dienen sollte; sie behauptete insbesondere nicht, die Aufforderung an den Kläger, "sein Verhalten zu überdenken", mit dem Verlangen nach einer Entschuldigung (etwa weil sich der Kläger sowie andere Arbeitnehmer über die Anordnungen des Geschäftsführers lustig gemacht hatte) verbunden zu haben. Unmittelbarer Anlaß der "Zwangsbeurlaubung" waren nach dem Vorbringen der beklagten Partei auch nicht die vom Kläger (und anderen Arbeitnehmern) schon bald nach der Betriebsübernahme durch die Ehegatten R*** geäußerten Zweifel über die fachliche Qualifikation des neuen Geschäftsführers der beklagten Partei (die, soweit sie sich nicht unmittelbar vor der "Zwangsbeurlaubung" ereignet hätten, nicht mehr als Entlassungsgrund geltend gemacht werden könnten), sondern das Drängen des Klägers am 24.8.1983 (und 25.8.1983), ihm die Juliprämie von S 1.000,-- auszuzahlen. Daß der Kläger dabei ehrverletzende Bemerkungen gemacht hätte, ist nicht erwiesen.

Wenn es auch grundsätzlich im Belieben des Arbeitgebers (bzw. des Arbeitnehmers) steht, den Zeitpunkt zu dem er die Auflösung des Vertrages erklären will, frei zu bestimmen, so kann sich in besonderen Fällen aus dem das gesamte Vertragsrecht beherrschenden Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme doch die Verpflichtung ergeben, sich zu einer dem anderen Vertragspartner bereits angekündigten, aber in Schwebe gelassenen Vertragsauflösungsabsicht über dessen Aufforderung zu erklären. Ein solcher Fall liegt hier vor: Der Geschäftsführer der beklagten Partei hatte den Kläger "zwangsbeurlaubt", hiebei Zweifel, ob er ihn weiterbeschäftigen werde, ausgesprochen und - nach seiner eigenen Parteiaussage - einen allenfalls als Ersatz für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitnehmer für den 29.8.1983 einberufen. In dieser Lage war der Kläger berechtigt, vom Geschäftsführer der beklagten Partei eine unverzügliche Erklärung darüber zu fordern, ob er ihn weiter zu beschäftigen gedenke oder nicht. Ein sachlicher Grund für die Aufrechterhaltung des vom Dienstgeber geschaffenen Schwebezustandes der "Zwangsbeurlaubung" bestand nicht.

Der Kläger durfte freilich den Anspruch, daß ihn die beklagte Partei nicht weiter im Unklaren lasse, nicht durch Mißachtung berechtigter Anordnungen des Dienstgebers durchzusetzen versuchen. Der Geschäftsführer der beklagten Partei war nämlich - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte - berechtigt, den Beklagten zum Verlassen des Büros aufzufordern, damit er die Arbeitseinteilung mit den anderen Arbeitnehmern ungestört durchführen könne. Die beharrliche Weigerung des Klägers, das Büro der beklagten Partei vor Abgabe einer Erklärung über das Weiterbestehen seines Dienstverhältnisses zu verlassen, ist aber entschuldbar, weil er damit nur einen ihm tatsächlich zustehenden Anspruch wenn auch mit unangemessenen, aber immerhin noch vertretbaren Mittel verfolgte und wegen des drohenden Verlustes seines Arbeitsplatzes in einem begreiflichen Erregungszustand war, in dem er sich zu einer Widersetzlichkeit gegen den Arbeitgeber hinreißen ließ. Der Geschäftsführer der beklagten Partei hat an der Eskalation des Konfliktes mit dem Kläger selbst Anteil, weil er auf dessen Bitte, ihm mitzuteilen, ob er für die beklagte Partei weiterhin arbeiten könne, erwiderte, der Kläger solle nach Hause gehen und werde Bescheid bekommen. Es war dem Geschäftsführer zumutbar, sich entweder sofort zu äußern, oder doch dem Kläger einen ehestmöglichen persönlichen Besprechungstermin unter vier Augen (nach Durchführung der Arbeitseinteilung mit den übrigen Arbeitnehmern) anzubieten. Selbst wenn sich der Kläger unmittelbar vor seiner Zwangsbeurlaubung über den Geschäftsführer der beklagten Partei wegen mangelnder Fachkenntnisse lustig gemacht hätte, hätte sie unverzüglich die Entlassung des Klägers aussprechen oder mit der Aufforderung, sich zu entschuldigen, androhen müssen. Der Entlassungsgrund der groben Ehrenbeleidigung kann schon aus diesem Grund nicht erfolgreich geltend gemacht werden.

Zur Frage der entlassungsunabhängigen "Überzeitprämie" von S 850,-- wurde die Revision nicht ausgeführt.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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