OGH 13Os87/20y

OGH13Os87/20y9.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pöttinger in der Strafsache gegen Christian K***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Mai 2020, GZ 111 Hv 12/19i‑59, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00087.20Y.1209.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian K***** – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 (A/a) und mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und Abs 3 Z 1 StGB (zu ergänzen) idF BGBl I 2009/40 (A/b) schuldig erkannt.

Danach hat er gegen andere, im Tatzeitraum unmündige, Personen längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar

(A/a) vom 1. Juni 2009 bis zum Juni 2017, somit länger als ein Jahr, gegen seine ***** Stieftochter Denise K*****, indem er ihr durchschnittlich drei Mal im Monat Schläge mit der flachen Hand gegen das Gesicht und gegen den Hinterkopf versetzte, wodurch sie teils Rötungen, teils Blutungen im Mundinnenraum sowie Kopfschmerzen erlitt, ihr mehrfach mit einem Finger Stöße gegen den Bauch versetzte und mit dem Daumen und dem Mittelfinger gegen ihr Ohr schnalzte und ihr gegenüber äußerte, er werde ihr die Zähne ausschlagen, sowie

(A/b) vom Dezember 2018 bis zum 20. Juni 2019 gegen seinen ***** Sohn Luca K***** und seinen ***** Sohn Samuel-Pascal K*****, indem er ihnen beinahe täglich Schläge mit der flachen Hand gegen das Gesicht und gegen den Hinterkopf versetzte, wodurch sie Rötungen erlitten, und ihnen mit dem Daumen und dem Mittelfinger gegen das Ohr schnalzte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5, „9“ und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen § 240a StPO, weil die im Jahr 2019 beeidigte – aufgrund eines Schreibfehlers in der Urteilsausfertigung als Sabine Sc***** bezeichnete (vgl dazu ON 1 S 15 ff sowie jeweils S 1 der ON 31, 39, 45 und 58) – Schöffin Daniela S***** „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ vor der Neudurchführung der Verhandlung am 4. Mai 2020 im laufenden Jahr nicht neuerlich beeidigt worden sei. Im ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung wird dazu festgehalten, dass „die Schöffen bereits beeidet sind“ (ON 58 S 2). Wenngleich in einer in einem anderen Kalenderjahr gemäß § 276a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung auch die Beeidigung der Schöffen zu wiederholen ist, ist hier im Hinblick auf vier innerhalb von acht Monaten gelegene Verhandlungstermine und die Neudurchführung der Verhandlung wegen Zeitablaufs nur rund vier Monate nach dem vorangegangenen Verhandlungstermin unzweifelhaft erkennbar, dass der Eid der Schöffin nicht in Vergessenheit geraten ist und somit die gerügte Formverletzung – sofern sie tatsächlich geschehen ist – keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0098270 [T7, T9 und T14]).

Entgegen der Mängelrüge (Z 5) ließ das Gericht bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung die Ausführungen der Zeugin Mag. Sabine W***** nicht unberücksichtigt (Z 5 zweiter Fall [US 11 und 16 f]). Soweit die Rüge daraus anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse ableitet, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die Konstatierungen zum Tatzeitraum zu A/b stützte das Erstgericht auf die – von ihm für glaubwürdig erachteten – Angaben der Zeugin Denise K***** im Ermittlungsverfahren (US 24). Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) ist diese Ableitung nicht zu beanstanden.

Als Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) kann ein den Tatrichtern unterlaufenes Fehlzitat im Rahmen der Beweiswürdigung beanstandet, nicht aber geltend gemacht werden, dass aus den Beweisergebnissen andere als die im Urteil gezogenen Schlüsse abzuleiten gewesen wären (RIS‑Justiz RS0099431 [T13]). Ein Fehlzitat im aufgezeigten Sinn behauptet die Rüge nicht.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts zu A/a versetzte der Angeklagte seiner zum Beginn des acht Jahre andauernden Tatzeitraums fünfjährigen Stieftochter mit auf fortgesetzte Gewaltausübung gerichtetem Vorsatz zumindest drei Mal im Monat mit Rötungen, Blutungen oder Kopfschmerzen verbundene Schläge gegen das Gesicht und den Hinterkopf, Stöße mit dem Finger in den Bauch, welche einige Minuten sichtbare Rötungen, bis zu zwei Tage Schmerzen im Bauchbereich und ein bis zwei Mal auch Erbrechen der Unmündigen zur Folge hatten, schnalzte ihr mit dem Daumen und dem Mittelfinger gegen das Ohr und drohte ihr ab September 2015 mehrmals im Monat mit dem Ausschlagen ihrer Zähne (US 4 bis 6).

Indem sich die Rechtsrüge (nominell „Z 9“, der Sache nach Z 10) zu A/a gegen die Subsumtion nach der „seinerzeitigen Bestimmung des § 107b (1) und (3) und (4) 4. Fall StGB“, insbesondere gegen jene nach § 107b Abs 4 StGB, wendet, dabei aber nicht auf der Basis der in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffenen Feststellungen (US 5 ff) argumentiert, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Nach den Feststellungen zu A/b versetzte der Angeklagte seinen im Jahr 2009 und im Jahr 2011 geborenen Söhnen von Dezember 2018 bis zum 20. Juni 2019 täglich mit Misshandlungsvorsatz Schläge (US 2 und 6).

Weshalb das Erstgericht davon ausgehend fortgesetzte Gewaltausübung gegenüber Unmündigen über einen längeren Tatzeitraum zu Unrecht bejaht haben sollte, legt die Subsumtionsrüge (Z 10) durch den Hinweis auf die Strafdrohung (des § 107b Abs 3 StGB idF BGBl I 2009/40) von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (siehe aber RIS‑Justiz RS0116569).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 StPO).

Die Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Hinzugefügt sei, dass die zu A/a angewendeten Bestimmungen des § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 für den Angeklagten in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren als die im Urteilszeitpunkt geltenden (§ 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB idF BGBl I 2019/105), aus welchem Grund nach § 61 zweiter Satz StGB Letztere hätte zur Anwendung gelangen müssen. Zu einer amtwegigen Wahrnehmung dieses ungerügt gebliebenen Subsumtionsfehlers (Z 10) besteht aber mangels eines konkreten Nachteils im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO kein Anlass. Angesichts der insoweit vom Obersten Gerichtshof vorgenommenen Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung nicht an den im aufgezeigten Sinn fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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