Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Zwischenurteil wiederhergestellt wird. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 8.977,25 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin sind 771,75 S an Umsatzsteuer und 488 S an Barauslagen enthalten) sowie die mit 21.150,97 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind 1.813,72 S an Umsatzsteuer und 1.200 S an Barauslagen enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger begehren vom Beklagten die Zahlung von im einzelnen näher aufgeschlüsselten Beträgen für Wegzeiten. Sie vertreten die Auffassung, ein Anspruch auf Vergütung "der Wegzeit vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle vor und nach Schluß der Arbeitszeit" nach dem § 11 des Kollektivvertrages für das Tapezierergewerbe (KV) stehe ihnen ohne Rücksicht darauf zu, ob sie diesen Weg tatsächlich zurückgelegt haben oder ob sie sich unmittelbar von ihrer Wohnung zur Arbeitsstelle bzw. von der Arbeitsstelle unmittelbar zu ihrer Wohnung begeben haben. Die zitierte Bestimmung des Kollektivvertrages sei abstrakt und ermögliche nur die Ermittlung einer kalkulatorischen Größe zum Zwecke der Verrechnung dem Kunden gegenüber. Die Wegzeitvergütung gebühre jedem Arbeitnehmer, der an einer auswärtigen Arbeitsstelle arbeite.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Er vertritt die Auffassung, die Wegzeitvergütung stehe dem Arbeitnehmer nur dann zu, wenn dieser tatsächlich den Weg vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle zurückgelegt habe. Der Beklagte stellte vor dem Erstgericht den Zwischenantrag, es werde festgestellt, daß die Kläger nach dem § 11 KV nur dann Anspruch auf Bezahlung der Wegzeit vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle vor und nach Schluß der Arbeitszeit nach dem einfachen Stundenlohn haben, wenn sie den Weg vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle auch tatsächlich zurückgelegt haben.
Das Erstgericht gab diesem Zwischenfeststellungsantrag statt und schloß sich der Auffassung des Beklagten an.
Das Berufungsgericht, das das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durchführte, änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es den Zwischenfeststellungsantrag abwies. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes 2.000 S übersteigt. Da die Kollektivvertragsparteien den Anspruch auf Wegzeitvergütung nicht etwa durch Einfügung des Wortes "nur" von der tatsächlichen Zurücklegung des Weges abhängig gemacht haben, sei der Schluß auf das Nichtbestehen dieses Anspruches für den Fall, daß der Weg nicht tatsächlich zurückgelegt worden sei, unzulässig. Eine solche Auslegung wäre auch "nicht praktikabel", weil die Arbeitnehmer sonst veranlaßt werden könnten, vor dem Aufsuchen der Arbeitsstelle sich am ständigen Arbeitsplatz einzufinden und sich von dort zur Arbeitsstelle zu begeben. Dies wäre aber mit einem Mehraufwand an Zeit verbunden. Der Sinn der Bestimmung des § 11 KV bestehe darin, dem Arbeitnehmer einen Mehraufwand an Zeit zu vergüten, der dadurch entstehe, daß die Arbeitsstelle weiter von seinem Wohnort entfernt sei als der Sitz des Arbeitgebers. Gegen diese Entscheidung richtet sich die nur aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteils abzielenden Abänderungsantrag.
Die Kläger beantragten, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Bei der nach den §§ 6, 7 ABGB vorzunehmenden Auslegung des § 11 KV (siehe dazu Kuderna, DRdA 1975, 161 ff, mwH; zuletzt etwa 4 Ob 166/85) ist, wie auch der Revisionswerber einräumt, davon auszugehen, daß die Zeit, die der Arbeitnehmer auf dem Weg zu und von der Arbeit verbringt, grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen ist. Ob und inwieweit solche Zeiten zu vergüten sind, hängt von einzelvertraglichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen ab (Arb. 8910). Auf einer derartigen kollektivvertraglichen Vereinbarung beruht hier der § 11 KV. Danach hat der Arbeitnehmer "Anspruch auf Bezahlung der Wegzeit vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle vor und nach Schluß der Arbeitszeit nach dem einfachen Stundenlohn. Die Wegzeit kann durch Bezahlung der Fahrtspesen oder durch Beistellung einer Fahrgelegenheit entsprechend herabgemindert werden."
