OGH 13Os98/13f

OGH13Os98/13f21.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Februar 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sattlberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Marco F***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Marco F***** und Sahin A***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. Juni 2013, GZ 11 Hv 44/13a‑86, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Sahin A***** wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im diesen Angeklagten betreffenden Schuldspruch C/I/1 und demzufolge in dem ihn betreffenden Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten zurückgewiesen.

Auf diese Entscheidung werden Sahin A***** mit seiner Berufung und die Staatsanwaltschaft mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Marco F***** wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die diesen Angeklagten betreffenden Berufungen werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Marco F***** und Sahin A***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche des Angeklagten Stefan W***** (B) und einen verfehlt in Beschluss‑ statt in Urteilsform ergangenen Verfolgungsvorbehalt nach § 263 Abs 2 StPO (RIS‑Justiz RS0102875; Lewisch, WK‑StPO § 263 Rz 96) enthält, wurden Marco F***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/I/1) und der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz (erster und zweiter Fall) SMG (A/I/2), des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (A/I/3), des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen (nach § 30 Abs 1 erster, zweiter und achter Fall SMG) (A/II), des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (A/III/1) sowie der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (A/III/2) und Sahin A***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter (und sechster) Fall, Abs 4 Z 3 SMG (C/I/1) sowie der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz (erster und zweiter Fall je) SMG (C/I/2), des Handels mit psychotropen Stoffen nach § 31a Abs 1 (fünfter Fall) SMG (C/II/1) und des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (C/II/2) schuldig erkannt.

Danach haben

(A) Marco F***** in Graz

(I) vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar

(1) in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er (a) von Herbst 2010 bis 11. Jänner 2013 6.354 Stück „Substitol200“-Kapseln (Wirkstoff Morphinsulfat‑Pentanhydrat) und (b) zwischen März 2012 und 11. März 2013 14 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgrad von 20 % an im Urteil bezeichnete Abnehmer übergab;

(2) am 11. Jänner 2013 in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen, nämlich zehn Gramm Kokain, 30 Gramm Haschisch und 111 Stück „Substitol200“‑Kapseln;

(3) zwischen Anfang 2011 und 11. Jänner 2013 erworben und besessen, indem er von im Urteil bezeichneten Lieferanten 1.920 Stück „Substitol200“‑Kapseln, acht „Substitol120“‑Kapseln, 0,9 Gramm Cannabiskraut und einen Cannabisjoint zum Eigenkonsum erwarb;

(II) von 2011 bis 11. Jänner 2013 vorschriftswidrig einen psychotropen Stoff erworben und besessen, indem er 220 Stück Praxiten 50 mg Tabletten und 220 Stück Somnubene 1 mg Tabletten zwecks Eigenkonsum von Unbekannten kaufte (1), sowie „erworben, besessen und einem anderen überlassen“, indem er weitere 20 Stück Praxiten 50 mg Tabletten und 60 Stück Somnubene 1 mg Tabletten weitergab (2);

(III) am 11. Jänner 2013

(1) Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht, indem er den Polizeibeamten Dietmar S***** wegstieß und sich durch heftige Bewegungen dem Anlegen von Handfesseln entziehen wollte;

(2) durch das zu III/1 geschilderte Verhalten Dietmar S*****, sohin einen Beamten, während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder Erfüllung seiner Pflichten vorsätzlich in Form „einer Prellung an der Hand und“ (wovon die Entscheidungsgründe insoweit allein sprechen) von Abschürfungen an den Fingern am Körper verletzt;

(C) Sahin A***** in Graz und an anderen Orten vorschriftswidrig

(I) Suchtgift

(1) „in einer insgesamt das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von Substitol200-Kapseln (Wirkstoff Morphinsulfat‑Pentanhydrat) anderen verschafft bzw. überlassen, indem er

a) einer Vielzahl von großteils unbekannten Personen eine nicht mehr genau feststellbare Menge entgeltlich vermittelte, und

b) zumindest 3.209 Stück abzüglich der zu Punkt C.I.1. genannten Menge an eine Vielzahl bekannter, abgesondert verfolgter und weiterer noch unbekannter Abnehmer mit Gewinnaufschlag weiterverkaufte,“

(2) am 4. Jänner 2013 in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen, und zwar 84 Stück „Substitol200“‑Kapseln;

(II) einen psychotropen Stoff

(1) von 2011 bis 11. Jänner 2013 in einer die Grenzmenge (§ 31b SMG) übersteigenden Menge „erworben besessen und“ einem anderen überlassen, indem er an Abnehmer 1.550 Stück Somnubene 1 mg Tabletten und zehn Stück Praxiten 50 mg Tabletten weitergab;

(2) am 4. Jänner 2013 104 Stück Somnubene 1 mg Tabletten und 118 Stück Praxiten 50 mg Tabletten erworben und besessen.

