OGH 14Ns28/24i

OGH14Ns28/24i19.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Loibl LL.M. (WU), BSc in der Strafsache gegen * L* wegen Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 17 U 102/24t des Bezirksgerichts Klagenfurt, über den Kompetenzkonflikt zwischen diesem Gericht und dem Bezirksgericht Innsbruck nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140NS00028.24I.0619.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Das Hauptverfahren ist vom Bezirksgericht Innsbruck zu führen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Mit beim Bezirksgericht Innsbruck am 27. September 2011 zu AZ 9 U 404/11s (nunmehr AZ 10 U 221/20z) eingebrachtem Strafantrag legte die Staatsanwaltschaft * L* ein am 29. Juli 2011 in Innsbruck begangenes, als Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB beurteiltes sowie ein am 27. Juni 2011 in Klagenfurt und am 29. Juli 2011 in Innsbruck begangenes, als das Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 6 iVm ON 1 S 1).

[2] Das Bezirksgericht Innsbruck veranlasste mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 die Übersetzung und Abfertigung eines Rechtshilfeersuchens (ON 1 S 2) sowie am 9. November 2011 die Ausschreibung des Genannten zur Aufenthaltsermittlung im Inland und brach das Verfahren sodann gemäß § 197 Abs 1 StPO ab (ON 1 S 3 und ON 12 f).

[3] In dieses Hauptverfahren wurden im weiteren Verlauf mehrere (ausschließlich) gegen den Angeklagten L* geführte Verfahren einbezogen (ON 1 S 3 bis 7), in denen dem Angeklagten weiteres zwischen 20. Oktober 2023 und 15. Jänner 2024 gesetztes, als in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallende Vergehen beurteiltes Verhalten zur Last gelegt wird.

[4] Am 7. März 2024 erklärte sich das Bezirksgericht Innsbruck mit „Beschluss“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0129801 [T2] und RS0123445 [T5]) zur Führung des Hauptverfahrens für unzuständig und überwies die Akten dem Bezirksgericht Klagenfurt mit der Begründung, dass die „gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründende“ (zeitlich) erste dem Angeklagten vorgeworfene Tat im Sprengel des Bezirksgerichts Klagenfurt begangen worden sei (ON 1 S 9).

[5] Nachdem sich das Bezirksgericht Klagenfurt unter Hinweis auf § 37 Abs 3 StPO ebenfalls für unzuständig hielt, legte esdie Akten gemäß § 38 StPO dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor (ON 47).

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[6] Primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren gegen einen (wie hier) Erwachsenen ist gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO der Ort, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte.

[7] Werden in bezirksgerichtlichen Verfahren nacheinander mehrere Anklagen in Bezug auf (hier:) subjektiv konnexe Straftaten erhoben, sind die Verfahren – im Fall der Rechtswirksamkeit der Anklagen und gleichzeitiger Anhängigkeit der Hauptverfahren – gemäß § 37 Abs 3 StPO (zur Anwendbarkeit im gegenständlichen Fall vgl § 514 Abs 35 StPO) nach Maßgabe des § 37 Abs 2 erster Satz oder Abs 3 zweiter Halbsatz StPO zu verbinden (vgl RIS‑Justiz RS0123444; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 7, 7/1 und 7/3; Bauer, WK‑StPO § 450 Rz 9). Damit kommt (soweit gegenständlich relevant) die Verfahrensverbindung unter Gerichten gleicher Ordnung primär jenem mit Sonderzuständigkeit zu, im Übrigen ist aber unter gleichrangigen Gerichten (anders als bei § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO) nicht die frühere Straftat entscheidend, sondern kommt das Verfahren dem Gericht zu, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO).

[8] Rechtswirksamkeit einer Anklage liegt im Verfahren vor dem Bezirksgericht vor, wenn das angerufene Bezirksgericht die Hauptverhandlung anordnet (vgl § 450 StPO). Als „Anordnung der Hauptverhandlung“ (und solcherart Bejahung der Prozessvoraussetzungen) ist aber nicht nur die (erstmalige) Ausschreibung derselben (vgl § 221 Abs 1 [iVm § 447] StPO), sondern jedes Treffen einer Verfügung oder Fassen eines Beschlusses anzusehen, welches das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen nicht infrage stellt (RIS-Justiz RS0132157 [T1, T2]; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 4 und 9; zur Rechtswirksamkeit von Strafanträgen in Verfahren vor dem Bezirksgericht vgl auch 11 Ns 35/18p und 14 Ns 29/19d).

[9] Vorliegend wurde der beim Bezirksgericht Innsbruck am 27. September 2011 eingebrachte Strafantrag durch die eingangs genannten, die Prozessvoraussetzungen implizit bejahenden Verfügungen des Bezirksgerichts Innsbruck zuerst rechtswirksam. Das Hauptverfahren gegen L* ist daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahmeder Generalprokuratur – vom Bezirksgericht Innsbruck zu führen.

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