OGH 13Os94/12s

OGH13Os94/12s18.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Haberreiter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kevin K***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen nach § 3g VG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Patrick F***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 6. Juni 2012, GZ 613 Hv 1/12i-52, sowie über die Beschwerde dieses Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Patrick F***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Patrick F***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen mehrerer Verbrechen nach § 3g VG (I/A) sowie des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II/B) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

(I/A) im einverständlichen Zusammenwirken mit Kevin K***** mit dem Vorsatz, die Person Adolf Hitlers zu verherrlichen und die Wertvorstellungen sowie die Zielsetzungen des Nationalsozialismus zu fördern, sich auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er

a) in der Nacht vom 5. August 2009 auf den 6. August 2009 mehrfach laut „Sieg Heil“ sowie „Heil Hitler“ rief und dabei jeweils den rechten Arm zum Parteigruß der NSDAP erhob und

b) am 9. April 2011 den rechten Arm zum Parteigruß der NSDAP erhob, während Kevin K***** „Alle Ausländer gehören vergast“ rief, sowie

(II/B) am 22. Jänner 2011 andere am Körper verletzt, wobei er dem Romeo R***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zufügte, indem er im einverständlichen Zusammenwirken mit drei abgesondert verfolgten Mittätern mit Fäusten auf Romeo R***** und Manuel de L***** einschlug und, nachdem die Opfer aufgrund der Schläge zu Boden gegangen waren, auf diese eintrat, was bei Romeo R***** Blutunterlaufungen zwischen der weichen Gehirnhaut und dem Gehirn sowie innerhalb des Gehirngewebes und eine Rissquetschwunde im Bereich der rechten Augenhöhle, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, und bei Manuel de L***** eine Rissquetschwunde im Bereich der Stirn, Prellungen des linken Augapfels und der Oberlippe sowie Abschürfungen im Bereich des Gesichts zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 6, 7, 8 und 13 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Patrick F***** geht fehl.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung (ON 51 S 16) des Antrags auf Ausschluss der Öffentlichkeit (ON 51 S 3) Verteidigungsrechte nicht verletzt:

Die insoweit gegenüber den allgemeinen Bestimmungen der StPO weitergehende Sondernorm des § 42 Abs 1 JGG war hier nicht anzuwenden, weil der Beschwerdeführer im - diesbezüglich maßgebenden (Schroll in WK² JGG § 42 Rz 1) - Zeitpunkt der Hauptverhandlung 23 Jahre alt (ON 51 S 1, ON 52 S 2) und solcherart weder Jugendlicher (§ 1 Z 2 JGG) noch junger Erwachsener (§ 46a JGG) war.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 229 Abs 1 StPO wurde (zu Recht) nicht behauptet.

Indem die Fragenrüge (Z 6) zur Hauptfrage 14 nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) eine Eventualfrage nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) fordert, ohne aus dem Gesetz abzuleiten, aus welchem Grund es hier - entgegen dem Wortlaut des § 330 Abs 2 StPO - nicht zulässig gewesen sein soll, die Hauptfrage 14 durch (bloß) teilweises Bejahen in Richtung des § 84 Abs 1 StGB zu beantworten, entzieht sie sich einer meritorischen Erledigung.

Aus Gründen der Vollständigkeit sei festgehalten, dass die Geschworenen sowohl in der allgemeinen Rechtsbelehrung (Beilage ./A zu ON 51) als auch im speziellen Teil der Rechtsbelehrung zur Hauptfrage 14 (Beilage ./B S 15 zu ON 51) ausdrücklich auf die Möglichkeit der teilweisen Fragebeantwortung hingewiesen wurden und dass diese Vorgangsweise den Kriterien gesetzeskonformer Fragestellung entsprach (vgl Philipp, WK-StPO § 330 Rz 11, 14).

Soweit die Beschwerde einen offensichtlichen Schreibfehler in der schriftlichen Fassung der Hauptfragen 2 und (richtig) 4 (Adolf „Hilter“ anstelle Adolf „Hitler“) als Überschreitung der Anklage (Z 7) moniert, genügt der Hinweis, dass die insoweit maßgebende Norm des § 267 StPO darauf abstellt, ob Anklage und Fragestellung denselben Lebenssachverhalt meinen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502, § 345 Rz 10), was die Beschwerde nicht substantiiert in Abrede stellt.

Die prozessordnungskonforme Darstellung der Instruktionsrüge (Z 8) setzt das Festhalten am Inhalt der Rechtsbelehrung voraus (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65).

Indem die Beschwerde Ausführungen im Sinn des § 13 StGB verlangt, ohne von den - ausdrücklich täterbezogenen - Erläuterungen zur subjektiven Tatseite (Beilage ./B S 1, 2 und 10 zu ON 51) auszugehen, wird sie diesem Erfordernis nicht gerecht.

Entsprechendes gilt für die Behauptung fehlender Belehrung zur Abgrenzung zwischen dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) und dem Vergehen der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), mit der sich die Rüge über die genau diese Frage betreffende Passage der Rechtsbelehrung (Beilage ./B S 15 zu ON 51) hinwegsetzt.

Aus welchem Grund es unzulässig sein soll, im Rahmen der Rechtsbelehrung auf andere Teile dieser Belehrung zu verweisen, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsbelehrung stets als Ganzes zur Kenntnis zu nehmen ist (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 56) und dass ein ausdrücklicher Verweis innerhalb der Belehrung aus dem Empfängerhorizont eines maßgerechten Laienrichters keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer die Geschworenen bei ihrer Wahrheitsfindung beirrenden Belehrung bietet (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 58 f).

Indem die Sanktionsrüge (Z 13) mit Blick auf die Tatzeit zum Schuldspruch I/A/a (5. oder 6. August 2009) die Bedachtnahme (§ 31 Abs 1 StGB) auf ein Urteil vom 2. Februar 2010 fordert, übersieht sie, dass § 31 Abs 1 StGB bei Tatmehrheit nur dann anwendbar ist, wenn sämtliche der nachträglichen Verurteilung zu Grunde liegende Taten vor dem Vor-Urteil erster Instanz begangen worden sind (Ratz in WK² § 31 Rz 2; Tischler, SbgK § 31 Rz 11). Mit Blick auf die Tatzeiten zu den Schuldsprüchen I/A/b (9. April 2011) und II/B (22. Jänner 2011) kommt die geforderte Bedachtnahme somit hier nicht in Betracht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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