Ihre dagegen ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden stützen der Angeklagte Marco F***** auf Z 5 und 9 lit a und der Angeklagte Sahin A***** auf Z 5, 5a und 9 lit a, jeweils des § 281 Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Marco F*****:

Soweit der Angeklagte „erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit festgestellter entscheidender Tatsachen“ einwendet (nominell aus Z 5, der Sache nach aus Z 5a), fehlt es am direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial (RIS‑Justiz RS0119424). Die gegen die Schuldsprüche A/III/1 und A/III/2 gerichtete Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) sucht der der leugnenden Verantwortung des Angeklagten mit eigenständigen Beweiswerterwägungen zu ohnedies ‑ mängelfrei und dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechend ‑ erörterten (US 25 f) Abweichungen in den Depositionen der einschreitenden Beamten zum Ablauf der Festnahme zum Durchbruch zu verhelfen. Damit bekämpft sie bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Nichts anderes unternimmt die den Schuldspruch A/I betreffende Beschwerdeargumentation, soweit sie die dem Urteil (mit ausführlicher Beweiswürdigung) zugrunde gelegte Richtigkeit der ‑ in der Hauptverhandlung relativierten - Mengenangaben der Zeugen Martina Sa***** und Gunda H***** (US 21 ff) sowie des Angeklagten Stefan W***** vor der Polizei (US 27 ff) bezweifelt.

Mit dem Einwand fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich des (auch) nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG beurteilten Verhaltens (A/I/1) ist die Subsumtionsrüge (nominell Z 9 lit a, der Sachse nach Z 10) auf US 12 dritter Absatz zu verweisen. Welche zusätzlichen Konstatierungen zur Wissens- und Wollenskomponente seiner Ansicht nach zu treffen gewesen wären, gibt der Beschwerdeführer nicht bekannt.

Der weiteren (neuerlich gegen die Schuldsprüche A/III/1 und A/III/2 gerichteten) Beschwerdeargumentation (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht die Lichtverhältnisse am Festnahmeort ohnedies berücksichtigt (vgl US 26 betreffend den Einsatz der Diensttaschenlampe) und auf dieser Grundlage Feststellungen zum Vorsatz (§ 5 StGB) des Angeklagten im Hinblick auf die Beamteneigenschaft der einschreitenden Polizisten getroffen (US 14).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Marco F***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die ihn betreffenden Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die nachträgliche Ergänzung der Nichtigkeitsbeschwerde durch diesen Angeklagten (ON 99) war mit Blick auf die in § 285 Abs 1 StPO normierte Einmaligkeit der Rechtsmittelausführung unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0100152).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Sahin A*****:

Die den Schuldspruch C/I/1 betreffende Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) spricht mit dem Einwand gegen den Tatzeitraum keinen entscheidenden Umstand an (RIS‑Justiz RS0098693). Dass der Angeklagte bereits im „Juni 2006“ Suchtgift an Roland P***** und Franz Sch***** weitergegeben hätte, haben die Tatrichter im Übrigen nicht angenommen.

Wann der Angeklagte den Entschluss fasste, seinen Lebensunterhalt mit Suchtgifthandel zu finanzieren, ist für die Subsumtion nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG nicht entscheidend.

Die Angaben der Selina We***** zu der vom Angeklagten bezogenen Gesamtmenge hat das Erstgericht berücksichtigt (US 32). Entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war es nicht verpflichtet, unwesentliche Details dieser Aussage (wonach der Angeklagte zunächst nur seine überzählige Medikation verkauft habe, später aber mehr ‑ ON 65 S 57) zu erörtern. Ebensowenig musste sich der Schöffensenat demnach mit einzelnen Aspekten der ‑ insgesamt als unglaubwürdig verworfenen (US 31 ff) ‑ Einlassung des Angeklagten, soweit dieser die von ihm übergebenen Suchtgiftquanten in der Hauptverhandlung relativierte, befassen.

