Spruch:
Die Akten werden dem Oberlandesgericht Wien mit dem Auftrag zurückgeleitet, vorerst über die in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Einspruchsgründe zu befinden.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
In einer im Verfahren AZ 143 Hv 108/10s des Landesgerichts für Strafsachen Wien eingebrachten Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft Wien unter anderem dem angeblich am 15. Dezember 1992 geborenen Igor T***** ein als Verbrechen des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 und 2, 130 vierter Fall StGB und als Vergehen der Annahme, der Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 48). Ein Einspruch der Angeklagten dagegen liegt nicht vor.
Nach Zustellung der Anklageschrift erfolgte seitens der Bundespolizeidirektion Wien die Verständigung, dass laut Schreiben der Interpol Chisinau die wahre Identität des Igor T***** „Serghei N*****, geboren am 29. 9. 1989“, laute und „eine Umspeicherung im EKIS“ bereits veranlasst worden sei (ON 53).
Die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts traf daraufhin die Verfügung: „Aktendeckel u. Reg. berichtigen: Angekl. Igor T*****, geb. 15. 12. 1992 = tats. Serghei N*****, geb. 29. 9. 1989 in Pascani/Moldawien“ und legte den Akt wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit gemäß § 213 Abs 6 (zu ergänzen: zweiter und dritter Satz) StPO dem Oberlandesgericht Wien vor (ON 1 S 27). Von diesem wurde der Akt - nach Einholung einer Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien - gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz (iVm § 213 Abs 6 dritter Satz) StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.
Hat das von der Staatsanwaltschaft angerufene Gericht Bedenken gegen seine Zuständigkeit, hat es dies dem Oberlandesgericht unter Angabe der Gründe mitzuteilen, und zwar auch dann, wenn ein Einspruch nicht erhoben wurde (§ 213 Abs 6 zweiter Satz StPO).
Da für ein solches Begehren die Vorschriften über den Einspruch sinngemäß gelten (§ 213 Abs 6 dritter Satz StPO), hat das dem angerufenen Gericht übergeordnete Oberlandesgericht nach der von § 215 StPO vorgegebenen Systematik vor einem Ausspruch nach § 215 Abs 4 erster Satz StPO oder Vorlage nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO stets zu prüfen, ob nicht einer der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Mängel der Anklageschrift vorliegt.
Erst wenn diese Prüfung mit negativem Ergebnis abgeschlossen ist, kommt demnach eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Betracht (RIS-Justiz RS0124585). Da eine Prüfung der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Einspruchsgründe durch das Oberlandesgericht Wien bislang nicht erfolgte, waren diesem die Akten mit entsprechendem Auftrag zurückzuleiten.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, in welchem Alter der Angeklagte die Tat begangen hat (oder haben soll) oder wie alt er im Zeitpunkt bestimmter Verfahrensschritte ist, vom jeweiligen Entscheidungsträger nach Würdigung der vorliegenden Beweise - ohne Bindung nachfolgend entscheidender Justizorgane entschieden werden muss (vgl Schroll in WK² JGG § 1 Rz 8 f). Demnach wird vom Oberlandesgericht Wien unter Berücksichtigung des Umstands, dass aus dem Bericht ON 53 nicht hervorgeht, aufgrund welcher erkennungsdienstlicher Daten von einer Identität der Personen ausgegangen wird, Igor T***** (alias Serghei N*****) bisher mit dem Inhalt des Berichts nicht konfrontiert und außerdem mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. September 2009, AZ 163 Hv 82/09p (ON 6 S 39), als Jugendlicher verurteilt worden ist, zu beurteilen sein, ob eine Anklage wegen einer Jugendstraftat vorliegt.
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