OGH 13Os91/05i

OGH13Os91/05i28.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lang als Schriftführer in der Strafsache gegen Muhammed B***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. November 2004, GZ 272 Ur 215/04w-33, nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Mag. Bacher, und des Verteidigers Mag. Lehner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. November 2004, GZ 272 Ur 215/04w-33, verletzt in seiner Begründung, wonach die Verfahrenshilfe mit der rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens erlischt, § 41 Abs 5 StPO. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 272 Ur 398/03f (später: 044 E Hv 89/04k) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde am 17. Dezember 2003 gegen Muhammed B***** die Voruntersuchung wegen des Verdachtes des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB eingeleitet (S 3 a verso, 109). Mit Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 27. April 2004 wurde die Voruntersuchung in Richtung versuchter Einbruchsdiebstahl nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB ausgedehnt und über Muhammed B***** die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO verhängt (S 3i, 109 a). Mit Beschluss vom 28. April 2004 verfügte die Untersuchungsrichterin die Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO für die gesamte Dauer des Verfahrens (S 3k, ON 18). Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer bestellte auf Grund dieses Beschlusses Rechtsanwalt Mag. Stefan L***** zum Verteidiger des Beschuldigten (ON 18). Nach Einbringung des wegen versuchten Einbruchsdiebstahls nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB erhobenen Strafantrages verfügte die Untersuchungsrichterin mit Beschluss vom 21. Juni 2004 über entsprechendes Begehren der Staatsanwaltschaft gemäß § 57 Abs 1 StPO die Ausscheidung des Verfahrens wegen Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (S 3n). Für das ausgeschiedene Verfahren gegen Muhammed B***** wurde unter AZ 272 Ur 215/04w (nunmehr: 053 Hv 216/04b) ein neuer Akt angelegt; dieses Verfahren ist seit 10. Mai 2005 gemäß § 412 Abs 1 StPO abgebrochen, der Angeklagte zur Verhaftung ausgeschrieben (S 3u). Im Verfahren AZ 044 E Hv 89/04k wurde der Beschuldigte mit rechtskräftigem Urteil vom 9. Juli 2004 des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt (ON 34), die er bis 23. Februar 2005 verbüßte (ON 42). Die im ausgeschiedenen Verfahren AZ 272 Ur 215/04w am 1. Oktober 2004 beim Untersuchungsrichter eingebrachte Anklage wurde in der Folge auch dem im „Stammverfahren" beigegebenen - Verteidiger Mag. Stefan L***** zugestellt (S 3q verso), der unter Hinweis auf die rechtskräftige Beendigung dieses Verfahrens und das (seiner Ansicht nach) damit verbundene Erlöschen seiner Verfahrenshilfebestellung die neuerliche Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers für erforderlich erachtete (Schreiben vom 20. Oktober 2004, S 237). Mit Beschluss vom 27. Oktober 2004 (ON 30) stellte daraufhin der Untersuchungsrichter fest, dass der im Stammverfahren als Verfahrenshilfeverteidiger bestellte Rechtsanwalt Mag. L***** auch im ausgeschiedenen Verfahren einzuschreiten hat.

Der dagegen vom Verteidiger erhobenen Beschwerde hat die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 11. November 2004 (ON 33) Folge gegeben, den angefochtenen Beschluss aufgehoben und ausgesprochen, dass bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des § 41 Abs 2 StPO die Beigebung eines (neuen) Verfahrenshilfeverteidigers zu beschließen sei. Denn mit rechtskräftiger Beendigung jenes Verfahrens, in welchem die Verteidigerbeigebung erfolgte (AZ 44 Hv 89/04k), sei die Verfahrenshilfe erloschen. Das zum AZ 272 Ur 215/04w ausgeschiedene und gesondert geführte Verfahren sei als eigenständiges Verfahren zu bewerten, in welchem bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Beigebung eines neuen Verfahrenshilfeverteidigers zu verfügen sei. Die Formulierung des § 41 Abs 5 StPO, wonach die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers „für das gesamte weitere Verfahren" gilt, stelle lediglich auf die Dauer dieser Funktion bis zu einem bestimmten Verfahrensstadium, nämlich dem rechtskräftigen Abschluss jenes konkreten Verfahrens ab, in dem die Beigebung erfolgte; eine Fortdauer der Eigenschaft als Verfahrenshilfeverteidiger auch in jenem Verfahren, welches gemäß § 57 StPO ausgeschieden werde, könne aus Abs 5 des § 41 StPO nicht abgeleitet werden.

Gemeinsam mit der Ausschreibung der Hauptverhandlung verfügte daraufhin der Vorsitzende am 25. November 2004 die Beigebung eines (neuen) Verteidigers gemäß § 41 Abs 2 StPO (ON 35). Dieser wurde in der Person des bisherigen Verteidigers durch den Ausschuss der RAK Wien bescheidmäßig neu bestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Generalprokurator gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. November 2004 gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ist teilweise im Recht.

1. Die Beigebung des Verfahrenshilfeverteidigers erlischt, wie der Generalprokurator diesbezüglich zutreffend ausführt, nicht - wie in der Begründung des Ratskammerbeschlusses (entgegen den davor angestellten an sich richtigen Erwägungen) ausgeführt - (automatisch) mit der rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens, sondern gilt gemäß § 41 Abs 5 StPO auch für allfällige nachfolgende Gesetzeswahrungsverfahren nach § 33 Abs 2 StPO und § 292 letzter Teilsatz StPO, das Erneuerungsverfahren nach §§ 363a ff StPO und die Erhebung einer Grundrechtsbeschwerde (Achammer, WK-StPO § 41 Rz 19; Fabrizy, StPO9 § 41 Rz 21).

2. Hingegen wird die vom Generalprokurator vorgeschlagene generelle Weitergeltung der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers auch in ausgeschiedenen Verfahren nicht durchwegs dem Zweck der Vorschrift des § 41 StPO gerecht, ist doch das Vorliegen der dafür normierten Voraussetzungen in ausgeschiedenen Verfahren keineswegs zwingend gegeben. In diesen kann - nach Lage des Falles - auch ein anderes Gericht (sachlich und örtlich) zuständig (§ 58 StPO) und die Beigebung eines Verteidigers nicht erforderlich sein, weil es am Verteidigerzwang (§ 41 Abs 2 Z 1 StPO) oder an einer schwierigen Sach- oder Rechtslage (§ 41 Abs 2 Z 2 StPO) fehlt.

Demnach sind in den jeweils ausgeschiedenen Verfahren die Voraussetzungen der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (neu) zu prüfen. Gegebenenfalls ist dann im betreffenden Verfahren die Beigebung eines solchen Verteidigers zu beschließen (so auch Achammer, WK-StPO § 41 Rz 54). Die in der Nichtigkeitsbeschwerde von der Generalprokuratur zur Stärkung ihres Standpunktes angeführte Judikatur enthält, wie der Generalprokurator inhaltlich zutreffend einräumen muss, keine Aussage zur Frage, ob auch die Beigebung eines Verteidigers nach § 41 StPO für ein nachträglich gemäß § 57 StPO ausgeschiedenes Verfahren Geltung behält. Im Beschluss der Ratskammer war insoweit keine Gesetzwidrigkeit zu erkennen.

Gemäß § 42 Abs 1 StPO hat übrigens der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer bei Bestellung eines Rechtsanwalts zum Verteidiger Wünschen des Beschuldigten (Angeklagten) zur Auswahl der Person dieses Verteidigers im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen (vgl Achammer, WK-StPO § 42 Rz 10), was auch vorliegend geschehen ist.

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