Zutreffend zeigt die Beschwerde aber auf, dass das ‑ die vermittelte und verkaufte Suchtgiftmenge mit „0“ festlegende ‑ Referat der Entscheidungsgründe zu C/I/1 im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO [US 3]) den Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zu den Suchtgift‑Weitergaben (US 18) widerspricht (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 276 und Rz 437).

Der aufgezeigte Begründungsmangel resultiert ersichtlich daraus, dass das Erstgericht keine eigenständigen Überlegungen angestellt, sondern die Anklage ‑ unreflektiert und nahezu wortgleich ‑ übernommen hat (siehe US 17 bis 19 im Vergleich zu ON 74 S 12 f).

Verdeutlicht wird die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anklagevorwürfen bei Betrachtung der „Feststellungen“ zum Suchtgifterwerb des Beschwerdeführers (US 17 f). Da dieser nicht wegen des Erwerbs und des Besitzes von Suchtgift verurteilt worden ist, dienen sie offenbar der Begründung der Konstatierungen zur weitergegebenen Suchtgiftmenge. Auch insoweit ist die angefochtene Entscheidung aber nicht konzis. Addiert man nämlich die als erworben festgestellten „Substitol200“‑Kapseln (US 17), resultiert eine Summe von 3.266 Stück. Demgegenüber ergibt die Addition der als weitergegeben festgestellten „Substitol200“‑Kapseln (US 18) eine Summe von 3.329 Stück, womit der Beschwerdeführer mehr Tabletten weitergegeben als erworben hätte.

Betrachtet man die Urteilsannahmen zum Suchtgifterwerb als Teil der Begründung der Konstatierungen zur weitergegebenen Menge, erweist sich auch die Feststellung, der Beschwerdeführer habe von unbekannten Tätern 2.360 Stück „Substitol200“‑Kapseln erworben (I/1/g der Beschwerde) ‑ als unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall).

Damit erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die gegen den Schuldspruch C/I/1 gerichtete Beschwerdeargumentation.

Im Übrigen schlägt die Beschwerde jedoch fehl.

Der gegen den Schuldspruch C/I/2 gerichteten Rüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider geht aus der Einlassung des Angeklagten vor der Polizei gar nicht hervor, dass die unmittelbar vor seiner Festnahme in der Apotheke bezogene Wochenration von 21 Kapseln Substitol zur Gänze der Selbstmedikation gewidmet gewesen wäre (vgl ON 21 S 15), sodass die auf dieser Basis gegen ein Überschreiten der Grenzmenge (§ 28b SMG) argumentierende Beschwerde in Wahrheit keine erörterungsbedürftigen Beweisergebnisse aufzeigt.

Dem abermaligen Einwand eines mit offenbar unzureichender und aktenwidriger Begründung (Z 5 vierter und fünfter Fall) angenommenen Tatzeitraums genügt der Verweis auf die oben stehende Erledigung der Mängelrüge zum Schuldspruch C/I/1.

Mit Blick darauf, dass bereits der über den persönlichen Gebrauch hinausgehende Erwerb von Praxiten (US 4, 19) den zu C/II/2 erfolgten Schuldspruch nach § 30 Abs 1 SMG trägt, betreffen ‑ als übergangen reklamierte (Z 5 zweiter Fall) ‑ Beweisergebnisse zum Ausmaß des persönlichen Gebrauchs von Somnubene keine entscheidenden Tatsachen.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit dem Hinweis auf die von Zeugen behauptete Druckausübung anlässlich polizeilicher Vernehmungen und mit neuerlich angemeldeten Zweifeln an den festgestellten Verkaufsmengen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

Aus welchem Grund die Feststellung, wonach sich der Angeklagte mit seinem Verhalten „abfand“ (US 19), keine Aussage über die Willenskomponente des bedingten Vorsatzes enthalten soll (vgl § 5 Abs 1 StGB), erklärt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht.

Nach dem Gesagten war daher mit teilweiser Urteilsaufhebung und im übrigen Teil mit Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 285d Abs 1 StPO) wie aus dem Spruch ersichtlich vorzugehen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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