Diese Bestimmung regelt sohin nur die Vergütung für Wegzeiten, die außerhalb der Arbeitszeit liegen. Wegzeiten, die innerhalb der Arbeitszeit anfallen, werden als normale Arbeitszeit vergütet. Für die von den Klägern vertretene Auffassung bietet weder der Wortlaut noch der Zweck der Norm eine Stütze. Der Sinn dieser Bestimmung besteht darin, dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgelt für Zeiten zu verschaffen, die nicht in die Arbeitszeit fallen und für die er mangels einer Rechtsgrundlage keinen Entgeltanspruch hätte, die aber seine außerhalb der Arbeitszeit liegende Freizeit im Interesse des Arbeitgebers einschränken. Das ist nach dem Inhalt dieser Bestimmung dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit den Weg vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle (oder umgekehrt) zurücklegen muß, etwa um Arbeitsgerät oder -material zu transportieren. Ob der Weg von seinem Wohnort zur Arbeitsstelle länger ist als der - grundsätzlich nicht zu vergütende - Weg zum ständigen Arbeitsplatz, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, weil dieser Umstand im Wortlaut des § 11 KV keine Berücksichtigung findet und der Weg genau so gut kürzer sein kann, sodaß auch eine am Normzweck orientierte Auslegung zu keinem anderen Ergebnis führt. Daß sich solche Zeitunterschiede, insgesamt und für den Arbeitsort Wien gesehen, ungefähr ausgleichen, wird von den Klägern zugestanden. Die Revisionswerber räumen in ihren Rechtsmittelausführungen sogar ein, daß weder die Wortinterpretation noch die grammatikalische Auslegung das von ihnen angestrebte Ergebnis ermöglicht. Ihren Ausführungen zur historischen Auslegung fehlt aber die Berechtigung, weil sie zu einem für eine andere Branche geltenden Kollektivvertrag vorgetragen werden, nicht zwingend sind und in der anzuwendenden Norm keinen erkennbaren Ausdruck finden. Den Ausführungen des Berufungsgerichtes über die fehlende Praktikabilität der vom Beklagten vorgenommenen Auslegung ist entgegenzuhalten, daß es keineswegs den Arbeitnehmern überlassen ist, ob sie die Arbeit an der Arbeitsstelle unmittelbar von ihrem Wohnort aus antreten oder ob sie sich vorher am ständigen Arbeitsplatz einfinden und von hier aus die Arbeitsstelle aufsuchen. Diese Regelung bleibt vielmehr dem Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts vorbehalten. Die Auslegung des Berufungsgerichts würde auch nicht nur diejenigen Arbeitnehmer bevorzugen, die von ihrem Wohnort gesehen weiter als am ständigen Arbeitsplatz eingesetzt werden, sondern auch jene, die sich dadurch eine Wegzeit ersparen.
Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß die Bestimmung des § 11 KV an dem allgemeinen Grundsatz nichts ändert, wonach die Zeit, die der Arbeitnehmer von seinem Wohnort zur Arbeitsstelle zurücklegt, mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht als Arbeitszeit zu beurteilen und daher nicht zu vergüten ist. Die Vergütung für eine Wegzeit vom ständigen Arbeitsplatz zur Arbeitsstelle vor und nach Schluß der Arbeitszeit setzt daher - jedenfalls für den Arbeitsort Wien - nach dem § 11 KV voraus, daß der Arbeitnehmer diesen Weg tatsächlich zurückgelegt hat. Da der Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten somit berechtigt ist, war der Revision Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteils wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41, 50 und 52 Abs 2 und § 393 Abs 4 ZPO begründet (Fasching, Komm. II 364).
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